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30. März 2020
Der Versicherungsombudsmann und die Rolle der Schlichtungsstelle

Der Versicherungsombudsmann und die Rolle der Schlichtungsstelle

Der Versicherungsombudsmann e. V. ist eine anerkannte Verbraucherschlichtungsstelle. Doch die Schlichtersprüche des Vereins stellen nicht bloße Empfehlungen dar. Für Versicherer sind sie bis zu einem gewissen Streitwert bindend. Interview mit Versicherungsombudsmann Dr. h. c. Wilhelm Schluckebier.

Herr Dr. Schluckebier, Sie sind seit letztem Jahr Versicherungsombudsmann, und das nach einer Karriere als Richter, die Sie sogar bis an den Bundesgerichtshof und an das Bundesverfassungsgericht geführt hat. Was hat Sie bewogen, dem Ruf an die Schlichtungsstelle zu folgen?

Zum einen war das die Überzeugung, nahe an den Alltagsproblemen vieler Menschen noch etwas zur Streitkultur und zum Rechtsfrieden beitragen zu können. Gereizt hat mich zum anderen auch, das unbürokratische, effektive und schnelle, privat organisierte Streitbeilegungsverfahren mitgestalten und erleben zu können. Beim Bundesverfassungsgericht, wie zuletzt am Ende meiner beruflichen Laufbahn, ist man als Richter doch häufig sehr weit weg von den Folgewirkungen der Entscheidungen. Das ist hier, beim Versicherungsombudsmann, ganz anders.

Die Versicherer haben sich verpflichtet, der Entscheidung des Ombudsmannes zu folgen – bis zu einem Streitwert von 10.000 Euro. Wie ist die Akzeptanz bei Schlichtungssprüchen mit einem höheren Streitwert?

Die Empfehlungen des Ombudsmanns bei Streitwerten zwischen 10.001 und 100.000 Euro werden von den Beteiligten überwiegend positiv aufgenommen. Sie erhalten so auch ein laienverständliches Rechtsgutachten. Die Empfehlungen und gutachtlichen Stellungnahmen sind oft auch Grundlage für weitere Verhandlungen zwischen den Beteiligten. Selbst wenn diese sich nicht einigen können, haben sie so eine solide rechtliche Grundlage für ihre Entschließung über ihr weiteres Vorgehen.

Beschwerden in der Rechtsschutzversicherung machen den zahlenmäßig größten Teil der Fälle Ihrer Schlichtungsstelle aus. Woran liegt das?

Im Jahr 2019 haben sich die Zahlen ein wenig verschoben: Immerhin aber ist die Rechtsschutzversicherung bei den Beschwerden die zweitstärkste Sparte hinter der Lebens­versicherung. Das liegt an der gesellschaftlichen Entwicklung, aber auch an der Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Immer mehr Menschen sind rechtsschutzversichert. Verschiedene Phänomene führen zu Konflikten, die bei den Rechtsschutzversicherern viele Deckungsanfragen auslösen. Hinzu kommen noch ungeklärte Rechtsfragen, oft solche nach der Reichweite und Auslegung von Risikoausschlussklauseln. Und der Bundesgerichtshof (BGH) entwickelt seine Rechtsprechung fort. Daraus resultieren ebenfalls Folgefragen, deren Beantwortung schwierig und umstritten ist. Jüngstes Beispiel ist die Spruchpraxis des BGH zur zeitlichen Einordnung des Rechtsschutzfalles in ihrer Relevanz etwa für die Zuordnung des Rechtsschutzfalles zu bestimmten Leistungsarten oder für die Geltung von Risikoausschlüssen. Konkret: Wenn ein Versicherungsnehmer Vertragsrechtsschutz vereinbart hat und er aus Vertrag in Anspruch genommen wird, nachdem zuvor jemand anderes unter seiner „gestohlenen Identität“ betrügerisch Internetgeschäfte unter seinem Namen gemacht hat und er sich gegen die Inanspruchnahme aus Vertrag verteidigen will , dann ziehen Versicherer zum Teil die Folgerung aus der neuen BGH-Rechtsprechung, der Fall sei nicht in der Leistungsart „Vertragsrechtsschutz“ versichert. Warum? Nach dieser Rechtsprechung komme es für die Bestimmung des Rechtsschutzfalls auf den Vortrag des sich verteidigenden Rechtsschutz-Versicherungsnehmers an. Der Versicherungsnehmer behauptet hier nun ja selbst gerade, es sei gar kein Vertrag mit ihm zustande gekommen. Deshalb sei also, so der Versicherer, kein Vertragsrechtsschutz gegeben. Das ist nur ein Beispiel für solche Folgeprobleme.

Wie schätzen Sie das zukünftige Beschwerdeaufkommen ein?
Gerade im Hinblick auf die drohenden Herausforderungen der Rechtsschutzversicherer?

Es scheint sich abzuzeichnen, dass das Aufkommen von Beschwerden in der Rechtsschutzversicherung leicht zurückgeht. Im Mai werden wir die Zahlen des Jahres 2019 vorstellen. In unserem kurzen Tätigkeitsbericht per 01.02.2020 sind sie schon enthalten. Danach belief sich die Zahl der Eingänge bei den Beschwerden im Jahr 2019 in der Rechtsschutzversicherung auf 3.561. Zum Vergleich: 2018 waren es 3.773, im Jahr 2017 noch 4.015. Die Tendenz ist also leicht fallend. Was die Zukunft für die Rechtsschutzversicherungsbeschwerden bringen wird, lässt sich nicht vorhersehen. Die Beschwerdezahlen im Rechtsschutzbereich werden im Spartenvergleich aber wohl weiter mit zu den Spitzenreitern gehören.

Wenn das Instrument der Musterfeststellungsklage weitere Verbreitung findet, ist der Bedarf nach einer Schlichtungsstelle groß, vor der die einzelnen Beschwerdeführer ihren Fall darlegen. Würde sich Ihr Verein auch für solche Schlichtungen in großer Zahl eignen?

Die Zuständigkeit des Versicherungsombudsmanns ist bekanntlich branchenspezifisch begrenzt. In der Vergangenheit hatten wir bereits große Serien von Beschwerden. Zuletzt die in der Folge des sogenannten Dieselskandals in der Sparte der Rechtsschutzversicherung. Solche Serien haben wir durch organisatorische Maßnahmen bislang ohne Weiteres bewältigt. Das stimmt mich für den Fall der Fälle optimistisch.

Wie steht es um die Musterfeststellungklage im Dieselskandal bzw. welche Auswirkungen erwarten Sie im Rahmen der Rechtsschutzversicherung zu diesem Thema?

Der Stand im Musterfeststellungklageverfahren gegen VW ist aus den Medien bekannt. Das Oberlandesgericht hat Vergleichsgespräche initiiert. Diese finden derzeit zwischen VW und dem Verbraucherzentrale Bundesverband statt. (Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile liegt das Ergebnis vor. Mehr dazu hier.) In der Rechtsschutzversicherung hatten wir bereits viele Beschwerdeverfahren, auch solche, die andere Hersteller betrafen. Die Beschwerdezahlen zeigen jedoch im Moment eine deutlich abnehmende Tendenz. Denn aufgrund von Individualklagen gibt es für verschiedene Fallkonstellationen bereits eine Reihe von Entscheidungen der Oberlandesgerichte, die ein Stück weit Klarheit geschaffen haben. Soweit die Rechts- und Beweisfragen noch als offen gelten müssen, unterbreiten wir in der Rechtsschutzversicherung in manchen Fällen Schlichtungsvorschläge, die eine Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers mit einer bestimmten Quote vorsehen.

Wie sieht es beim sogenannten „unbefristeten Widerruf“ von Lebensversicherungen aus?
Auch hier könnte eine Schwemme von Beschwerden gegen Rechtsschutzversicherer drohen. Erwarten Sie in diesem Bereich eine schwierige Ausgangslage für Schlichtungsversuche?

Das sogenannte „ewige Widerrufsrecht“ bei Lebensversicherungs- und Darlehensverträgen aufgrund fehlerhafter Belehrungen beschäftigt uns weiter. Die große Welle früherer Jahre ist jedoch vorüber. Allerdings stellen wir jetzt fest, dass spezialisierte Kanzleien, auch im Wege von Online-Mandaten, alte Verträge, die bereits seit Langem beendet sind, mit Widerrufserklärungen für ihre Mandanten noch rückabwickeln wollen. Nachdem oft mehrere Jahre vergangen sind, berufen sich die Versicherer in solchen Fällen oft auf die Verwirkung des Widerrufsrechts. Hier ist die Einschätzung auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung oft schwierig: Die vom BGH für die Verwirkung aufgestellten Orientierungssätze sind sehr streng und stellen höchste Anforderungen an das Durchgreifen eines Verwirkungseinwandes. Andererseits überlässt der BGH aber die entsprechende Bewertung nach Treu und Glauben in weiten Teilen ausdrücklich den tatsacheninstanzlichen Gerichten. Diese sind zum Teil deutlich großzügiger, ohne dass das dann – ich lasse die Besonderheiten des Revisionsverfahrens zum BGH einmal beiseite – vom BGH beanstandet würde. Das macht die Entscheidung im Grenzbereich sowohl für die Rechtsschutzversicherer als auch für den Ombudsmann nicht gerade einfacher.

Die Rechtsschutzversicherer setzen verstärkt auf Mediatoren, um teure Gerichtsverfahren ihrer Kunden zu vermeiden. Bringt das Ihrer Meinung nach den gewünschten Erfolg?

Aus unseren Erfahrungen bei der Beschwerdebearbeitung heraus lässt sich das nicht verlässlich beurteilen. Informationen dazu erhalten wir über die Beschwerden meist nicht. Wenn, dann nur in dem Sinne, dass eine vorangegangene Mediation nicht zum Erfolg geführt hat.

LegalTechs stellen gerade für die Rechtsschutzversicherer eine ernst zu nehmende Konkurrenz dar. Wie sehen Sie die Bedeutung der LegalTechs für die Zukunft der Versicherungswirtschaft?

Bei der Beschwerdebearbeitung spielen LegalTechs bislang keine nennenswerte Rolle. In der Zukunft werden sie sich wohl ihren Platz am Markt weiter erobern. Aber ihre Möglichkeiten dürften begrenzt sein.

Bezogen auf Vermittler gibt es wenig Beschwerden in Ihrem Haus. Wie erklären Sie sich das?

Die geringe Anzahl von Vermittlerbeschwerden, 261 im Jahr 2019, könnte man naheliegender Weise als Ausdruck großer Zufriedenheit mit der Tätigkeit der Vermittler bewerten. Doch hier ist Zurückhaltung am Platze: Die geringe Zahl lässt eine Verallgemeinerung nur in engen Grenzen zu. Wir können solche Vermittlerbeschwerden in vielen Fällen auch als Beschwerde gegen ein Unternehmen führen, wenn der Vermittler als Erfüllungsgehilfe eines Versicherungsunternehmens tätig geworden ist und dessen Tätigkeit deshalb zivilrechtlich auch dem Unternehmen zugerechnet werden kann. Dies hat für den Versicherungsnehmer den Vorteil, dass wir nach unserer Verfahrensordnung auch die Möglichkeit haben, das Unternehmen bis zu einer Wertgrenze von 10.000 Euro zu verpflichten und nicht nur eine Empfehlung abzugeben. Im Verfahren der Vermittlerbeschwerden haben wir diese Befugnis zur verbindlichen Entscheidung nicht. Deshalb werden Beschwerden, denen Vermittlerhandeln, etwa ein behaupteter Beratungsfehler, zugrunde liegt, oft nicht als Vermittlerbeschwerden gezählt, sondern als solche gegen das Versicherungsunternehmen geführt. Im Übrigen ist es für die Versicherungsnehmer meist auch hinsichtlich der Folgen zielführender, sich an das in der Regel wirtschaftlich potentere Unternehmen zu halten.

Bild: © Gajus – stock.adobe.com

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 03/2020, Seite 38f. und in unserem ePaper.

 
Ein Artikel von
Dr. h.c. Wilhelm Schluckebier