In vier von fünf Fällen erkennen Versicherer ihre Leistungspflicht in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) an. Das ist erst einmal positiv. Doch laut der kürzlich veröffentlichten neunten BU-Leistungspraxisstudie des Ratinghauses Franke und Bornberg kommt es häufig gar nicht so weit. „Zum ersten Mal seit dem Start unterer Untersuchung entscheiden Versicherer über weniger als die Hälfte aller gemeldeten BU-Fälle“, berichtet Michael Franke, geschäftsführender Gesellschafter von Franke und Bornberg.
Insgesamt haben sich 16 Versicherer von dem Ratinghaus in die BU-Karten schauen lassen, so viele wie noch nie. Darunter sind die größten BU-Versicherer der Branche. Geprüft werden im Rahmen der Leistungspraxisstudie BU-Leistungsanträge, die im Jahr 2023 entschieden worden, und zwar mindestens 125 Schadenakten pro Gesellschaft. Die 16 Unternehmen sind (in alphabetischer Reihenfolge): Allianz, Alte Leipziger, AXA, Continentale, Deutsche Ärzteversicherung, Dialog, DBV, ERGO, Generali, Gothaer, HDI, Münchener Verein, Nürnberger, SIGNAL IDUNA, Stuttgarter und Zurich.
Warum werden Anträge auf BU-Leistungen abgelehnt?
Was sind die Hintergründe hinter „Nicht-Leistungen“? In 51,18% der Fälle trifft der Versicherer gar keine Entscheidung, weil Versicherte erforderliche Nachweise nicht erbringen, also ihre Mitwirkungspflichten verletzt haben, oder ihren Antrag aktiv zurückgezogen haben (siehe Grafik). Bei knapp einem Viertel der Ablehnungen lag eine medizinische Ablehnung vor, also der vereinbarte BU-Grad wurde nicht erreicht. Zudem werde die Berufsunfähigkeit mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit verwechselt, so Franke.
Bewilligt wird eine BU-Rente am häufigsten zwischen dem 49. und 59. Lebensjahr. Bei jungen Erwachsenen ist die Ablehnungsquote besonders hoch – jede zweite Ablehnung wegen Verstoßes gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht wird bis zum Alter 35 ausgesprochen.
Bei den anerkannten Leistungsfällen liegt bei mehr als 29% eine psychische Erkrankung zugrunde, gefolgt von Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und bösartigen Neubildungen (Krebs).
Verweisung und Umorganisation spielen bei Ablehnungen kaum eine Rolle
Jede zweite Leistung zahlen die teilnehmenden Versicherer bis zum Ende der vertraglichen Leistungsdauer. In etwa 30% der Fälle endet die Leistung vor Vertragsablauf aufgrund eines verbesserten Gesundheitszustands des Versicherten.
Anders als häufig angenommen spielt die Verweisung auf eine andere Tätigkeit in der Praxis kaum eine Rolle, so die Studie. Als Differenzierungsmerkmal eigne sich der Verzicht auf abstrakte Verweisung daher bereits lange nicht mehr – die Quote liegt bei 0,12% beziehungsweise sieben Leistungsfällen aus dem Altbestand. Auch eine Forderung nach Umorganisation habe in weniger als 0,16% der Fälle zu einer Ablehnung geführt, schreiben die Experten. Verweisung – konkret und abstrakt – sowie Umorganisation sind insgesamt für weniger als 1% aller Ablehnungen bei den teilnehmenden Unternehmen verantwortlich.
Etwa 190 Tage von Antragseingang bis zur Entscheidung
Durchschnittlich 190 Tage vergehen von Eingang des Antrags auf BU-Leistung bis zur Entscheidung – bis zur Ablehnung dauert es mit 197 Tagen im Schnitt etwas länger als für eine positive Entscheidung (179 Tage). Während eine Entscheidung mit der Diagnose Krebs vergleichsweise schnell fällt, lässt sie bei Unfällen und psychischen Erkrankungen häufig länger auf sich warten. Das hängt vor allem damit zusammen, dass in diesen Fällen häufig ärztliche Gutachten oder Berichte von Polizei oder Staatsanwaltschaft benötigt werden.
Die Versicherer haben Maßnahmen in die Wege geleitet, um die Regulierungszeiten zu verkürzen, erklärt das Analysehaus. Darunter sind aktive telefonische Kontakte zum Kunden anstelle von postalischer Kommunikation, ebenso wie Unterstützung beim Ausfüllen des Fragebogens. Auch systematische Kategorisierung von Leistungsfällen, die von spezialisierten Teams bearbeitet werden, sowie digitale Tracking-Systeme für Versicherte und Sachbearbeiter haben sich positiv auf die Dauer der Leistungsregulierung ausgewirkt.
KI kein Ersatz für menschliche Mitarbeiter
Ein Hindernis zur schnelleren Regulierung bleibt jedoch weiterhin der Fachkräftemangel. „Der Markt für BU-Schadenregulierer ist wie leergefegt“, erklärt Philipp Wedekind, Leiter Ratings Vorsorge und Nachhaltigkeit. Künstliche Intelligenz (KI) bietet derzeit jedoch keine wirkliche Alternative. „Eine KI-generierte Entscheidung von Leistungsfällen können sich die Verantwortlichen bislang nicht vorstellen“, so Wedekind. Auch gebe es Zurückhaltung bei den Kunden sowie hohe Hürden beim Datenschutz.
Während die KI zwar keine Entscheidungen trifft, beobachten die Analysten trotzdem „vielversprechende Ansätze“ beim Einsatz von KI und großen Sprachmodellen (LLM) zur Unterstützung von Mitarbeitern. Sie können beispielsweise Korrespondenz auswerten oder umfangreiche Berichte zusammenfassen. Künftig könnten sie potenziell auch zur Unterstützung beim Ausfüllen des Fragebogens eingesetzt werden. (js)
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