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1. August 2023
Berufsunfähigkeit: Produktentwicklung der Versicherer stagniert
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Berufsunfähigkeit: Produktentwicklung der Versicherer stagniert

Die Produktentwicklung der Versicherer in der BU tritt auf der Stelle. Das ist das Ergebnis der aktuellen Analyse „Marktstandards in der BU“ des Analysehauses infinma. Dennoch bleibt die Qualität in der Breite der untersuchten Tarifwelt hoch. Unterschiede sind vor allem in den Details einzelner Kriterien zu finden, zum Beispiel bei den Regelungen für befristete Anerkenntnisse.

„Inzwischen scheint die BU in vielen Häusern in den Winterschlaf gegangen zu sein“, kommentierte Dr. Jörg Schulz, Geschäftsführer beim Institut für Finanz-Markt-Analyse GmbH (infinma), die aktuellen Ergebnisse der Untersuchung „Marktstandards in der BU“. Denn gegenwärtig würden sich laut infinma-Analyse die Anstrengungen der Versicherer bei der Produktentwicklung in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) lediglich auf vermeintlich immer neue Prämiensenkungen und dem „Erfinden“ neuer Berufsbilder beschränken. Die Analysten führen diese Stagnation in der BU vor allem auf den Konkurrenzdruck durch die Grundfähigkeitsversicherung zurück.

Meldepflicht über Wiederaufnahme einer Tätigkeit birgt Unsicherheiten

„Das ist insofern schade, da es immer noch einige Themen gibt, bei denen auf der Bedingungsseite Luft nach oben wäre. Nach wie vor ist es bspw. bei drei von vier Tarifen im Leistungsfall erforderlich, dass die versicherte Person von sich aus die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit anzeigen muss. Das ist durchaus nicht so trivial, wie es sich anhört“, ergänzte Marc Glissmann, ebenfalls infinma-Geschäftsführer. Denn eine Minderung des BU-Grades könne die versicherte Person häufig gar nicht erkennen, da ihr der medizinische Sachverstand dafür fehle.

Außerdem bestehe bei der Änderung bzw. Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit Uneinigkeit darüber, welche Ausprägung und welchen Umfang eine solche Tätigkeit annehmen muss. So sei unklar, ob bspw. bei einem berufsunfähigen Rechtsanwalt das Schreiben eines Buches oder das vereinzelte Halten von Vorträgen bereits unter die Vorschriften falle. Für die versicherte Person ist es daher vorteilhafter, wenn der Versicherer selbst in regelmäßigen Abständen nachfragen würde.

Befristete Anerkenntnisse sind für den Versicherten nicht immer vorteilhaft

Ein weiterer Kritikpunkt der infinma-Analyse bezieht sich auf die Möglichkeit seitens der Versicherer, BU-Leistungen befristet anzuerkennen. Ein solches befristetes Anerkenntnis sei deswegen erforderlich, da die Prüfung einer BU wegen der komplexer werdenden Berufsbilder oft erhebliche Zeit in Anspruch nehme. Die Berufsunfähigkeitsrente muss dann nur für den Zeitraum der Befristung – häufig zwölf oder 18 Monate – geleistet werden. Allerdings begründe ein befristetes Anerkenntnis keine rechtlich bindende Leistungspflicht. Zudem könne währenddessen die Frage nach einer eventuellen Verweisbarkeit zurückgestellt werden.

Ein befristetes Anerkenntnis kann daher laut infinma für die Versicherten durchaus problematisch werden. „In mehr als der Hälfte aller Tarife ist [dennoch] ein befristetes Anerkenntnis vorgesehen. Das ist aus Kundensicht nicht zwingend vorteilhaft; vor allem dann nicht, wenn der Kunde im Anschluss an die Befristung einen komplett neuen Leistungsantrag stellen muss“, erklärt Glissmann weiter.

In der Breite ist die Qualität unverändert hoch

Trotz dieser Schwachstellen kommt das Analysehaus zu dem Ergebnis, dass die Qualität der Bedingungen in der Breite relativ hoch ist und Unterschiede in den Produkten vor allem in den Detailregelungen zu einzelnen Kriterien zu finden sind – zum Beispiel bei der Frage, wie lange Leistungen wegen Arbeitsunfähigkeit (AU) erbracht werden. Als Marktstandard gilt nach wie vor, dass bei einer AU keine BU-Rente von den Versicherern geleistet wird. In knapp 41% der untersuchten BU-Tarife ist das nämlich der Fall. Bei immerhin 20% der BU-Tarife wird bei einer AU allerdings auch eine BU-Rente für maximal 24 Monate gezahlt.

Mehr als die Hälfte der BU-Tarife erfüllt Marktstandards

Wie üblich vergibt infinma kostenlose Zertifikate für die Produkte, die in allen 18 Kriterien gleichzeitig den Marktstandard mindestens erreichen oder diesen übertreffen. Konkret konnten von den 72 in der aktuellen Studie untersuchten Gesellschaften 42 zertifiziert werden, von den 439 untersuchten Tarifen erhielten 244 ein infinma-Zertifikat. Damit haben knapp 55% aller auf dem deutschen Markt verfügbaren verkaufsoffenen BU-Tarife ein Zertifikat erhalten.

„Für das nächste Update der Marktstandards werden wir erneut prüfen, ob es nicht an der Zeit und sinnvoll ist, das eine oder andere Kriterium auszutauschen. Teilzeitregelung, Verlängerungsoption oder Krebshilfen u. ä. könnten sich dabei anbieten. Möglicherweise kommt dann auch wieder ein wenig Bewegung in die Marktstandards“, gab Schulz einen Ausblick auf die Zukunft.

Über die BU-Marktstandards

Bereits seit 2011 veröffentlicht infinma regelmäßig die sogenannten Marktstandards in der Berufsunfähigkeitsversicherung. Damit will das Institut sowohl Vermittlern als auch Versicherern wichtige Informationen über die am Markt üblichen und verbreiteten Regelungen in den BU-Bedingungen geben.

Im Rahmen der BU-Marktstandards analysiert infinma die Qualitätsmerkmale in den Versicherungsbedingungen der gegenwärtig im Markt befindlichen BU-Tarife. Dabei werten die infinma-Analysten insgesamt 18 Kriterien darüber aus, welche konkreten Ausprägungen es in den Bedingungen dazu tatsächlich gibt. Das Vorkommen dieser Ausprägungen wird dann gezählt, und diejenige Ausprägung, die am häufigsten vorkommt, definiert den Marktstandard im Sinne einer „marktüblichen Durchschnittsregelung“. Ausdrücklich nicht Gegenstand der infinma BU-Marktstandards ist die Entwicklung eigener Mindestanforderungen oder aus Kunden- oder Beratersicht wünschenswerter Produkteigenschaften. (as)

Die aktuellen Marktstandards können demnächst hier auf der infinma-Website abgerufen werden.

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