2023 war gewiss ein besseres Jahr an der Börse als 2022. Doch die hohen Zinsen, die seit Juli 2022 zehnmal in Folge von der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt erhöht wurden, die Inflation und die krisengezeichneten Umstände auf der Welt haben am Kapitalmarkt ihre Spuren hinterlassen. Aber dann ging, passend zur Adventszeit, ein Licht auf – die „Jahresendrallye“ setzte ein, der Deutsche Aktienindex notierte Mitte Dezember erstmals über 17.000 Punkte. Die Stimmung an der Börse war geradezu euphorisch.
Aber früher oder später holt einen eben doch die Realität ein. Die geopolitische Lage ist u. a. mit dem Ukraine-Krieg und dem Nahost-Konflikt über die Feiertage nicht ruhiger geworden. Und auch wenn die Zinshebel im Frankfurter Bankenviertel in der letzten Sitzung des Jahres unverändert blieben – der Hauptrefinanzierungssatz liegt nach wie vor bei 4,5% – ist die Inflation in Deutschland Dezember 2023 wieder auf 3,7% gestiegen. Werden die Risiken bei der Geldanlage derzeit unterschätzt? AssCompact hat bei mehreren Fondsgesellschaften nachgefragt und die Ergebnisse zusammengefasst.
„Zinsfantasien“ an der Börse
Zu viel Optimismus bei den Anlegern? Dr. Hans-Jörg Naumer, Director Global Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors, denkt wohl schon. Seiner Meinung nach befinde man sich derzeit in einer „etwas eigenartigen Diskussionslage an den Kapitalmärkten“ wie er auf Nachfrage mitteilt. „Auf Zinsfantasien allein kann kein Markt mittelfristig aufbauen, genau das steckte aber hinter der sich über Wochen erstreckenden ‚Jahresendrallye‘.“ Bereits im Lauf des vergangenen Jahres ging man davon aus, dass die Kursgewinne, die teilweise unmittelbar nach Zinserhöhungen der EZB eingesetzt hatten, dadurch bedingt waren, dass die Anleger mit dem baldigen (oder schon erreichten) Zinszenit gerechnet hatten.
Hinzu kommen für Naumer zum einen die Konjunkturdebatte – ob die USA doch noch durch eine Rezession muss und wie die Fed weiter agieren wird – sowie die geopolitische Situation, die für Volatilität sorgen dürften. „Euphorie allein ist keine Grundlage. Es muss gute Gründe dafür geben.“
Dementsprechend sieht auch die DWS von einer Erhöhung ihrer Jahresprognose für das Börsenjahr 2024 ab, meldet Global CIO Björn Jesch auf Anfrage – und das obwohl die von dem Vermögensverwalter für 2024 vorhergesagten Kursziele an den Aktienmärkten bereits zu Beginn des Jahres erreicht oder übertroffen wurden: „Momentan sehen wir keinen Grund, die Kursziele hochzuschrauben. Denn dafür müssten entweder die Renditen von zehnjährigen US-Staatsanleihen zum Jahresende deutlich unter den von uns erwarteten 4,2% liegen oder die Unternehmensgewinne deutlich besser ausfallen als bei unserer November-Prognose erwartet. Dafür gibt es momentan keine Anzeichen.“
Geopolitische Risiken sind präsent
Der Chef des Franklin Templeton Institute, Stephen Dover, sieht einen großen Risikofaktor in der Geopolitik: „Sollten sich die derzeitigen Kriege ausweisen, könnte die Energieversorgung gefährdet werden und die Risikoprämien würden in die Höhe schnellen. Höhere Energiepreise könnten dann die Zentralbanken in eine Zwickmühle bringen, da sie die Fortschritte bei der Desinflation abschwächen oder umkehren würden.“ Hier komme es dann stark auf die von den Zentralbanken in die Wege geleiteten Zinsentwicklungen an – wenn diese nämlich dann nur langsam „die Zügel lockern“, so Dover, würden die Aktienmärkte noch anfälliger sein, als Franklin Templeton erwarte. Ebenso könnte ein Ausbruch von Feindseligkeiten in anderen Ländern die Lieferketten für andere Rohstoffe oder Industriegüter unterbrechen, was wiederum nachteilige Folgen für die Anlegerportfolios hätte.
Das sollten Anleger und Berater beachten
Und trotz aller Risiken: Für Dr. Hans-Jörg Naumer von AllianzGI ist das größte Risiko ein „rein menschliches“, nämlich dass plötzliche Stimmungswechsel die Verlustaversion beflügeln und zu unüberlegten taktischen Anpassungen führen könnten, entstanden daraus, dass Finanzberater mit ihren Kunden in der Regel an einer längerfristigen Kapitalanlage arbeiten. Entscheidend sei hier, dass die Strategie des Portfolios, also die langfristige Ausrichtung, steht.
Berater sollten mit ihren Kunden überlegen, ob sich bei einer dauerhaft höher erwarteten Inflation genügend Sachwerte, also Aktien, in dem Portfolio befinden, um die Kaufkraft des Vermögens zumindest zu erhalten – und zwar unabhängig von der Tageslage. Unterschätzt werden sollte dabei nicht die stabilisierende Wirkung von Dividenden, denn Dividendenzahlungen hätten gerade in der jüngeren Vergangenheit in Europa stark zur Gesamtperformance von Aktien beigetragen, so Naumer.
Qualität im Fokus
Für Stephen Dover von Franklin Templeton sollten Anleger ebenfalls Dividenden im Auge behalten, allerdings liege für ihn die Präferenz hier nicht bei der reinen Dividendenrendite. Denn zu den Aktien mit hoher Dividendenrendite würden viele zyklische oder übermäßig fremdfinanzierte Unternehmen gehören. Deren Kurse würden in Zeiten schwacher Erträge grundlegend gedrückt. „Wir bevorzugen Qualität bei Dividenden. Qualitätsunternehmen, die auf der Grundlage nachhaltiger und weniger schwankungsanfälliger Rentabilitätsquellen beständige Dividendenzuwächse erzielen, können in schwierigen Märkten eine bessere Stabilität und einen besseren Schutz vor Kursverlusten bieten.“
Für Dover werden makroökonomisch bedingte Wachstums- und Gewinnenttäuschungen „wahrscheinlich global“ sein. Anleger sollten daher das Risiko auf zyklischere Sektoren und bis zu einem gewissen Grad auch Regionen reduzieren. Ein schwächerer Dollar werde sich auch auf die regionale Allokation auswirken. Gleichzeitig aber würden einige wenige leistungsstarke Unternehmen weiterhin die breiten US-Indizes anführen, bedingt durch das Versprechen der künstlichen Intelligenz und anderer digitaler Transformationen in der Wirtschaft. (mki)
Bild: © PiyawatNandeenoparit – stock.adobe.com
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