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Steuern & Recht
12. September 2017
BGH ändert Rechtsprechung: Schmerzensgeld für Verletzungen aus Polizeieinsatz?

BGH ändert Rechtsprechung: Schmerzensgeld für Verletzungen aus Polizeieinsatz?

Wer bei hoheitlichen Eingriffen wie bei einem Polizeieinsatz zu Schaden kommt, kann einen Anspruch auf Ausgleich der erlittenen Schäden haben. Ob dazu auch Schmerzensgeld zählt, hat jetzt der Bundesgerichtshof entschieden und dabei seine Rechtsprechung von 1956 aufgegeben.

Der Bundesgerichtshof hatte darüber zu entschieden, ob der Anspruch auf Entschädigung für hoheitliche Eingriffe in Leben, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit (sogenannte Aufopferung) auch einen Schmerzensgeldanspruch umfasst.

Schüsse auf Döner-Restaurant mit falschen Verdächtigen

Im verhandelten Fall forderte der Kläger Schadenersatz wegen einer Verletzung, die er bei einem Polizeieinsatz erlitt. Er befand sich zusammen mit einem Mitarbeiter in einer Tankstelle, die von Polizisten gestürmt wurde. Sie fahndeten nach dem Fahrer eines PKW, der aus seinem fahrenden Wagen auf ein Döner-Restaurant geschossen hatte.

Weil das Tatfahrzeug an der Tankstelle gesichtet wurde und auch die grobe Personenbeschreibung der Täter auf den Kläger und seinen Begleiter passte, vermuteten die Polizeibeamten, dass es sich bei ihnen um die Tatverdächtigen handele. Als die Polizisten in die Tankstelle liefen, forderten sie daher beide auf, die Hände hoch zu nehmen, brachten sie zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Dabei erlitt der Kläger eine Schulterverletzung. Es stellte sich jedoch heraus, dass beide mit der Schussabgabe nichts zu tun hatten. Der Kläger verlangt Ersatz des Vermögensschadens, den er aufgrund der Verletzung erlitt sowie ein Schmerzensgeld.

Entschädigung auch für immaterielle Schäden durch Aufopferung

Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Kläger einen Entschädigungsanspruch aus Aufopferung, weil die Polizisten – wenn auch rechtmäßig – die beiden festhielten, um ihre Identität festzustellen. Dadurch steht ihnen ein Ausgleich der materiellen Schäden zu.

Der Bundesgerichtshof hat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung jetzt erkannt, dass der Entschädigungsanspruch aus Aufopferung auch den Ausgleich immaterieller Schäden, mithin auch ein Schmerzensgeld beinhaltet. Von einem Willen des Gesetzgebers, die Ersatzpflicht bei Eingriffen in „immaterielle Rechtsgüter“ grundsätzlich auf daraus folgende Vermögensschäden zu beschränken, könne nicht mehr ausgegangen werden.

Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. 07.2002 und der hierdurch bewirkten Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs infolge der Änderung des § 253 BGB habe der Gesetzgeber diesen Grundsatz verlassen. Dies ergebe sich auch aus der Änderung der Vorschriften über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen im Jahr 1971, nach denen für zu Unrecht erlittene Haft eine Entschädigung auch für Nichtvermögensschäden gewährt werde. Zudem habe mittlerweile eine Vielzahl von Bundesländern Bestimmungen eingeführt, nach denen Ersatz auch des immateriellen Schadens bei Verletzung des Körpers oder der Gesundheit infolge präventiv-polizeilicher Maßnahmen geschuldet werde. (tos)

BGH, Urteil vom 07.09.2017, Az.: III ZR 71/17