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31. März 2020
Gefahrerhöhung und Mitteilung prämienrelevanter Angaben

Gefahrerhöhung und Mitteilung prämienrelevanter Angaben

Fachanwalt für Versicherungsrecht, Christian Völker, klärt über ein im „Dunstkreis“ der Dieselaffäre rechtskräftig gewordenes Urteil des OLG Karlsruhe auf, welches Auswirkungen auf die Praxis vieler Rechtsschutzversicherer im Rahmen der Prämienanpassung wegen nachträglicher Gefahrerhöhung haben dürfte.

Nach den sich in den §§ 23 ff. VVG findenden gesetzlichen Regelungen führen nachträgliche Gefahrerhöhungen automatisch zu einer Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers, einer sich auf künftige Versicherungsfälle auswirkenden Kündigungsmöglichkeit des Versicherers und bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Nichtanzeige zu teilweiser oder vollständiger Leistungsfreiheit für nach der Gefahrerhöhung eingetretene Schadenfälle.

Mitteilungspflicht nur nach Aufforderung

Die gängigen allgemeinen Rechtsschutzbedingungen (ARB), zum Beispiel § 11 ARB 2010 oder Ziff. 7.9 ARB 2012, modifizieren diese Regelungen für die Rechtsschutzversicherung zugunsten des Versicherungsnehmers. Demnach sind Gefahrerhöhungen, wenn auch beitragspflichtig, im Ausgangspunkt mitversichert. Für den Versicherer eröffnet sich in manchen Fällen die Möglichkeit eines Ausschlusses der höheren Gefahr. Macht er hiervon Gebrauch oder erhöht sich die Prämie wegen der höheren Gefahr um mehr als 10%, kann der Versicherungsnehmer seinerseits kündigen. Vor allem aber muss der Versicherungsnehmer von ihm erkannte Gefahrerhöhungen dem Versicherer nicht von sich aus mitteilen. Die ARB-Regelungen statuieren lediglich eine Verpflichtung des Versicherungsnehmers, dem Versicherer „nach Aufforderung die zur Beitrags­berechnung erforderlichen Angaben zu machen“. Kommt der Versicherungsnehmer einer solchen „Aufforderung“ mindestens grob fahrlässig nicht nach, kann der Versicherer den Vertrag kündigen und es tritt nach Ablauf dort geregelter Fristen vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit für während der Vertragslaufzeit eingetretene Versicherungsfälle ein.

Bei den in der Rechtsschutzversicherung prämienrelevanten Umständen wird es sich in der Regel um die quantitative Erhöhung der versicherten Risiken handeln, in Abhängigkeit von der in Rede stehenden Rechtsschutzform also zum Beispiel um die Zahl der im Verkehrsrechtsschutz versicherten Fahrzeuge oder Fahrer, im Arbeitsrechtsschutz um die Zahl der Mitarbeiter, die Lohnsumme oder die Zahl der Standorte, im immobilienbezogenen Rechtsschutz um die Größe und Zahl von Grundstücken oder (Miet-)Räumen, die Höhe des Miet- oder Pachtzinses oder ganz allgemein um den Unternehmensumsatz.

In dem Fall, der dem OLG Karlsruhe vorlag (Urteil vom 08.03.2019, Az.: 12 U 33/18), fand sich auf der Rückseite der jährlichen Prämienrechnungen des Versicherers der allgemein gehaltene Hinweis: „Bitte prüfen Sie, ob die Angaben zum oben genannten Vertragsumfang noch aktuell sind. Sollten sich Änderungen ergeben, teilen Sie uns diese bitte unverzüglich mit, damit Sie Ihren Versicherungsschutz nicht gefährden.“ Das versicherte Unternehmen teilte dem Versicherer in der Folge die Erweiterung seines Fuhrparks und die Anzahl seiner Mitarbeiter nicht vollumfänglich mit. Für die Geltendmachung von Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüchen gegen den Händler und den Autohersteller begehrte es in der Folge Kostendeckung. Der Versicherer sah in dem Hinweis auf den Rechnungen eine „Aufforderung“ zur Mitteilung der zur Beitragsberechnung erforderlichen Angaben im Sinne der ARB-Regelung und betrachtete sich deshalb wegen vorsätzlicher Nichtinformation als leistungsfrei.

Relevanz und Erforderlichkeit

Das OLG Karlsruhe verwarf die Verpflichtung unter AGB-rechtlichem Gesichtspunkt als nicht klar und verständlich und damit unwirksam. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne nämlich nicht erkennen, welche Angaben für die Prämienberechnung erstens überhaupt relevant und zweitens auch noch erforderlich seien. Es handle sich insoweit um interne Erkenntnisse des Versicherers. Diese würden sich dem Versicherungsnehmer auch nicht durch Regelbeispiele oder nach festgelegten Merkmalen in Abhängigkeit von der Form des Versicherungsschutzes erschließen. Auch die Einschränkung, dass diese Rechtspflicht nur „nach Aufforderung“ ausgelöst werde, ändere hieran nichts, denn der Wortlaut erlaube – wie im entschiedenen Fall geschehen – auch eine allgemein gehaltene, nicht konkret auf bestimmte risikorelevante Faktoren bezogene Aufforderung, deren Nichtbefolgung einschneidende Konsequenzen hinsichtlich des Versicherungsschutzes haben soll. Nachdem alle Sanktionen der ARB-Regelung an die Nichtbefolgung der (unwirksam vereinbarten) Auskunftspflicht anknüpfen, seien auch diese gegenstandslos.

Folgen der unwirksamen ARB

Regelmäßige, vom Gesetz angeordnete Folge der Unwirksamkeit einer AGB-Klausel ist der Rückgriff auf das durch die Klausel verdrängte gesetzliche Regime; hier das dargestellte der §§ 23 ff. VVG. Nachdem dieses aber den Versicherungsnehmer schlechter stellen würde als die unwirksame Regelung des Versicherers, kommt diese „Sanktion“ nach Ansicht des Gerichts zur Lückenfüllung nicht in Betracht. Die § 11 Abs. 3 ARB 2010 entsprechende Regelung falle demzufolge ersatzlos weg und es verbleibe der § 11 Abs. 1 ARB 2010 entsprechende Mechanismus, wonach Gefahrerhöhungen erlaubt und mitversichert sind – gegebenenfalls gegen höhere Prämie. Dass der Versicherer bei Nichtanzeige einer Gefahrerhöhung auf die Mehrprämie verwiesen sei und nicht kündigen oder sich auf Leistungsfreiheit berufen könne, habe er als Verwender einer unwirksamen Klausel hinzunehmen.

Das Gericht zeigt auch eine Lösung für die künftige risikoadäquate Prämienberechnung durch die Versicherer auf: Der Versicherungsnehmer sei nämlich unabhängig von der als unwirksam verworfenen ARB-Regelung im Rahmen der vertraglichen Treuepflicht gehalten, auf eine konkrete Anfrage vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen.

Das Gericht versieht sein Ergebnis auch noch mit einer interessanten Hilfsbegründung: Selbst die Wirksamkeit der ARB-Regelung unterstellt, komme der sich auch noch auf der Rückseite einer Prämienrechnung findenden verharmlosenden „Bitte“ um Prüfung und Mitteilung nicht der Charakter einer nachdrücklichen, ihre Wichtigkeit erkennbar machenden „Aufforderung“ zu, wie sie die ARB verlangen. Höflichkeit kann also auch einmal schädlich sein.

Hat ein Kunde also Schwierigkeiten beim Erhalt einer Kostendeckungszusage wegen angeblich pflichtwidrig nicht erteilter Auskünfte zur Prämienkalkulation oder sieht er sich aus diesem Grund mit einer Kündigung des Rechtsschutzversicherungsvertrags konfrontiert, könnte das OLG Karlsruhe ihm womöglich starke Gegenargumente an die Hand geben.

Steine statt Brot wären den Versicherungsnehmern indes gegeben, wenn die Rechtsschutzversicherer infolge dieser Rechtsprechung in neuen Klauselwerken schlicht auf den Versuch einer Besserstellung ihrer Kunden verzichten würden.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 03/2020 und in unserem ePaper.

Bild: © pict rider – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Dr. Christian Völker