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16. Dezember 2022
Debatte um Renteneintrittsalter: Kommt große Rentenreform?

Debatte um Renteneintrittsalter: Kommt große Rentenreform?

Angesichts der vielen Meldungen über die steigende Beliebtheit der „Rente mit 63“ gibt es in der deutschen Politik derzeit mehrere Stimmen zum reglementierten Renteneintritt in der Bundesrepublik. Die Union hält sogar eine „große Rentenreform“ für möglich.

Die Stimmen in der deutschen Politik nach einer genaueren Inspektion der Regeln zum Renteneintritt häufen sich – sei es Bundeskanzler Olaf Scholz, Oppositionsführer Friedrich Merz, oder aber der erste parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Johannes Vogel.

Angeregt wurde die Diskussion in erster Linie durch neue Zahlen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), die belegen, dass die Zahl der Erwerbstätigen bei den Über-64-Jährigen in Deutschland stagniere. Diese Zahlen stehen auch im Einklang mit Daten der Deutschen Rentenversicherung (DRV), laut denen die Rente mit 63 immer beliebter werde (AssCompact berichtete).

Mehr Erwerbstätige zwischen 60 und 64

Die Untersuchung der BiB zeigt aber auch: Zwischen 2000 und 2015 hat sich bei 60- bis 64-jährigen Männern die Erwerbstätigenquote mehr als verdoppelt, bei Frauen im gleichen Alter sogar vervierfacht. Dieser Trend wurde von den zwischen 1940 und 1950 geborenen Personen bestimmt, die länger erwerbstätig waren als die Geburtsjahrgänge vor ihnen. Dazu trugen verschiedene Faktoren bei, zum einen gab es politische Reformen, die den längeren Verbleib im Arbeitsmarkt gefördert haben. Gleichzeitig können heute im Vergleich zu früher mehr Tätigkeiten auch noch im höheren Alter ausgeführt werden. Und: Ältere Personen seien im Durchschnitt gesünder im Vergleich zu früheren Generationen, erklärt Harun Sulak, wissenschaftlicher Mitarbeiter am BiB.

Fast jeder Dritte ging 2021 frühzeitig in Rente

Für viele scheint aber mit spätestens 64 Schluss zu sein. Bei den stark besetzten Babyboomer-Jahrgängen, die aktuell auf den Ruhestand zugehen, lassen sich in den letzten Jahren hingegen kaum noch Anstiege bei der Erwerbstätigenquote verzeichnen. Viele scheiden mit 63 oder 64 Jahren, und damit deutlich vor der Regelaltersgrenze, aus dem Berufsleben aus. Wie auch schon die DRV im November meldete, spiele hierbei die seit 2014 bestehende Möglichkeit des frühzeitigen Rentenbezugs ohne Abschläge für besonders langjährig Versicherte, die sogenannte „Rente mit 63“, eine große Rolle.

Fast jeder dritte Zugang zur Altersrente erfolgte 2021 über diesen Weg, sagt das BiB. Außerdem nähmen vermehrt Personen, die vor der Regelaltersgrenze in den Ruhestand gehen, Abschläge bei der Rentenhöhe in Kauf. Etwa ein Viertel der Neurentner im Jahr 2021 entfällt auf diese Gruppe. Durchschnittlich erfolgte der Renteneintritt bei ihnen knapp 28 Monate vor der Regelaltersgrenze.

Stagnation nicht förderlich für Problem des Fachkräftemangels

Nicht außer Acht lassen darf man bei dem Thema den Einfluss der Stagnation der Erwerbstätigen auf das volkswirtschaftliche Arbeitsangebot in der Generation der Babyboomer-Jahrgänge. Der vorzeitige Austritt verstärke, so das BiB, den Mangel an erfahrenen, qualifizierten Arbeitskräften. Noch offen sei die Entwicklung bei den jüngeren nach 1960 geborenen Babyboomern, die momentan auf den Renteneintritt zugehen. Zum einen steigen die Altersgrenzen auch für besonders langjährig Versicherte dynamisch an, wodurch nachfolgende Geburtsjahrgänge für diesen Rentenzugang etwas länger arbeiten müssen als vorherige.

Außerdem könne man nur schlecht abschätzen, in welchem Umfang auch weiterhin Abschläge zur Regelaltersrente für einen vorgezogenen Ruhestand in Kauf genommen würden. Teilweise könnte auch die Corona-Pandemie zu früheren Austritten aus dem Erwerbsleben geführt haben, ein Effekt, der zukünftig weniger bedeutsam sein sollte. Der weiter zunehmende Fachkräftemangel könnte jedoch auch einen Vorteil mit sich bringen, nämlich dass durch geeignete Rahmenbedingungen Anreize für längere Erwerbsleben geschaffen werden, heißt vom BiB. Um Arbeitskräfte länger im Erwerbsleben zu halten, müssten Anreize deutlich vor dem Eintritt in den Ruhestand erfolgen.

Scholz will weniger Frührentner

Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich nach Veröffentlichung der Zahlen bereits am Wochenende besorgt über die hohe Zahl der Frührentner. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte er, dass man den Anteil derer steigern müsse, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können, was vielen heute schwerfalle. Auch gebe es seiner Ansicht nach Steigerungspotenzial beim Anteil von Frauen im Arbeitsmarkt. Dafür müsse man aber Ganztagsangebote in Krippen, Kitas und Schulen ausbauen.

In der Folge begrüßten mehrere den Vorstoß von Kanzler Scholz, so z.B. Michaela Engelmeier, die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland gegenüber der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Ihrer Meinung nach sei es richtig, mehr zu tun, damit Ältere länger arbeiten können, etwa durch Umschulungen oder bessere Arbeitsbedingungen. Allerdings sei es auch wichtig, dass die Menschen aus gesundheitlicher Sicht tatsächlich bis zur Regelaltersgrenze arbeiten könnten.

FDP fordert flexiblere Rente

Auch der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Johannes Vogel, machte sich mehreren Medienberichten zufolge stark für eine Überarbeitung des Rentenmodells. Für ihn stehen Freiheit und Flexibilität dabei an oberster Stelle. Wenn es nach ihm gehe, müsse keiner den Menschen mehr vorschreiben, wann sie in Rente gehen sollen und verwies dabei auf das schwedische Rentenmodell. Dort können die Bürger innerhalb eines gewissen Rahmens selbst entscheiden, wann sie in Rente gehen möchten – mit weniger Rente, je früher man geht.

Laut Vogel erreiche man in Schweden so das höchste faktische Renteneintrittsalter in Europa und generiere außerdem mehr Selbstbestimmung für die Menschen. Diese Selbstbestimmung scheint unter älteren Menschen stark nachgefragt, wie “Deutschlandfunk Kultur“ unter Berufung auf die neue Studie „lidA – leben in der Arbeit“ von der Bergischen Universität Wuppertal meldet. Seit 2011 werden darin bis zu 9.000 ältere Erwerbstätige aus den Babyboomer-Jahrgängen dazu befragt, wie lange sie arbeiten wollen und können. Und laut Studienleiter Hans Martin Hasselhorn gebe es eine „Kultur des Frühausstiegs“, sowohl bei Babyboomern als auch in jüngeren Generationen. Der Hauptgrund dafür sei laut Hasselhorn, dass viele über ihr Leben mehr selbst bestimmen wollen – mehr Freizeit, das Leben zu genießen, bevor es zu spät ist.

Rufe nach Rentenreform

Sowohl in der Opposition als auch in der Koalition steigt die Zahl der Gespräche zu einer möglichen Rentenreform, so z. B. vonseiten des Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch im „Deutschlandfunk“. Für ihn sei es wichtig, älteren Menschen das Arbeiten zu ermöglichen, jedoch nicht mit einem Zwang, im hohen Alter weiterzuarbeiten, sondern mit altersgerechten Arbeitsplätzen. Auch CDU-Fraktionschef Friedrich Merz ist laut „Deutschlandfunk Kultur“ gewillt, mit der Ampel-Koalition Gespräche über eine große Rentenreform zu führen.

Einem Bericht der „Zeit“ zufolge habe Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) weiterhin angekündigt, bald ein Rentenpaket II vorzulegen, welches die Weichen für eine langfristige Stabilisierung der Rente stellen soll. Sicher an dieser Stelle ist jedenfalls, dass der Bundeskanzler mit seinem Kommentar über die vom BiB veröffentlichten Zahlen eine längere Diskussion angeheizt hat, zu der sich mehrere Verbände und Parteien eingeschaltet haben. Die langfristigen Konsequenzen davon müssen sich aber noch zeigen. (mki)

Bild: © N. Theiss – stock.adobe.com