Interview mit Manuela Diviach, Head of Group Operations, Organization and Data bei der Allianz SE
Frau Diviach, welches strategische Potenzial sehen Sie für den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Versicherungswirtschaft – heute und mit Blick auf die nächsten fünf bis zehn Jahre?
Künstliche Intelligenz macht uns überall besser – schon jetzt und natürlich noch viel mehr in den nächsten Jahren. Mit KI können wir schneller, persönlicher und genauer sein, und wir können maßgeschneiderte Produkte und Services anbieten. KI verändert auch unsere Rolle: Wir reagieren nicht mehr nur auf Risiken, sondern helfen unseren Kunden dabei, sie zu vermeiden.
Wo steht die Branche in Sachen KI aus Ihrer Sicht aktuell im Vergleich zu anderen?
Versicherung ist ein Datengeschäft, dadurch ist eine natürliche Nähe zu IT und KI gegeben. Gerade große Versicherer investieren sehr viel in Technologie und Talente. Insofern gehört die Versicherungsbranche sicher zu den führenden traditionellen Branchen in Sachen KI. Darauf können wir uns jedoch nicht ausruhen. Wir müssen agil bleiben, um weiter vorne mitzuspielen.
Welche Rolle spielt KI denn in der Zukunftsstrategie der Allianz?
KI ist ein integraler Bestandteil unserer Strategie und hilft uns, intelligent und nachhaltig zu wachsen und resilienter zu werden. Natürlich muss KI sich im täglichen Geschäftsbetrieb rechnen, und das tut sie schon. KI macht Kunden und Mitarbeiter zufriedener, macht uns produktiver und effizienter.
Unser Leitprinzip bei KI ist, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und Technologie einzusetzen, um die Fähigkeiten unserer Mitarbeitenden zu ergänzen – nicht um diese zu ersetzen. Dieser Ansatz stellt sicher, dass KI als leistungsstarkes Werkzeug dient, um das Fachwissen und damit den Einfluss unserer Kollegen auf das Ergebnis weiter zu verbessern.
Sie sind verantwortlich für KI bei der gesamten Allianz Gruppe. Wo liegen Ihre Schwerpunkte?
Unsere Aufgabe ist, die KI-Strategie für die Allianz Gruppe festzulegen. Dabei achten wir besonders darauf, wie wir unsere Größe und Skalierungsmöglichkeiten optimal nutzen können. Einerseits steuern wir die Einführung von KI im Unternehmen, andererseits stellen wir sicher, dass dies verantwortungsbewusst geschieht, indem wir in Zusammenarbeit mit den Sicherheits- und Kontrollfunktionen Rahmenbedingungen für die KI-Steuerung schaffen.
In welchen Unternehmensbereichen der Allianz ist KI bereits im Einsatz? Und wo sehen Sie das größte Entwicklungspotenzial?
Wir nutzen KI überall: im Vertrieb, im Underwriting, in der Schadenbearbeitung, bei der Betrugserkennung und beim Kundenservice. Das Potenzial von KI liegt nicht in einem einzelnen Anwendungsbereich, sondern in der Breite.
Können Sie uns ein Beispiel nennen für eine konkrete KI-Anwendung, die den Service für Ihre Kunden verbessert?
Gerne! Beispielsweise bekommen unsere Kunden auf Wunsch vor einem Unwetter eine Warnung per SMS. Eine KI sagt Ort, Zeit und die Auswirkungen mit einem hohen Maß an Zuverlässigkeit voraus. So können unsere Kunden sich und ihr Hab und Gut rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Welche Relevanz hat KI im Vertrieb? Und inwiefern erleichtert oder sogar verändert die neue Technologie den Kontakt mit Kunden?
KI spielt eine wichtige Rolle im Vertrieb. Eine KI stellt Vermittlern oder Callcenter-Mitarbeitern während des Kundengesprächs gezielt Informationen zu potenziellen Kundenbedürfnissen zur Verfügung und empfiehlt ein passgenaues Produkt. So hilft sie auf natürliche und wertschöpfende Weise, den Verkauf zu steigern, sodass unsere Vertriebsleistung insgesamt verbessert wird. Diese KI ist in unserem gesamten Vertriebsnetzwerk skalierbar, sodass wir sowohl die Effektivität als auch die Zufriedenheit aller unserer Vertriebsmitarbeiter erhöhen.
Wo wiederum bringen KI-basierte Systeme die größte Entlastung für die Mitarbeitenden?
Uns hilft KI an vielen Stellen, um die internen Prozesse noch effizienter zu gestalten. Wir haben beispielsweise ein tolles KI-Tool für unsere Underwriter. Deren Arbeit wird immer komplexer: Immer mehr Regeln und Vorschriften, technologischer Fortschritt und neue Risiken wie Cyberhaftpflicht machen ihre Arbeit zeitaufwendiger. Gleichzeitig steigen die Ansprüche der Kunden an Schnelligkeit und Einfachheit. Underwriter müssen teilweise mehr als 50 Dokumente mit jeweils 600 Seiten durchforsten, um die richtigen Antworten zu finden. Das kostet im Durchschnitt rund zwei Stunden pro Woche. Diesen Prozess beschleunigen wir mit generativer KI, indem wir den Zugang zu wichtigen Informationen vereinfachen. So wird die Recherche auf wenige Minuten verkürzt. Für die Underwriter ist es so, als würde ein sehr schlauer, erfahrener Kollege neben ihnen sitzen, den sie nach einer Information fragen können, und er sagt ihnen sofort, wo genau sie diese finden.
Welche Auswirkungen hat KI auf interne Prozesse und die Arbeitsweise bei der Allianz? Und wie gelingt es, Akzeptanz und Offenheit in der Belegschaft zu fördern?
KI hat unsere internen Prozesse tiefgreifend verändert. Wir sind effizienter und schneller geworden, außerdem werden komplexe Aufgaben vereinfacht. Durch die Nutzung unseres internen Chatbots AllianzGPT haben wir Abläufe optimiert, sodass sich unsere Mitarbeiter mehr auf strategische Aufgaben konzentrieren können, anstatt sich mit Routinearbeiten zu beschäftigen. Diese Entwicklung steigert nicht nur die Produktivität. Gleichzeitig steigern wir die Akzeptanz und Offenheit unter den Mitarbeitern und ermutigen sie, diese technologischen Fortschritte als unverzichtbare Hilfsmittel in ihrem täglichen Arbeitsablauf zu nutzen. So fördern wir eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und der Weiterqualifizierung.
Wie qualifizieren Sie die Mitarbeitenden im Umgang mit neuen Technologien?
Wir schulen unsere Mitarbeiter durch gezielte Programme. Diese vermitteln sowohl technische Fähigkeiten als auch ein Verständnis für die strategischen Anwendungen von KI. Wir haben einen speziellen KI-Kompetenz-Schulungsplan. Dieser besteht aus einer für alle Mitarbeiter obligatorischen Grundschulung und speziellen Lehrplänen für Generalisten, Führungskräfte und Experten – und wird durch kontinuierliches Lernen umgesetzt. Darüber hinaus bauen wir ein Netzwerk interner KI-Coaches auf – das sind Mitarbeiter, die darin geschult sind, ihre Kollegen bei der Anwendung von generativen KI-Tools in der Praxis zu unterstützen.
Wie stellt die Allianz allgemein sicher, dass KI ethisch und verantwortungsvoll eingesetzt wird?
Wir legen größten Wert darauf, KI verantwortungsvoll und ethisch einzusetzen. Daher haben wir schon vor einigen Jahren fünf Grundprinzipien für den verantwortungsvollen Einsatz von KI definiert: Transparenz in der Kommunikation über Einsatz und Zweck unserer KI-Systeme, Rechenschaftspflicht durch Systemüberwachung und genauer Dokumentation hierzu sowie Datenschutz. Darüber hinaus bestehen wir bei KI auf menschlicher Kontrolle. Und schließlich: Fairness und Nichtdiskriminierung.
Im ersten weltweiten KI-Ranking war die Allianz in Sachen Transformation sehr weit vorne mit dabei. Wie bewerten Sie dieses Ergebnis und was sind Ihre ganz konkreten nächsten Schritte in Bezug auf KI?
Wir freuen uns sehr darüber! KI macht uns überall besser – das nehmen auch unsere Kunden und Mitarbeiter wahr. Der KI-Index ist nun eine echte Bestätigung unserer KI-Strategie, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, sowie der Fortschritte, die wir machen. Wir werden diese Entwicklung noch beschleunigen. Als Nächstes steht bei uns die Einführung agentenbasierter KI-Systeme, „Agentic AI“, an. Wir berichten gerne, wenn es so weit ist.
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