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Steuern & Recht
21. Juli 2021
Die Stornohaftung im Versicherungsvertrieb

Die Stornohaftung im Versicherungsvertrieb

Selbst wenn die Rechtslage zur Stornohaftung im Versicherungsvertrieb unmiss­verständlich ist, kommt es in der Praxis häufig zum Provisionseinbehalt nach Gutsherrenart. Fachanwalt Jens-Dietrich Sprenger klärt die rechtlichen Hintergründe und zeigt betroffenen Vermittlern, wie sie sich zur Wehr setzen können.

Die Stornohaftung im Versicherungsvertrieb bleibt ein Mysterium, an dessen Handhabung sich in der Welt der Finanzvermittler, Versicherungs­gesellschaften und Bausparkassen die „Spreu vom Weizen“ trennt. Es bedarf keiner vertieften akademischen Ausführungen, dass im Versicherungsvertrieb die Unternehmen stets gehalten sind, einbehaltene Stornoreserven sukzessive nach Ablauf der gesetzlichen Haftzeit je Vertrag abzurechnen. Leider sieht die Praxis häufig anders aus.

Die Stornohaftung steht für eine Klausel, die häufig in Handelsvertreterverträgen zur Anwendung gelangt. Die Unternehmen vereinbaren mit dem Handelsvertreter einen beispielsweise 10%-igen Einbehalt der abzurechnenden Provisionen, die als Rücklage für den Storno-Haftungsfall unternehmensseitig gebildet wird.

Die Rechtslage zu dem Abrechnungsprozedere ist klar und unmissverständlich, die in der Praxis erlebten Abrechnungsprozesse sind hingegen immer wieder sehr fantasiereich, konturenlos individuell und Ausdruck einer jenseits von Recht und Gesetz geschaffenen Abrechnungsmethodik, die immer wieder beliebig zulasten der Vermittler eingesetzt wird.

Die nachfolgende Darstellung gewährt einen Überblick über den rechtlichen Rahmen, die geübte Praxis und Überschreitungen, denen entgegenzutreten ist.

Erfahrungen aus der Praxis

Es bestehen bei der Auflösung/Abrechnung der aus Stornohaftungsgründen einbehaltenen Provisionen häufig Probleme. Anstatt die Stornohaftungsbeträge in Höhe der angefallenen Provisionen nach Ablauf der jeweiligen vertragsspezifischen Stornohaftungszeit wieder aufzulösen, akkumulieren Unternehmen diese bisweilen schlicht über die Gesamtlaufzeit des Handelsvertretervertrages. In den Handelsvertreterverträgen getroffene Vereinbarungen gehen insoweit immer wieder deutlich über den gesetzlich gesteckten Rechtsrahmen hinaus. Bisweilen sieht man Regelungen, in denen sich Unternehmen neben dem prozentualen Einbehalt „weitere Storno-Einbehalte nach billigem Ermessen“ einräumen lassen oder vertragliche Klauseln vereinbaren, gemäß derer das Unternehmen zudem berechtigt sein soll, „von der abgerechneten Provision einen Abzug zur Abdeckung des Vertrauensschadenrisikos vorzunehmen“. Zudem werden sogar Ewigkeitsklauseln vereinbart, die das Unternehmen berechtigen sollen, „die Stornoreserve nicht vor Ablauf des letzten Stornohaftungsmonats aller über das Unternehmen vermittelten und abgerechneten Geschäfte auszubezahlen“.

Unternehmen, die den gesetzlichen Rahmen der Stornohaftung insbesondere auch in ihrem zeitlichen Anwendungs­bereich massiv überreizen, dürften wohl bereits aus administrativen, organisatorischen und technischen Gründen massive Schwierigkeiten haben, nachträglich auf Abrechnungsforderung die je einzelnem Vertrag abzurechnende Storno­haftung rückwirkend exakt und datumsgenau abzurechnen. Solche Probleme treten häufig dann auf, wenn ein bereits über Jahre nicht abgerechnetes Stornohaftungskonto plötzlich durch anwaltliche oder gerichtliche Hilfe abzurechnen ist. In solchen Situationen stellt sich dann gelegentlich heraus, was von gewissen Vertriebsstrukturen wohl intendiert ist, die Auszahlung der ein­behaltenen Stornoreserve nach dem „Zuckerbrot und Peitsche“-­Prinzip von der Gefälligkeit der Geschäftsleitung abhängig zu machen. Man hat auch schon gesehen, dass die über Jahre akkumulierten Konten der Stornohaftungsreserve zu zweckfremden Mitteln, beispielsweise Firmenreisen/Incentives eingesetzt wurden und der Rückzahlungs­anspruch sodann in der Willkür der Geschäftsleitung aufging.

Die Lage nach Recht und Gesetz

Vielfach verkannt ist bereits die aufsichtsrechtliche Rechtsgrund­lage gemäß § 49 Abs. 1 VAG, derzufolge die Versicherungsunternehmen und/oder Vertriebsgesellschaften sicherstellen müssen, dass angefallene Provisionen zumindest im Fall der Kündigung eines Vertrags durch den Versicherungsnehmer nur bis zur Höhe des Betrags ausbezahlt werden, der auch bei gleichmäßiger Verteilung der Provision über die ersten fünf Jahre seit Vertragsschluss bis zum Zeitpunkt der Beendigung, des Ruhendstellens oder der Prämienfreistellung angefallen wäre. Nach dem Wortlaut des Gesetzes betrifft dies nur ausdrücklich die substituierte Krankenversicherung und die Lebensversicherung (Bähr in: VAG, Kaulbach/Bähr/Pohlmann, 6. Auflage, § 49 Rn. 6; Grote in: VAG, Prölss/Dreher, § 49 Rn. 16;). Bei § 49 VAG handelt es sich, wie Abs. 2 so ausdrücklich zu entnehmen ist, um zwingendes Recht. Entgegenstehende Vereinbarungen sind folglich gemäß § 134 BGB nichtig. Für den Handelsvertreter bedeutet das, dass Provisionszahlungen, die über die gleichmäßige Verteilung der Provision über die ersten fünf Jahre seit Vertragsschluss hinausgehen, zu Unrecht erworben und deshalb nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung zu erstatten sind (Bähr in: VAG, Kaulbach/Bähr/Pohlmann, 6. Auflage, § 49 Rn. 9;). Sofern im Lichte der Norm Einbehalte vorgenommen werden, sind diese freilich in gleichlautender Strenge nach Ablauf der Haftzeit abzurechnen und auszubezahlen.

Die je Vertragsabschluss gebildete Stornoreserve darf deshalb bestenfalls so lange aufrechterhalten werden, wie für den betreffenden Vertrag noch eine gesetzliche Stornohaftung fortbesteht. Jede andere Rechtsauffassung hierzu ist schlicht unhaltbar, da die Bildung einer Stornoreserve ohnehin im Spannungsverhältnis zu der nicht dispositiven Norm des § 87c HGB und dem unabdingbaren Provisionsauszahlungsanspruch (Hopt in: Baumbach/Hopt, Handelsgesetz, § 87c HGB, Rn. 29) steht. Rechtlich suspendiert folglich die gemäß § 49 Abs. 1 VAG zu bildende Storno­reserve die Fälligkeit des Provisionsanspruchs gemäß § 87c HGB.

Der nach Versicherungsvertrag und Versicherungssparte differierende Stornohaftungszeitraum darf deshalb nicht ungewöhnlich lang sein und sich keinesfalls auf die Gesamtlaufzeit des Handelsvertretervertrages erstrecken (Emde in: Emde, Vertriebsrecht, Kommentierung zu §§ 84 bis 92c HGB, § 92 Rn. 22).

Tatsächlich besteht folglich die rechtliche Verpflichtung, mit Ablauf der Stornohaftzeit je Vertrag die jeweils vertraglich zurückgehaltene Reserve freizugeben und ordnungsgemäß abzurechnen (Emde in: Emde, Vertriebsrecht, Kommentierung zu §§ 84 bis 92c HGB, § 92 Rn. 22; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.01.1990 – Az.: 16 U 97/89, BB 1990, 1086), da es Wirksamkeitsvoraussetzung für die Bildung einer Stornoreserve ist, dass die Kontogutschrift am Tag der Fälligkeit erfolgt (Ebenroth/Löwisch, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, HGB § 87a Rn. 47).

Angesichts des unabdingbaren Rechtscharakters von § 87c HGB (Hopt in: Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, § 87c HGB, Rn. 29) eigentlich eine Selbstverständlichkeit, was bei gewissen Strukturvertrieben so jedoch nicht gelebt wird.

Rechtsprechung

Auch die Rechtsprechung prüft und sanktioniert die Bildung der Stornohaftung. So ist geklärt, dass Unternehmen stets jede Buchung zweifelsfrei nachweisen können müssen und die Beweislast dafür tragen, welche Stornoreserve sie gegenüber einem Handelsvertreter beanspruchen können. Erfolgt keine korrekte Abrechnung oder bestehen Zweifel an einer solchen, kann der Handelsvertreter die Abrechnung der Bildung der Stornoreserve schlicht bestreiten. Unternehmen schulden auch dann stets Abrechnung und Offenlegung im Sinne eines Buchauszugs (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.09.2017 – Az.: 15 U 7/17).

Deshalb lässt es die Rechtsprechung auch nicht zu, abstrakte und unkonkrete Klauseln zu vereinbaren, dies dem Versicherer oder dem Finanzdienstleistungsunternehmen gestatten, eine Stornoreserve auch über ein bestehendes Provisionshaftungsvolumen hinaus einzubehalten (OLG Köln, Urteil vom 09.09.2005 – Az.: 19 U 174/04).

Auch in zeitlicher Hinsicht können sich die Unternehmen nicht über das Vertragsende hinaus­gehend durch eine Stornohaftungsberechtigung im Sinne einer Ewigkeitsklausel absichern. Auch insoweit ist die Rechtsprechung streng, indem sie klarstellt, dass formularmäßige Bestimmungen in einem Vermittlervertrag, wonach der Anspruch des Vertreters auf Auszahlung der Stornoreserve nach dessen Ausscheiden erst in dem Zeitpunkt entstehen soll, in dem sämtliche Forderungen des Unternehmens gegen ihn ausgeglichen sind und sämtliche Verträge sich außerhalb der Haftungszeit befinden, unwirksam sind, weil sie den Handelsvertreter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (OLG Düsseldorf Urteil vom 26.10.2012 – Az.: I-16 U 134/11).

Die „strafrechtliche Komponente“

Soweit ersichtlich, haben sich die rechtlichen Auseinandersetzungen um die Rückforderung von Stornoreserven bisher auf zivilrechtliche Verfahren erstreckt. Damit ist jedoch noch nicht für die Zukunft geklärt, ob einer massiven und strukturierten Einbehaltung von Stornoreserven ohne Rechtsgrundlage auch eine sogenannte „strafrechtliche Komponente“ anhaftet. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Provisionsauszahlungspflicht gegenüber dem Handelsvertreter eine Kardinalpflicht des Unternehmens darstellt und deshalb für den Handelsvertreter schlicht nicht einmal verzichtbar ist (Hopt in: Baumbach/Hopt, a. a. O.). Wenn nun die übergesetzliche Einbehaltung von Stornoreserven dazu führt, dass der Handelsvertreter in eine finanzielle Abhängigkeit gerät und Auszahlungen mehr oder minder von dem „Goodwill“ des Unternehmens abhängig sind/werden, dann könnte hierin auch eine systematische und gegebenenfalls sogar gewerblich praktizierte Untreue in einer Vielzahl von Fällen im Sinne des § 266 StGB gesehen werden.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat insoweit bereits vor über zwei Jahrzehnten entschieden, dass auch das „Verwalten von Geld“ für den Auftraggeber (konkret hier: für den „Handelsvertreter“ bis zum Ablauf der Stornohaftungszeit) dafür spreche, dass dessen Vermögensinteressen im Rechtssinne und dem Verständnis der Strafnorm wahrgenommen würden (NJW 60, S. 1629; BGHSt 41, S. 224, 226). So kann das Nichtabführen von Provisionen durchaus den Untreuetatbestand gemäß § 266 StGB erfüllen (BGH, Beschluss vom 21.10.1997 – 1 StR 605/97 (LG Deggendorf).

Es bleibt deshalb abzuwarten, wie die Strafrechtsprechung bei ungesetzlicher und massiver Einbehaltung von Stornoreserven zur Unterdrucksetzung der vertraglich gebundenen Handelsvertreter entscheiden wird. Entwicklungen in diese Richtung werden aufmerksam verfolgt und zu gegebener Zeit publiziert.

Ausblick und Empfehlung

In der Krise eines Handelsvertretervertrages machen Unternehmen häufig Druck, um im Falle einer ordentlichen Kündigung zum Nachteil des Handelsvertreters Einfluss auf den handelsrechtlichen Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB, die Freistellungsvergütung in der ordentlichen Kündigungsphase und nicht zuletzt auch auf die Abrechnung der Stornohaftungsreserve zu nehmen.

Den betroffenen Handelsvertretern kann man nur ans Herz legen, sich schlicht eine Abrechnung der auf sie gebildeten Stornohaftungsreserve vorlegen zu lassen. Aus der Reaktion hierauf wird man bereits auf die ordnungsgemäße Provisionsabrechnung und die Belastbarkeit der Buchhaltung des Unternehmens schließen können.

Im Zweifel empfiehlt es sich, solche Auskunftsansprüche mit einem Buchauszug des Handelsvertreters gemäß § 87c Abs. 2 HGB zu flankieren, um die Abrechnungen des Unternehmens umfassend überprüfen und gegebenenfalls durch Einleitung förmlicher Verfahren korrigieren zu können.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 07/2021, Seite 98 ff., und in unserem ePaper.

Bild: © MQ-Illustrations – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Jens Dietrich Sprenger, LL.M.