AssCompact suche
Home
Management & Wissen
15. Juli 2020
Braucht es eine Covid-19-Zusatzerklärung zur Patientenverfügung?

Braucht es eine Covid-19-Zusatzerklärung zur Patientenverfügung?

Die Covid-19-Pandemie hat in Deutschland auch Fragen zur Patientenverfügung aufgeworfen. Ausgangsbasis ist die Frage, ob sich ein Bürger zusätzlich zur Patientenverfügung mithilfe einer Covid-19-Erklärung absichern sollte. Ein Kommentar von Ulrich Welzel, Berater für Patientenverfügungen

Nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie Mitte März erschienen im Internet Anzeigen von Anwälten und auch Finanzdienstleistern, die ihren Mandanten/Kunden zusätzlich zu einer bestehenden Patientenverfügung den Abschluss einer Covid-19-Zusatzerklärung empfahlen. Hintergrund der Empfehlung: Zum damaligen Zeitpunkt war nicht klar, ob es genügend Beatmungsgeräte auf deutschen Intensivstationen gegeben und wirklich jeder Patient eine intensivmedizinische Behandlung nach Wunsch bekommen hätte.

Beispielsweise war zu lesen, dass eine solche Zusatzerklärung sicherstelle, dass man im Falle einer Corona-Erkrankung und zu wenig Kapazitäten in der Klinik so behandelt werde, wie man das wolle. Mit dieser Aussage wird im Grunde suggeriert, dass der Patient sich nicht mehr mitteilen kann, und unabhängig davon, wie die Indikation (Heilungsaussicht) ausfällt, er bis zum letzten Atemzug intensivmedizinisch behandelt wird und auf jeden Fall einen der scheinbar begehrten Beatmungsplätze auf der Intensivstation bekommt.

Wie sieht die Realität aus?

Weil der Krankheitsverlauf nicht schlagartig mit der intensivmedizinischen Behandlung beginnt, steht, wie bei jedem anderen medizinischen Eingriff, am Anfang das Patienten-Arztgespräch. Dort kann der Patient seine Behandlungswünsche äußern.

Welche Behandlung wünscht sich die Risikogruppe wie Heimbewohner?

Im März 2020 wurden in einem Pflegeheim in Basel 50 Heimbewohner nach dem auch in Deutschland bekannten und von der gesetzlichen Krankenkassen bezahlten Konzept „Behandlung im Voraus planen (BVP)“ in zwei zirka neunzigminütigen Interviews befragt, welche Behandlung sie im Fall einer Covid-19-Erkrankung wünschen.

 

Braucht es eine Covid-19-Zusatzerklärung zur Patientenverfügung?

 

Das Ergebnis war für die Gesprächsbegleiter nicht überraschend. Fast die Hälfte der befragten Heimbewohner (48%) gaben an, im Fall der Fälle im Heim bleiben zu wollen. Die Mehrheit verlangte auch bei einem schweren Covid-19-Verlauf nur Behandlungen wie Symptom- und Schmerzlinderung sowie palliative Versorgung. Nur 10% verlangten lebensverlängernde Maßnahmen, aber beispielsweise jedoch nur in Form von Antibiotika. Alle befragten Heimbewohner wussten, dass sie, wenn sie sich nicht intensivmedizinisch behandeln lassen, eventuell an den Folgen der Erkrankungen versterben könnten.

 

Braucht es eine Covid-19-Zusatzerklärung zur Patientenverfügung?

 

Die andere Hälfte der Befragten gab an, ins Krankenhaus eingewiesen werden zu wollen. Allerdings lehnt sie eine künstliche Beatmung und Intensivbehandlung ab und wollen nur Linderung und palliative Versorgung. Nur 12% der Bewohner verlangten eine Behandlung auf einer Intensivstation.

Dezidierte Patientenverfügung

Deutschlands bekanntester Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns plädiert „[…] vor allem bei älteren Menschen und jenen mit diversen Vorerkrankungen für eine dezidierte Patientenverfügung, damit Schwerstkranke im Fall der Fälle nicht gegen ihren Willen und mit geringer Heilungschance maximal therapiert werden“. Mit dezidierter Patientenverfügung meint Thöns das auch in Deutschland sehr erfolgreich angewendete BVP-Konzept, wo am Ende ein Ärztlicher Notfallplan (ÄNo) steht, der von allen medizinischen Behandlern wie Notärzten, Rettungskräften, Pflegern und Medizinern als Patientenwille anzuerkennen ist.

Erwähnt sei, dass es Berater gibt, die anzweifeln, ob eine solche Form der Patientenverfügung im Ernstfall anerkannt werde. Doch in Deutschland gilt sie als rechtlich einwandfrei, findet Anwendung in Alten- und Pflegeheimen, gilt unter Medizinern als sehr aussagekräftig und wird seit Jahren nach § 132g Abs. 3 SGB von der GKV bezahlt.

Behandlung im Krankenhaus – Triage

Zu Beginn des Lockdowns in Deutschland kam – wie oben schon erwähnt – in der Bevölkerung kurzfristig Angst auf, dass nicht genügend Beatmungsgeräte auf den Intensivstationen bereitgestellt werden können, und Menschen nicht die Behandlung bekommen, die sie wünschen. Hier war von der Triage die Rede.

Triage kommt aus dem Französischen und bedeutet sortieren, aussuchen, auslesen. Die Deutsche Bezeichnung dafür ist Sichtung oder Einteilung, und entstammt begrifflich aus der Militärmedizin, wenn zum Beispiel nach einem Massenanfall von Verletzten oder anderweitig Erkrankten darüber zu entscheiden ist, wie die knappen personellen und materiellen Ressourcen aufzuteilen sind. In der Intensivmedizin, zum Beispiel in der Notaufnahme, wird die Triage als Ersteinschätzung bezeichnet und ist ein tagtäglich angewandtes Werkzeug, um die richtige Behandlung schnell einleiten zu können.

Einbeziehung der Angehörigen

Wenn an Covid-19 erkrankte Menschen ins Krankenhaus kommen, sind sie ansprechbar und werden über den möglichen Behandlungsverlauf informiert. Mit dem behandelnden Arzt wird die Behandlung festgelegt. Sollte der Betroffene im Laufe der Erkrankung intubiert und an eine künstliche Beatmung wie künstliche Ernährung angeschlossen werden, wird die Behandlung solange beibehalten, wie sie indiziert und medizinisch angemessen ist, also Heilungsaussichten bestehen. Verändert sich ein Behandlungsverlauf und besteht keine Indikation (Heilanzeige) mehr, setzt sich ein Team aus Medizinern, Pflegepersonal, oft auch Krankenhausethikern zusammen und berät über die weitere Vorgehensweise. Alles geschieht unter Einbeziehung der Angehörigen. Es ist keine Einzelentscheidung, wie vielfach zu lesen ist.

Der Mediziner Ertunc Altiok bringt es auf den Punkt: „Bei diesen Entscheidungen steht immer eine Frage im Raum: „Ist das mit dem Covid-19-Patienten vereinbarte Therapieziel noch erreichbar?“ Ist es nicht mehr erreichbar und nicht mehr indiziert, wird in Abstimmung mit den Bevollmächtigten das Therapieziel geändert. In Deutschland wird „[…] die Intensivtherapie in der Mehrzahl der Fälle nicht bis zum Eintritt des Todes fortgesetzt, sondern beendet, wenn es nicht länger sinnvoll erscheint,“ sagt Beatmungsspezialist Martin Bachmann. Prof. Dr. med. Uwe Janssens, Präsident die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) kommt zu dem Urteil: „Schon heute müssen wir jeden Tag, unabhängig von Covid-19, Entscheidungen treffen.“

Fazit
  • Da Covid-19-Erkrankte noch mit den Medizinern kommunizieren können, ist keine Zusatzerklärung notwendig, weil die Patientenverfügung nur zum Tragen kommt „… für den Fall, dass ich meinen Willen nicht mehr bilden oder verständlich äußern kann“.
  • Kann der Betroffene nicht mehr mit den Behandlern kommunizieren, ist es Aufgabe des Bevollmächtigten, die notwendigen Behandlungsschritte mit den Medizinern zu besprechen. Auch hier ist keine Zusatzerklärung notwendig.
  • Die meisten Betroffenen aus der Risikogruppe der über 60-Jährigen sind sehr klar in ihren Aussagen und wünschen sich oft nur eine gute palliative Versorgung anstatt einer intensivmedizinischen Behandlung.
  • Es gibt keine Garantie, auch nicht durch Zusatzerklärung, bis zum letzten Atemzug intensivmedizinisch behandelt zu werden, da jede Behandlung indiziert sein muss und sich Mediziner sonst der Körperverletzung schuldig machen würden.
  • Rechtssichere Patientenverfügungen für ihre Kunden finden Finanzdienstleister zum Bespiel beim Bayerischen Staatsministerium der Justiz, wo die Vorlagen kostenfrei herunterzuladen sind. Weitere rechtsichere Vorlagen sind beim C.H. Beck Verlag, Verbraucherzentrale, Stiftung Warentest zu erwerben.
  • Sehr gute, oft kostenfreie Beratungen zur Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht bekommen Menschen bei Betreuungsvereinen oder karitativen Trägern.
Zum Autor

Ulrich Welzel ist Trainer und Berater für Patientenverfügung und Vorsorgevollmachten (karitativer Träger), Ex-Banker und Inhaber der Brain!Active UnternehmerBeratung (www.brain-active.com).