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22. Juli 2022
Aktives Management steckt in DNA von Fidelity, auch bei ETFs

Aktives Management steckt in DNA von Fidelity, auch bei ETFs

Im Frühjahr hat Fidelity International den Posten des europäischen ETF-Vertriebsleiters geschaffen. Welche Rolle spielen ETFs für den Fondsanbieter? Und für welchen Vermittlertyp sind ETF-Produkte besonders interessant?

Interview mit Stefan Kuhn, ETF-Vertriebsleiter Europa bei Fidelity
Herr Kuhn, Sie sind seit April dieses Jahres ETF-Vertriebsleiter für Europa bei Fidelity. Weshalb wurde dieser Posten geschaffen?

Der Posten wurde aus mehreren Gründen geschaffen. Zuvorderst, weil unsere Kunden ETF-Lösungen verstärkt nachfragen. Auf dieser Beobachtung aufbauend stellte sich die Frage, ob sich die Fidelity-DNA auch mit ETFs transportieren lässt und, wenn ja, wie das gelingen kann. Vor mittlerweile fünf Jahren legte Fidelity dann die ersten ETFs auf – meiner Meinung nach eine logische Ergänzung des bestehenden Portfolios von Fidelity International. Das Unternehmen wollte all dies dann in einer neuen Position bündeln und mit jemandem besetzen, der das ETF-­Geschäft versteht und die Fusion aus dem aktiven Management bei Fidelity mit dem ETF-Markt vorantreibt.

Wie verzahnt sich der ETF-Vertrieb bei Fidelity mit dem klassischen Fondsvertrieb?

Ich stehe mit den verschiedenen Teams, wie dem Investment Management oder dem Vertrieb täglich im Austausch. Zwischen den ETF-Kunden, um sie mal so zu nennen, und bestehenden Fidelity-Kunden gibt es viele Überschneidungen. Sie fragen nicht ETFs oder aktive Fonds nach, sondern Lösungen. Deshalb steht für uns im Mittelpunkt, was für ein Problem der Kunde hat und wie wir das aus der Welt schaffen können. Ob die Lösung dann im Mantel eines ETFs oder eines aktiven Fonds steckt, das ist dann erst am Ende der Reise entscheidend.

Fidelity brauchte also jemanden, der das ETF-Geschäft durchblickt. Weshalb genau sind Sie da der Richtige?

Ich würde sagen, dass ich die im Team bereits vorhandene Expertise nochmals ergänze. Im ETF-Markt muss man sich sehr gut mit den Indizes und mit der Abbildung der Indizes auskennen. Das ist ein eher technischer Ansatz. Und da kenne ich mich aufgrund meiner Erfahrung bei meinen beiden vorhergehenden „ETF-Stationen“ recht gut aus.

Dann stürzen wir uns doch gleich auf die technischen Fragen. Legt Fidelity seine ETFs auf eigene Indizes auf?

Es gibt zwei Gruppen von ETFs in unserer Palette. Es gibt zum einen die Quality-Income-ETFs. Das sind insofern klassische ETFs, als sie einen Index möglichst genau abbilden. Hier kommen tatsächlich Indizes zum Einsatz, die wir selbst aufgelegt haben. Zusätzlich bieten wir die Sustainable Research Enhanced (SRE) Equity-Produkte und unsere Fixed-Income-Produkte an. Diese folgen keinem Index, sondern orientieren sich an einem Basisindex wie zum Beispiel dem MSCI World oder dem MSCI USA. Innerhalb klarer Grenzen versuchen unsere Fondsmanager bei diesen Produkten, eine leichte Outperformance gegenüber dem Index zu generieren.

Vergleichen Sie sich ausschließlich mit der MSCI-Produktpalette oder auch mit anderen Indizes?

Wir orientieren uns an dieser Index-Familie, aber vergleichen uns nicht. Die MSCI-Produktpalette ist der Ausgangspunkt für unsere Portfoliomanager aber keine Benchmark, der sie strikt folgen.

Wozu dient diese Orientierung dann?

Wir brauchen einen Ausgangspunkt und die MSCI-Indizes definieren unser Anlageuniversum. Darauf wenden wir im ersten Schritt unsere Ausschlusskriterien an und versuchen dann durch das Gewichten der verbleibenden Titel, den Index zu schlagen. Ein Kunde, der einen ETF kauft, möchte in der Regel nur wohldosiert vom Gesamtmarkt abweichen.

Sie orientieren sich also an den MSCI-Indizes, aber bilden diese Indizes nicht stur nach, sondern greifen aktiv in die ETF-Zusammensetzung ein? Wie tief ist dieser Eingriff?

Eines vorweg: Wir streben die Outperformance über die Titelselektion an und nicht über eine veränderte Sektor- oder Ländergewichtung. Das wäre ein anderer Ansatz. In der Regel bleiben nur 20 bis 40% vom Ausgangsindex übrig. Was die Anzahl der Titel angeht, greifen wir also relativ stark ein.

Sie holen sich die Outperformance aber nicht, indem Sie beispielsweise den MSCI World einfach mit Small-Cap-Unternehmen nachbauen und die Smart-Beta-Faktoren abgreifen, sondern beschränken sich ausschließlich auf die Titel, die auch im Basisindex enthalten sind.

Exakt. Und die Gewichtung von Sektoren und Regionen bleibt gleich, weil wir deren Aufteilung nachträglich wieder glatt ziehen.

Dann finden wir in Ihren globalen ETFs also auch das häufig erwähnte US-Klumpenrisiko wie im MSCI World?

Wir bilden den Markt ab und streben zusätzlich eine vordefinierte Outperformance an. Wenn sich ein Investor für ein Produkt entscheidet, das sich an der Marktkapitalisierung orientiert, dann bekommt er von uns genau das. Die USA sind daher auch in unseren Welt-ETFs stark gewichtet.

Sie bewerben einerseits auf Nachhaltigkeit und andererseits auf Dividendenertrag ausgerichtete ETFs. Wo liegen die konkreten Unterschiede?

Ein kurzer Exkurs: Bei beiden Säulen unseres ETF-Angebots spielt Nachhaltigkeit eine Rolle. Das heißt: Sowohl bei unseren rein passiven ETFs als auch bei denen, in deren Zusammensetzung wir aktiv eingreifen, wenden wir Ausschlusskriterien an.

Bei den Dividenden-ETFs wollen wir die Generierung von Alpha über den Fokus auf dividendenstarke Titel erreichen. Bei den Nachhaltigkeits-ETFs versuchen wir die Outperformance durch eine Übergewichtung von Titeln sicherzustellen, die in unserem Nachhaltigkeit-Scoring besser abschneiden als andere.

Wie genau kommen Sie bei den Nachhaltigkeit-ETFs schließlich von der Grundgesamtheit im Basisindex auf die besagten 20 bis 40% an Titeln?

Dabei müssen drei Schritte unterschieden werden. Der erste Schritt ist die Anwendung des Nachhaltigkeitsfilters – der wird auch bei den Quality-Income-Produkten vollzogen, die als Dividenden-ETFs vermarktet werden.

Bei den Nachhaltigkeit-ETFs wird zusätzlich aufgrund von Nachhaltigkeit-Scores und fundamentalen Einschätzungen unserer Research Teams entschieden, ob eine Aktie über- oder untergewichtet wird. Über diese Gewichtung erhöhen wir das Nachhaltigkeitslevel in diesen ETF-Produkten. Im dritten Schritt findet dann die besagte Optimierung statt. Soll heißen: Wenn durch die Über- oder Untergewichtung bestimmter Titel die Sektor- oder Regionenallokation nicht mehr dem Basisindex entspricht, kommt ein mathematisches Modell zum Einsatz, das die Gewichte wieder in Einklang mit dem Basisindex bringt.

Wie stark kann maximal über­gewichtet werden?

Das Über- oder Untergewicht ist pro Titel auf 100 Basispunkte beschränkt. Also 1%.

Gibt es da verschiedene Abstufungen oder wird bei nachhaltigen Werten automatisch ein Prozentpunkt aufgeschlagen?

Zwischen einem Aufschlag von 0 und 100 Basispunkten ist alles möglich. Da kommt der aktive Ansatz unserer ETFs zum Tragen.

Die Fidelity-ETFs gehören wohl aufgrund der aktiven Komponente nicht zu den günstigsten Produkten am ETF-Markt. Dennoch dürfte bei den laufenden Kosten kaum etwas an Provision für den Vermittler übrig bleiben, oder irre ich mich?

ETFs sind auch aufgrund ihrer Konstruktion für den Direktvertrieb interessant – zum Beispiel für Retail-Banken oder Online-Broker. Sie erfreuen sich aber auch in der Honorarberatung wachsender Beliebtheit. Berater sind für uns wichtig, weil wir die komplette Fondspalette anbieten. In vielen Fällen ist es sinnvoll, einen Teil des Portfolios in aktive Fonds zu investieren und einen Teil in ETFs.

Spielt Honorarberatung für Fidelity mittlerweile eine große Rolle? Honorarberater sind doch immer noch Mangelware in Deutschland. Spüren Sie, dass das Geschäft da mittlerweile anzieht?

Ja, die erhöhte Nachfrage sehen wir definitiv. Honorarberater sind für uns traditionell eine wichtige Kundengruppe und ihr Markt wächst. Dort sind ETFs sehr gerne gesehen – wenn nicht gar das bevorzugte Produkt.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 07/2022, S. 62 f., und in unserem ePaper.

Bild: Stefan Kuhn, Fidelity

 
Ein Interview mit
Stefan Kuhn