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15. Juli 2021
Der Weg zum Gesundheitsdienstleister in der PKV

Der Weg zum Gesundheitsdienstleister in der PKV

Die Digitalisierung des Gesundheitssystems schreitet voran – dies erfordert einen Wandel in der privaten Krankenversicherung. Welche Wege private Krankenversicherungen beschreiten, um sich zu einem umfassenden Gesundheitsdienstleister zu entwickeln, zeigt eine Studie von zeb Consulting.

Von Mirko Theine, Senior Manager, und Kilian Gundlach, Manager bei der zeb.rolfes.schierenbeck.associates gmbh

Das Bild der privaten Krankenversicherung ist im Wandel. Der Blick auf den Markt zeigt: Immer mehr Anbieter möchten vom Kunden nicht mehr als reiner Kostenerstatter wahrgenommen werden, sondern als Dienstleister rund um das Thema Gesundheit. So erweitern die Anbieter zunehmend ihr Leistungsportfolio um ergänzende – oft digitale – Gesundheitsservices als kostenlose Zusatzleistung oder im Rahmen von speziellen Tarifen. Die Unternehmensberatung zeb Consulting hat das Angebot an Gesundheitsservices von 29 privaten Krankenvollversicherern analysiert.

Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen

Die Entwicklung hin zum Gesundheitsdienstleister wird insbesondere durch zwei Faktoren getrieben: Auf der einen Seite erschließen sich neue Möglichkeiten durch Digitalisierung, auf der anderen Seite wächst der Kostendruck durch das anhaltende Niedrigzinsniveau und steigende Kosten für medizinische Behandlungen.

In dieser Situation rückt der Kunde mit seinen Bedürfnissen ins Zentrum der Unternehmen. Die digitale Transformation führt jedoch nicht nur zu einer starken Veränderung im Gesundheitswesen, sondern hat auch erheblichen Einfluss auf das Verhalten und die Bedürfnisse der Patienten. Ein Paradigmenwechsel im Gesundheitsverhalten ist zu beobachten. Patienten reagieren nicht mehr reaktiv und passiv auf Krankheiten, sondern handeln proaktiv und präventiv, das heißt sie versuchen, mögliche aufkommende Krankheiten zu verhindern – sie konsumieren Gesundheit. Medizin und Gesundheit werden zu Lifestyle.

Als Anbieter umfassender Gesundheitsdienstleistungen steht die private Krankenversicherung ihren Kunden in jeder Situation zur Seite – bei Krankheit, Genesung und Gesunderhaltung. Hierin liegt eine große Chance – neue Touchpoints entstehen. Theoretisch mit jeder Nutzung eines attraktiven Services verknüpft der Kunde ein positives Erlebnis mit seinem Versicherer.

Neues Selbstverständnis der PKV

Die Studie zeigt, dass bereits heute ein breites Angebot an digitalen Gesundheitsservices existiert. Die Dienstleistungen erstrecken sich von Arznei- und Hilfsmittelservices bis hin zu Unterstützungsleistungen bei psychischer Erkrankung bzw. Stress. Auch das Angebot von Telemedizin ist insbesondere durch Covid-19 wieder in aller Munde. Die zusätzlichen (digitalen) Gesundheitsservices lassen sich entlang der Versorgungskette in die drei Kategorien „allgemeine“, „akute“ und „präventive“ Services einteilen.

Allgemeine Services haben sich bereits gut im Markt etabliert. Insbesondere Telemedizin und Instrumente im Case Management werden durch die großen PKV forciert und getrieben. Hinsichtlich der akuten Services ist festzustellen, dass diese an klaren Krankheitsbildern ausgerichtet sind. Häufige Erkrankungen wie Diabetes oder Tinnitus sind im Leistungsangebot verstärkt vertreten. Mit dem Angebot von „mySugr“ werden Diabetiker beispielsweise dabei unterstützt, alle Therapiedaten innerhalb einer App zu sammeln und stets alle wichtigen Werte tracken sowie analysieren zu können. Das Angebot von präventiven Services auf Seiten der PKV ist noch vergleichsweise wenig ausgeprägt, wird jedoch in Zukunft zunehmend an Bedeutung gewinnen. Angebote der Versicherer umfassen hier aktuell insbesondere Services im Bereich Rücken/Körperstärke, wie über die Gesundheitsapp „Kaia“, die ihren Nutzern individuelle digitale Therapieprogramme zur Linderung von Rückenschmerzen bietet.

Gruppe mittelständischer Challenger auf Augenhöhe mit den Großen in der Branche

Naturgemäß verfügen die größten Anbieter über das umfassendste Serviceangebot. Überraschenderweise steht ihnen aber eine Gruppe mittelständischer „Challenger“ in fast nichts nach. Ihr Erfolgsrezept lässt sich auf vier zentrale Erfolgsfaktoren zurückführen:

  • „Am Puls der Zeit“: Sie sind „Fast Follower“ in Bezug auf neue Entwicklungen und Trends am Gesundheitsmarkt
  • „Auf Kooperationen setzen“: Sie haben ein breites Netzwerk und Management an Kooperationen mit diversen Dienstleistern im Gesundheitsmarkt
  • „Den richtigen Partner an der Seite“: Sie arbeiten mit Dienstleistern eines breiten Serviceangebots zusammen und nehmen mehrere Services in Anspruch
  • „Basisanforderungen abdecken“: Ihr Fokus im Angebot zusätzlicher Services liegt insbesondere auf den Clustern „allgemeine Services“ und „akute Services“
Phase des Ausprobierens endet – Wirtschaftlichkeitsbetrachtung rückt in den Fokus

Der Blick hinter die Kulissen der Wandlung der privaten Krankenversicherer vom Kostenerstatter zum Gesundheitsdienstleister zeigt, dass nun zunehmend die Wirtschaftlichkeit in den Fokus gestellt werden muss. Die Kosten, die durch die zusätzlichen Services entstehen, müssen genau im Auge behalten werden. Auch die Annahme durch den Kunden sowie der Nutzen für den Versicherer müssen messbar gemacht werden, um beurteilen zu können, ob sich das Angebot langfristig lohnt und die Bedarfssituation der Kunden widerspiegelt. Eine aussagekräftige Datenbasis und eine passende Auswertung mittels Data Analytics ist hierbei von zentraler Bedeutung.

Die privaten Krankenversicherer stehen damit vor vielfältigen Herausforderungen. Zum einen gilt es, ein eigenes Gesundheitsnetzwerk aufzubauen, mit passenden Mehrwert-Services für Kunden. Zum anderen müssen das Dienstleister-/Kooperationsnetzwerk und angebotene zusätzliche Gesundheitsservices nachhaltig gesteuert und effizient administriert werden. Der Weg zu einer erfolgreichen Umsetzung ist dabei vorrangig durch drei Stellhebel geprägt:

  • Auswahl des passenden Dienstleistungsangebotes unter Berücksichtigung von Anbieter- und Kooperationspartnerintegration und Aufbau oder Beteiligung an Key-Partnern
  • Integration von Gesundheitsservices in Systemlandschaft und Administration über Systeme/Schnittstellen zur Etablierung von Controlling- und Steuerungsmechanismen
  • Definition eines strategisches Zielbildes zur Positionierung im Gesundheitsdienstleistungsmarkt und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung

Der Stellenwert für Gesundheit wird weiter steigen und somit Chancen für die privaten Krankenversicherungen bieten – die Branche steht am Wendepunkt. Es wird sich zeigen, welchen Anbietern es gelingen wird, den neuen Anforderungen von Kunde und Markt gerecht zu werden und sich langfristig als Partner für Gesundheit an der Seite des Kunden zu etablieren.

Bilder: Artikelfoto: © reineg – stock.adobe.com; Porträtfotos: © zeb

 
Ein Artikel von
Kilian Gundlach
Mirko Theine