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9. September 2022
Finanzanlagen: Haftungstrend Plausibilitätsprüfung

Finanzanlagen: Haftungstrend Plausibilitätsprüfung

Mit der wachsenden Komplexität der Produkte sind die von der Rechtsprechung verlangten Prüfungsanforderungen an freie Anlageberater und -vermittler im Hinblick auf die Frage, ob ein zu vermittelndes Anlage­produkt plausibel ist, ebenfalls stetig gewachsen, wie ein Rechtsexperte erläutert.

Ein Artikel von Boris-Jonas Glameyer, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei der Anwaltskanzlei Glameyer

Enttäuschte Anleger, deren Produkte sich aus verschiedensten Gründen wirtschaftlich nicht so entwickelt haben, wie sie es erwartet haben oder wie es ihnen versprochen worden ist, suchen oftmals anwaltlichen Rat. Sie möchten prüfen lassen, ob die schlechte wirtschaftliche Entwicklung ihres Produktes zu akzeptieren ist oder ob möglicherweise ent­weder der Produktgeber aufgrund falscher Informationen oder möglicherweise auch der Anlageberater, der das Produkt vermittelt hat, haften könnte.

Plausibilitätsprüfung als Massengeschäft

Dabei treffen die geschädigten Anleger zunehmend auf Anwaltskanzleien, die sich auf die Beratung und Vertretung geschädigter Kapitalanleger spezialisiert haben. Wird der Ansatz der fehlenden Plausibilität des Produktes gewählt, ist dies sowohl für den geschädigten Anleger als auch für den ihn vertretenden Anwalt ein Erfolg versprechender Ansatzpunkt. Der geschädigte Anleger muss beweisen, dass das ihm vermittelte Produkt nicht plausibel gewesen ist (vgl. BGH III ZR 139/15, Urteil vom 30.03.2017). Er muss darlegen, dass der Anlageberater bei ordnungsgemäßer Prüfung die fehlende Plausibilität hätte erkennen können. Führt die Überprüfung zu dem Ergebnis, dass der Anlageberater die fehlende Plausibilität damals erkennen konnte, führt dies ursächlich zum Anlegerschaden (vgl. BGH III ZR 55/12, Urteil vom 15.11.2012). Ob der Anlage­berater eine Plausibilitätsprüfung durchgeführt hat und falls ja wie, ist dann irrelevant. Die Rechtsprechung kommt dem Anleger zusätzlich zu Hilfe, indem sie unterstellt, dass der geschädigte Anleger, wäre er von seinem Anlageberater ordnungsgemäß über die fehlende Plausibilität des Anlageproduktes aufgeklärt worden, dieses nicht gezeichnet hätte und damit der Schaden nicht entstanden wäre. Infolgedessen steht dem geschädigten Anleger in der Regel ein Schadensersatzanspruch gegen den Anlageberater zu.

Anwaltskanzleien sind daher vermehrt bestrebt, Anlageberatungsfehler vor allem im Rahmen der „massentauglichen“ Haftung aufgrund fehlerhafter oder unterlassener Plausibilitätsprüfung zu suchen und auch zu finden. Für die Anlageberater ist dies gefährlich, da sie ein Produkt in der Regel einer Vielzahl von Kunden vermittelt haben. Haften sie aber aufgrund einer fehlerhaften oder unterlassenen Plausibilitätsprüfung für die fehlerhafte Vermittlung eines Produktes, dann dürften sie in der Regel jedem ihrer Kunden, dem sie dieses Produkt vermittelt haben, auf Schadensersatz haften.

P&R-Schiffscontainer-Skandal als warnendes Beispiel

Welch große Haftungsgefahr dies für die Anlageberater nach sich zieht, lässt sich gut am bekannten Beispiel der P&R-Container veranschaulichen. Nachdem die Gesellschaften der P&R-Gruppe im Frühjahr 2018 Insolvenz anmelden mussten, gab es 54.000 geschädigte Anleger. Viele von ihnen haben die Containerprodukte von Banken und Anlageberatern vermittelt bekommen, die verpflichtet gewesen sind, die Produkte vor deren Vermittlung auf Plausibilität zu überprüfen. Offensichtlich haben weder die Banken noch die Anlageberater die Produkte der P&R-Gruppe vor deren Vermittlung auf Plausibilität überprüft. Denn die Produkte sind erkennbar nicht plausibel gewesen.

Allein bei sorgfältigem Durch­lesen des auf einer DIN-A4-Seite befindlichen, „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ genannten Zeichnungsscheins der P&R-Gruppe hätte jeder Anlageberater erkennen können, dass der Anleger entgegen den Versprechungen der P&R-­Gruppe kein Eigentum an einem konkreten Container erwirbt. Aus dem Zeichnungsschein ergab sich lediglich, dass der Anleger eine bestimmte Anzahl eines bestimmten Containertyps erwerben sollte, ohne dass konkrete einzelne Container bestimmbar gewesen wären. Im Hinblick auf die Eigentumsübertragung hat der „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ darauf verwiesen, dass die Übergabe des Containers durch den auf derselben Seite abgedruckten Verwaltungsvertrag ersetzt werden solle. In diesem Verwaltungsvertrag war geregelt, dass der Anleger die P&R mit der Verwaltung der im vorstehenden „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ genannten Container beauftragt – und mehr nicht. Damit ist für jeden Berater bei sorgfältigem Durchlesen der Verträge unschwer erkennbar gewesen, dass kein Anleger Eigentum an einem konkreten Container erwerben konnte. Denn Eigentum kann man nur an einem konkret bestimmten Container erwerben.

Deshalb hat das Oberlandes­gericht Düsseldorf (OLG) in einem von der Anwaltskanzlei Glameyer für einen geschädigten Anleger wegen fehlerhafter Anlageberatung gegen die vermittelnde Bank geführten Verfahren folgerichtig festgestellt, dass die vermittelnde Bank dem geschädigten Anleger der P&R-Gruppe vollumfänglich zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet ist, weil sie es unterlassen hat, das von ihr vermittelte Produkt auf Plausibilität zu prüfen. Zumindest hat die Bank unstreitig den Kläger nicht darauf hingewiesen, dass das Produkt im Hinblick auf das versprochene Eigentum an den Containern nicht plausibel gewesen ist (vgl. OLG Düsseldorf I-6 U 36/21, Urteil vom 03.02.2022). Das Urteil ist rechtskräftig.

Fazit und Praxishinweis

Damit steht aber auch dem Grunde nach fest, dass Berater, die P&R-Container vermittelt haben, den Kunden wegen der von ihm unterlassenen oder fehlerhaft durchgeführten Plausibilitätsprüfung grundsätzlich auf Schadensersatz in Höhe des vollständigen investierten Kapitals haften. Es sei denn, sie haben den entsprechenden Kunden zuvor auf diesen Umstand der unterlassenen Plausibilitätsprüfung hingewiesen. Dies dürfte jedoch kaum der Fall gewesen sein, da solchermaßen aufgeklärte Kunden das Produkt nicht mehr gezeichnet hätten. Eine unterlassene oder fehlerhaft durchgeführte Plausibilitätsprüfung ist für Anlageberater demnach eine große Haftungsgefahr.

Deshalb sollte jeder Anlage­berater und -vermittler die ihm obliegende Plausibilitätsprüfung mit der gebotenen Sorgfalt durchführen und dokumentieren. Sollte er sich dazu nicht in der Lage sehen und unterlässt er eine entsprechende Plausibilitätsprüfung, so hat er den interessierten Anleger darauf hinzuweisen (vgl. BGH II ZR 17/18, Urteil vom 05.03.2009). Berater und Vermittler sind gut beraten, den Beratungsprozess grundlegend zu hinterfragen, auf mögliche Haftungsrisiken hin zu überprüfen und entsprechend anzupassen. Gegebenenfalls sollte dafür eine spezialisierte Anwaltskanzlei zu Rate gezogen werden, um Schäden, insbesondere „Masseschäden“, aufgrund einer Vielzahl von an Kunden vermittelten nicht plausiblen Produkten zu vermeiden.

Diesen Artikel lesen Sie auch in Asscompact 09/2022, S. 126 f.

Bild: © Romolo Tavani – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Boris-Jonas Glameyer