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26. August 2021
Bullenmarkt: Gekommen, um (vorerst) zu bleiben

Bullenmarkt: Gekommen, um (vorerst) zu bleiben

Der Aktienmarkt hat den Corona-Crash schnell abgeschüttelt und ist zu einem Bullenmarkt zurückgekehrt. Doch der Anschein des neuen Bullenmarkts trügt. Tatsächlich verhalten sich die Märkte so, als wäre der alte Bullenmarkt noch gar nicht beendet.

Von Thomas Grüner, Gründer und Vice Chairman von Grüner Fisher Investments

Mit der Verbreitung von Impfstoffen in den Industrieländern – und ungeachtet der Ausbrüche der Delta-Variante – scheint die Covid-19-Pandemie endgültig auf dem Rückzug zu sein. Dies veranlasst viele Analysten und Beobachter zu der Spekulation, dass Aktien, die von einer wirtschaftlichen „Wiedereröffnung“ profitieren – wie Reise-, Freizeit- und Value-Titel, die stark vom Wirtschaftsumfeld beeinflusst werden –, die Märkte gegenüber großen, wachstumsorientierten Unternehmen anführen werden. Zu Beginn dieses Jahres waren sie auch eine Zeit lang führend. Die Rotation von Wachstums- zu Substanzwerten zu Beginn des Jahres sieht aber eher wie ein kurzer Gegentrend aus.

Der elfjährige globale Bullenmarkt, der nach der Finanzkrise 2008 entstand und der längste in der Geschichte war, endete im letzten Frühjahr unter höchst ungewöhnlichen Umständen. Als die Regierungen weltweit die Wirtschaft runterfuhren, preisten die Aktienmärkte den kommenden, plötzlichen wirtschaftlichen Abschwung mit dem schnellsten Kursabsturz der Geschichte ein (ein Rückgang von mehr als 20%) und markierten den Beginn eines Bärenmarkts. Normalerweise beginnen Bärenmärkte allmählich und beschleunigen sich erst nach Monaten des langsamen Rückgangs. Der Abschwung im letzten Jahr hin­gegen kam plötzlich – und war nach etwa einem Monat vorbei. Angesichts dessen wirkt die Entwicklung weniger wie ein traditioneller Bärenmarkt, sondern vielmehr wie eine überdimensionale Korrektur des Bullenmarktes. Und es ist nicht allein die Geschwindigkeit des Abschwungs, die darauf hindeutet.

Keine klassische Rezession

Institutionelle Schließungen und Restriktionen führten zu einer globalen Kontraktion. Aber auch dies war keine Rezession im klassischen Sinne, sondern eine konstruierte Kontraktion. Die Märkte erfassten diese Information schnell und die traditionelle Marktrotation, die man in rezessiven Umgebungen und Bärenmärkten sieht, fand nicht statt.

Falscher Fokus auf Value-Aktien

Zu Beginn eines typischen Bullenmarktes führen Value-Aktien den Markt an. Das war im letzten Jahr jedoch nicht der Fall, als die Aktien ihren Wiederaufstieg nach der kurzen Covid-19-Baisse begannen. Üblicherweise werden diese Firmen, die stark von der wirtschaftlichen Gesamtsituation abhängen, spät in Bullenmärkten besonders hart getroffen, da viele um ihr Überleben fürchten. Diese Angst schießt jedoch über die Realität hinaus und löst eine von Value-Titeln angeführte Erholungsrallye aus. Diese Dynamik treibt die traditionelle frühe Outperformance von Value-Werten an.

Aber dieses Mal gab es keine unverhältnismäßig große Panik bei Value-Titeln, entsprechend schwächer fiel die Erholungsrallye aus. So kam es, dass Wachstumswerte nach dem Tiefpunkt im März 2020 den Markt anführten, eine typische spätzyklische Eigenschaft. Der Markt verhält sich so, als würde der Bullenmarkt seit dem Frühjahr 2009 laufen. Viele Marktbeobachter sehen jedoch das Gegenteil: einen neuen, jungen Bullenmarkt, der noch viele positive Jahre vor sich hat. Dementsprechend erwarten sie, dass Value-Aktien den Weg anführen werden. Das könnte aber falsch sein.

Der große Demütiger

Ken Fisher betont regelmäßig, dass der Aktienmarkt „der große Demütiger“ ist – der Markt liebt es, die Massen zu täuschen. Grüner Fisher Investments ist zwar überzeugt, dass der aktuelle Bullenmarkt noch nicht am Ende ist, sein Ende dürfte aber näher sein, als viele derzeit denken.

Anfang dieses Jahres sorgten die Verbreitung von Impfstoffen und die Erwartung einer Lockerung der Beschränkungen für einen sprunghaften Anstieg der Value-Aktien. Für viele war dies der Beginn einer lang erwarteten Aufholjagd. Für uns sieht die frühe Führung der Value-Aktien in diesem Jahr jedoch eher wie ein typischer kurzer Gegentrend aus, der durch steigende globale Hoffnungen auf ein schnelles Wirtschaftswachstum unterstützt wurde. Diese Hoffnungen trieben nicht nur die Führung der Value-Aktien an, sondern auch den schnellen Anstieg der langfristigen Zinssätze. Dadurch wurde die Zinskurve steiler, was zu höheren Erwartungen für Bank­gewinne führte, die ein wichtiger Bestandteil der Value-Kategorie sind. In diesem Frühjahr zeigten Umfragen, dass Fondsmanager so positiv über Value-Aktien dachten wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Aber: Die Märkte waren sich all dieser Theorien bewusst. Solche bekannten Faktoren beeinflussen die Märkte selten für lange Zeit. Daher ist es keine Überraschung, dass die weltweiten langfristigen Zinssätze in letzter Zeit ins Wanken geraten sind. Das Gleiche gilt für die Führung von Value-Titeln. Seit Mitte Mai haben die globalen Wachstumswerte wieder die Führung übernommen – und zwar mit großem Abstand.

Ein Bärenmarkt steht nicht vor der Tür

Von hier aus erwarten wir nach dem dynamischen Aufholeffekt der letzten Monate eine Rückkehr zu einem langsameren Wirtschaftswachstum. Die Bedingungen dürften eher der vor der Pandemie herrschenden Norm eines langsamen Wirtschaftswachstums entsprechen. Es ist wahrscheinlich, dass sich der jüngste Inflationsanstieg abkühlt und die langfristigen Zinssätze in Schach hält.

Das spricht eher für Wachstumsaktien als für Value-Aktien – eine potenziell große Enttäuschung für Anleger, die eine Anlagestrategie mit Value-Titeln verfolgen. Hinzu kommt, dass Value-Aktien, insbesondere kleinere Aktien mit geringerer Liquidität, in der Regel eine niedrige Qualität aufweisen und dementsprechend in einer Baisse viel schlechter abschneiden als der breite Markt. Wie bereits erwähnt rechnen wir nicht mit einem unmittelbar bevorstehenden Bärenmarkt, aber Investoren, die die spätzyklischen Eigenschaften dieses Bullenmarktes ignorieren, könnten daher eine böse Überraschung erleben.

Optimistisches Marktsentiment spricht gegen frühen Bullenmarkt

Die aktuelle Marktstimmung spricht ebenfalls dafür, dass sich dieser Bullenmarkt in einem späten Stadium befindet: Optimismus macht sich breit und die Anleger agieren zunehmend euphorisch in einzelnen Segmenten wie Kryptowährungen, digitalen Assets und SPACs. Das ist untypisch für einen frühen Bullenmarkt, in dem üblicherweise der Pessimismus dominiert. Daher sei zur Vorsicht gemahnt: Viele erwarten derzeit einen enormen konjunkturgetriebenen Wirtschaftsboom, der eine jahrelange Value-Führerschaft nach sich ziehen wird. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass ein großer und langfristiger Anstieg der Wirtschaftsaktivität bevorsteht. Es gibt jedoch auch gute Nachrichten: Der positive Start der globalen Märkte in diesem Jahr sollte anhalten.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 08/2021 und in unserem ePaper.

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Ein Artikel von
Thomas Grüner