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18. November 2020
Altersvorsorge nach Corona: Schock-Studie für kommende Rentnergenerationen

Altersvorsorge nach Corona: Schock-Studie für kommende Rentnergenerationen

Die Corona-Pandemie sorgt nicht nur aktuell für große Herausforderungen. Einer aktuellen Studie von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen zufolge verschärft sie auch drastisch die Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung. Steuert die Politik nicht schnell entgegen, werde das Rentenniveau zwangsläufig massiv sinken.

Wie steht es um die Altersvorsorge nach Corona? Mit dieser Frage hat sich Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, im Auftrag von Union Investment in einer aktuellen Analyse beschäftigt. Der Experte kommt dabei zu einem klaren Ergebnis: Corona verschärft deutlich die bestehenden Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Die Krise der GRV habe sich bereits zuvor aufgrund politischer Entscheidungen der vergangenen Jahre zugespitzt. So hatte in der gesetzlichen Rente bereits vor der Corona-Krise eine Nachhaltigkeitslücke von 2,6 Bio. Euro geklafft. Diese Lücke dürfte nun sogar auf etwa 3 Bio. Euro steigen.

Sinkende Einkommen aufgrund der Krise

Der drastische Anstieg der nachhaltigen Rentenlücke resultiert daraus, dass die Durchschnittseinkommen aufgrund des Wirtschaftsrückgangs und in Folge auch die staatlichen Renteneinnahmen aller Wahrscheinlichkeit nach sinken werden, die Höhe der Rentenzahlungen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben jedoch gleich bleiben muss. „Zahlen muss dies die zukünftige Generation“, warnt Raffelhüschen.

Massive gestiegene Staatsverschuldung

Parallel dazu wird der Bund in den kommenden Jahren keinen großen Handlungsspielraum mehr haben, um die zusätzlichen Belastungen der GRV durch weitere Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung führen schließlich zu einem beschleunigten Wachstum der Staatsverschuldung. Unmittelbar vor der Corona-Pandemie lag die verbriefte Staatsschuld bei 59,8% des BIP. Raffelhüschen zufolge wird sie aufgrund der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen noch 2020 auf rund 80% ansteigen. In den Folgejahren dürfte sie sogar auf mehr als 100% steigen.

Tatsächliches Defizit um ein Vielfaches höher

Das sei aber längst noch nicht alles, schließlich kommt laut der Analyse noch eine massive implizite Staatsverschuldung in Form von absehbaren Finanzierungslücken in der Kranken-, Pflege, Arbeitslosenversicherung, der Gebietskörperschaften sowie der Beamtenversorgung hinzu. Die gesamte Nachhaltigkeitslücke für das Jahr 2020 liegt dadurch nicht mehr bei 236% des BIP, sondern summiert sich durch die staatlichen Corona-Maßnahmen auf mittlerweile 357%. Somit wird aktuell weniger als ein Fünftel der tatsächlichen Verschuldung offiziell ausgewiesen – über vier Fünftel, 285% des BIP – schlummern als fehlende Rückstellungen des Sozialstaats im Verborgenen. „Kommt es zu keiner Revision der Leistungshöhen von Beamtenpensionen, Kranken- und Pflegeversorgungen oder Rentenzahlungen werden Stück für Stück die unsichtbaren Staatsschulden sichtbar und belasten die öffentlichen Haushalte massiv“, betont Raffelhüschen.

Rentenniveau sinkt auf unter 40%

„Aufgrund der wachsenden Nachhaltigkeitslücke in der GRV und den sinkenden staatlichen Steuerzuschüssen, werden die Rentenbeiträge über kurz oder lang auf ein Fünftel des Bruttogehaltes gedeckelt werden müssen“, prognostiziert der Rentenexperte. Dadurch sinke das Rentenniveau auf unter 40%. Um den Lebensstandard zu sichern, sei jedoch eine Ersatzquote von 60 bis 80% des letzten Bruttolohnes notwendig.

Vorsorgelücke steigt auf bis zu 40%

Zukünftige Rentner würde unter dem Strich eine Vorsorgelücke von 20 bis 40% erwarten. Damit könne die GRV die Versorgungsanforderungen nicht mehr erfüllen und den Lebensstandard künftiger Rentner in dieser Form noch weniger sichern als bisher. Damit steigen die notwendigen Altersvorsorgeanstrengungen zur Lebensstandardsicherung weiter an – und das in Zeiten niedriger Zinsen.

Reform der Vorschriften dringend notwendig

Vor diesem Hintergrund muss die private Vorsorge laut Raffelhüschen dringend in einem vernünftigen Rahmen weiterentwickelt werden. Mit den aktuellen Regeln erschwere der Staat durch die strengen Vorschriften für die Anlage- und Refinanzierungsstrukturen des Finanzsektors die Bildung privaten Vorsorgevermögens bei breiten Bevölkerungsschichten. Viele Finanz- und Versicherungsunternehmen können laut Raffelhüschen ihren Anlegern deshalb nur scheinbar sichere Anlagen anbieten, mit denen die Sparer jedoch kaum noch Rendite erzielen. In Kombination mit dem sinkenden Rentenniveau sei das genau das falsche Signal.

Akuter politischer Handlungsbedarf

„Die Politik muss daher dringend handeln. Statt des Zwangs zur nicht verzinsten Staatsanleihe muss der Gesetzgeber die private Altersvorsorge reformieren und der Finanzindustrie die Freiheit zur Diversifikation eröffnen“, betont Raffelhüschen. „Wir werden bei den Zinsen in den nächsten Jahren keine Entspannung sehen“, ergänzt Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender von Union Investment. Daher sei es umso wichtiger und zielführender, den Aufbau von Vorsorgevermögen für breite Bevölkerungsschichten über den Zugang zu den Kapitalmärkten zu erleichtern. (mh)

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