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8. März 2022
Eine Klagewelle gegen Makler ist nicht zu erwarten

Eine Klagewelle gegen Makler ist nicht zu erwarten

Noch vor Verkündung des BGH-Urteils im Verfahrenskomplex Betriebsschließungsversicherung sprach AssCompact mit Dr. Vincent Schreier darüber, was auf Makler zukommen könnte, wenn die Bundesrichter zugunsten der Versicherer entscheiden. Seine Einschätzung bleibt auch nach dem Urteilsspruch aktuell.

Interview mit Dr. Vincent Schreier von der Freien Universität Berlin
Herr Schreier, wenn dieses Interview erscheint, haben wir den ersten Verhandlungstag vor dem BGH zur Betriebsschließungs­versicherung bereits hinter uns. Fassen Sie doch bitte zusammen, worum es in dem Verfahren geht.

Der Kläger, ein Gaststätten­betreiber aus Schleswig-Holstein, beansprucht von seinem Versicherer Versicherungsleistungen für den Ertragsausfall, der ihm aufgrund des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 entstanden ist. Ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, hängt von der Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen in der Betriebsschließungs-versicherung ab. Dreh- und Angelpunkt ist hierbei eine Formulierung in den Versicherungsbedingungen, in der definiert wird, was unter meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern zu verstehen ist. Dort wird eine ganze Reihe von Krankheiten und Krankheitserregern aufgezählt, bei deren Auftreten der Versicherer leistet. Genannt werden hierbei unter anderem Cholera, Diphtherie, Salmonellen und viele weitere, jedoch nicht das neuartige Coronavirus, das man zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht kannte. Gleichzeitig nimmt diese Definition aber auch Bezug auf die im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten und Krankheitserreger. Die Frage ist nun, ob nur die­jenigen Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, die in den Versicherungsbedingungen ausdrücklich genannt werden, oder ob die Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz als dynamischer Verweis zu verstehen ist. Letzteres würde bedeuten, dass auch das Corona­virus unter die versicherten Krankheitserreger fallen würde, das im Mai 2020 in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen wurde. Die allermeisten Gerichte in Deutschland, darunter fast ausnahmslos alle Oberlandesgerichte, haben bisher den Standpunkt vertreten, dass die Aufzählung in den Versicherungsbedingungen abschließend zu verstehen und das Coronavirus daher nicht abgedeckt ist. Einige wenige Gerichte haben aber auch angenommen, dass eine solche Formulierung in den Bedingungen entweder mehrdeutig oder sogar intransparent und somit unwirksam ist.

Es gibt aber auch Bedingungen, in denen geschrieben steht, dass gegen folgende Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz besteht – ganz ohne Bezugnahme auf das Infektionsschutz­gesetz, oder?

Ja, die gibt es auch. Sie sind allerdings, soweit ich das überschauen kann, die Ausnahme. Tatsächlich kenne ich nur Versicherungsbedingungen eines Anbieters, in denen ausdrücklich und unmissverständlich klargestellt ist, dass nur die in den Versicherungsbedingungen genannten Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind und keine anderen. Solche Klauseln sind allerdings wie gesagt eher die Ausnahme und entsprechen vor allem nicht den damaligen Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

In vielen Fällen haben sich die Versicherer auch auf Vergleiche eingelassen. Waren das die für die Versicherungsnehmer aussichtsreichen Fälle? Sodass nun lediglich die Fälle gerichtlich weiterverfolgt werden, in denen die Versicherer die Oberhand haben?

Ich kann nicht beurteilen, mit welcher Motivation sich die Versicherer auf Vergleiche eingelassen haben, aber ich würde diese Hypothese nicht zwingend annehmen. Viele Versicherer haben ihren Versicherungsnehmern kurz nach dem ersten Lockdown Vergleiche auf Basis von 15 Prozent des versicherten Schadens angeboten und an diesen Angeboten oft auch noch während der laufenden Prozesse festgehalten – zum Teil auch dann, wenn bereits absehbar war, dass die Versicherer zumindest in den ersten Instanzen gewinnen würden. Umgekehrt hatte ich auch nicht den Eindruck, dass die Versicherer zu deutlich größeren Zugeständnissen in Fällen bereit waren, in denen die Prozessrisiken höher einzuschätzen waren. Mein Eindruck war vielmehr, dass die meisten Versicherer zum einen ein Interesse an einer Klarstellung durch die Gerichte und zum anderen auch an einer Gleichbehandlung ihrer Versicherten haben.

Wenn es sich bei den Bedingungen in dem vor dem BGH verhandelten Fall um die Musterbedingungen des GDV handelt, wie weitreichend werden dann die Folgen eines Urteils sein?

Für den Fall, dass der BGH zugunsten des Versicherers entscheidet und festlegt, dass der Katalog an Krankheiten und Krankheitserregern in den Versicherungsbedingungen abschließend zu verstehen ist, gehe ich davon aus, dass viele Versicherungsnehmer ihre Revision zurückziehen werden. Diese hätte dann einfach keine nennenswerte Aussicht auf Erfolg mehr. Dennoch kommt es immer auf die genauen Vereinbarungen in den Versicherungsbedingungen an. Es wird daher sicherlich auch Verträge geben, auf die sich die kommende BGH-Entscheidung nicht ohne Weiteres übertragen lässt.

Das heißt, der ganze Verfahrenskomplex könnte theoretisch schon Ende Januar vorbei sein?

Ja, das könnte sein. Wenn der BGH die Entscheidung der entsprechenden Oberlandesgerichte bestätigt, dann gehe ich davon aus, dass die Sache zumindest für die typischen Verträge weitgehend geklärt sein wird. Anders wird es sicherlich sein, wenn der BGH den Versicherungsnehmern recht geben sollte. Dann wird die Thematik die Gerichte wohl noch etwas länger beschäftigen.

Mittlerweile ist die Pandemie kein unrealistisches Szenario mehr, sondern gelebter Alltag, und sie wird uns voraussichtlich auch noch in Zukunft beschäftigen. Wie hätten Vermittler das Risiko einer Pandemie aber rückblickend bewerten müssen und wie sieht es im Gegensatz dazu heute aus?

Hinsichtlich des Umfangs der Beratungspflicht müssen wir zwischen Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler unterscheiden. Während der Versicherungsvertreter den Bedarf des Versicherungsnehmers in der Regel nicht von sich aus ermitteln muss und insbesondere nicht zu einem breiten Produktvergleich im Sinne eines „best advice“ verpflichtet ist, ist die Beratungspflicht beim Makler deutlich weitreichender. Er muss das versicherte Risiko grundsätzlich selbst untersuchen. Ihm kommt damit auch eine eigene Pflicht zur Risikoermittlung und zur Risikoanalyse zu. Rückblickend habe ich aber Zweifel, ob man dem Versicherungsmakler die Pflicht auferlegen musste, das Szenario einer Pandemie und eines flächendeckenden Lockdowns zu bedenken. Entscheidend sind hier aber, wie so oft, die Umstände des Einzelfalls, also vor allem, was genau Inhalt des Beratungs­gesprächs war. So soll es wohl auch vorgekommen sein, dass sich Kunden bereits im Februar und März 2020, also kurz vor dem ersten Lockdown, nach einer Absicherung durch eine Betriebsschließungsversicherung erkundigt haben. Solche Fälle wären wohl dann wieder anders zu beurteilen.

Unter den heutigen Umständen müssen Versicherungsvermittler, wenn sie das Risikoprofil des Kunden ermitteln, nun zwingend über eine Betriebsschließungsversicherung beraten. Dabei haben sie vor allem auch auf die relevanten Risikoausschlüsse im Zusammenhang mit Epidemien und Pandemien klar hinzuweisen. Entsprechend den heute gültigen Bedingungen werden sich dabei jedoch keine großen Deckungsfragen mehr ergeben. Die Punkte, über die aktuell gestritten wird, sind in neueren Bedingungen jetzt ausdrücklich geregelt. Das ist ein aus meiner Sicht wichtiger Unterschied zu der damaligen Haftungssituation von Vermittlern, die jedenfalls nicht eigeninitiativ und ohne konkreten Anlass darüber aufklären mussten, wie diese komplexen und zum damaligen Zeitpunkt auch fernliegenden Deckungsfragen zu beantworten sind.

Sollte der BGH entscheiden, dass die Versicherer nicht leisten müssen, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass der ein oder andere Versicherungsnehmer nachträglich seinen Makler in Haftung nehmen wird?

Ganz ausgeschlossen ist das nicht. Dass auf die Versicherungsmakler eine Klagewelle zukommen wird, wenn der BGH tatsächlich den vertraglichen Leistungsanspruch ablehnen sollte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Man muss eine Pflichtverletzung des Versicherungsmaklers nämlich immer in der konkreten Situation beurteilen. Wir haben es hier mit Vertragsschlüssen zu tun, die meist lange vor der Pandemie erfolgt sind. Da hat noch niemand an eine Pandemie und einen Lockdown gedacht, sondern in erster Linie an die Schließung einer Gaststätte wegen Salmonellenbefalls. Zumal der Umfang der Beratungspflicht auch immer ins Verhältnis zu der Versicherungsprämie zu setzen ist. Hinzu kommt auch, dass viele Versicherungsnehmer sich in Haftungsprozessen mit Maklern nicht unerheblichen Beweisschwierigkeiten ausgesetzt sehen könnten. Insoweit dürften zumindest diejenigen Makler auf der sicheren Seite sein, die den Beratungsvorgang ordnungsgemäß dokumentiert haben. Daher würde ich nicht davon ausgehen, dass die meisten Versicherungsnehmer die Prozessrisiken und den langen Atem auf sich nehmen werden, sich jetzt auch noch mit den Berufshaftpflichtversicherern der Makler auseinanderzusetzen.

Wenn der Makler aber seinen Kunden überhaupt nicht über die Möglichkeit des Abschlusses einer Betriebsschließungsversicherung beraten hat oder auf Nachfrage zum Deckungsumfang unzutreffende Angaben gemacht haben sollte, könnte er tatsächlich ein Problem bekommen. Generell reicht diese Beratungspflicht meiner Ansicht nach aber nicht so weit, dass vom Makler verlangt werden kann, von sich aus über die Versicherungs­bedingungen im Hinblick auf die Leistungspflicht im Zusammenhang mit einer Pandemie umfassend aufzuklären. Manche sind der Auffassung, dass die Makler den Kunden auf Verträge hinweisen mussten, die keine Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern in den Bedingungen enthalten. Das würde aber das Wissen des Maklers voraussetzen, dass diese Aufzählung auch tatsächlich abschließend ist und es insoweit relevante Unterschiede auf dem Markt gab. Das geht meiner Meinung nach über die Anforderungen hinaus, die man zum damaligen Zeitpunkt an die Kenntnisse eines Maklers in Bezug auf ein Nischenprodukt stellen konnte.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 02/2022, S. 104 f., und in unserem ePaper.

Eine erste Einordnung des BGH-Urteils, das am 26.01.2022 verkündet wurde, finden Sie hier. Eine detaillierte Analyse des Urteils durch Rechtsanwalt Cäsar Czeremuga erwartet interessierte Leser wiederum in AssCompact 03/2022.

Bild: © kristina rütten – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Dr. Vincent Schreier