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Steuern & Recht
26. Mai 2017
Anspruch auf Versicherungsleistung trotz Abfindung

Anspruch auf Versicherungsleistung trotz Abfindung

Ein Abfindungsvergleich über Schmerzensgeld, der einhergeht mit unvorhersehbaren Unfallfolgen und bei dem das Risiko deren Eintritts nicht angemessen abgefunden wird, kann sittenwidrig sein. Die eingetretenen Unfallfolgen müssen dafür von außergewöhnlichem Umfang sein. Das stellte der Oberste Gerichtshof in einem aktuellen Fall fest.

Bei einem Verkehrsunfall wurde Frau A. schwer an der linken Hand verletzt. Das alleinige Verschulden am Unfall traf B., weshalb sie von dessen Kfz-Haftpflichtversicherer Schadenersatz verlangte. Der Versicherer verlangte die Einholung eines medizinischen Gutachtens zur Feststellung des Schmerzensgeldes sowie Spät- und Dauerfolgen. Der Versicherer verfügte bereits über Arbeitsunfähigkeits-Bestätigungen und die Krankengeschichte, woraus ersichtlich war, dass der Endheilungszustand noch länger auf sich warten lassen werde. Auf Bitten von A stellte der Versicherer für die Zahlung eines Pauschbetrags eine Generalabfindungserklärung aus. Etwa ein Jahr nach Unterzeichnung dieser Erklärung klagte sie allerdings auf weiteres Schmerzensgeld und begehrte die Feststellung der Haftung von B und des Versicherers, da nach Abgabe der Abfindungserklärung für sie nicht vorhersehbare Komplikationen außergewöhnlichen Umfangs auftraten. Das bisher gezahlte Schmerzensgeld steht deshalb in einem krassen und unzumutbaren Missverhältnis zu den tatsächlich erlittenen Verletzungen und Schmerzen. Ein Beharren auf der Abfindungserklärung sei sittenwidrig.

Das Urteil des Gerichts

Das Erstgericht entschied gegen Frau A., da keine unvorhergesehenen Folgen aufgetreten sind. Dem vorliegenden Gutachten mit einem Schmerzensgeldbetrag von 14.500 Euro steht ein bezahltes Schmerzensgeld von 8.000 Euro gegenüber. Um von einem „ganz krassen und dem Geschädigten völlig unzumutbaren Missverhältnis“ auszugehen, müsse der tatsächliche Schaden „ein Vielfaches der Abfindungssumme betragen, wobei letztlich die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind“. In diesem Sachverhalt stehen die Beträge in keinem „völlig unzumutbaren Missverhältnis“. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung. Die vorhersehbaren Unfallfolgen seien mit einem umfassenden Abfindungsvergleich endgültig bereinigt. Im Fall, dass künftig noch nicht vorhergesehene Spätfolgen eintreten, wäre die Sachlage unter Umständen neu zu bewerten.

Folgen schwer abschätzbar

Frau A. habe mit weiteren Schmerzen rechnen müssen. Deren Ausmaß und Intensität seien für sie als medizinische Laiin jedoch ebenso wenig abschätzbar gewesen wie die Heilungsdauer, der Heilungsverlauf oder die Konsequenz einer dauerhaften Beeinträchtigung. Aus damaliger Sicht war eine Globalbemessung des Schmerzensgeldes nicht möglich. Auch der Versicherer war bei der Erstellung des Angebots auf eine grobe Einschätzung angewiesen. Die nicht vorhersehbaren Unfallfolgen müssen laut OGH in die Sittenwidrigkeitsprüfung der Abfindungserklärung mit einbezogen werden. Die Einbeziehung nicht vorhersehbarer Schäden und die Verzichtserklärung des Geschädigten bürden das Risiko der Verschlechterung des Gesundheitszustands oder des Eintritts weiterer Folgeschäden einseitig dem Geschädigten auf, sofern die Abfindungssumme nur auf Basis der bekannten Schäden berechnet wurde, so der OGH. Wenn der Geschädigte auch für die Übernahme dieses Risikos angemessen abgefunden wird und die Höhe dieser Risikoabfindung in die Vereinbarung eingeflossen ist, liegt keine Sittenwidrigkeit vor. (kk)

OGH, Urteil vom 28.03.2017, Az.: 2Ob71/16d