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6. Oktober 2022
GKV-Finanzlücke: Woher nehmen und nicht stehlen?

GKV-Finanzlücke: Woher nehmen und nicht stehlen?

Die Kassenlage in der gesetzlichen Krankenversicherung ist desolat. Doch woher sollen die vielen Milliarden Euro kommen? Der aktuelle Gesetzentwurf sieht nun neben einem höheren Bundeszuschuss auch Ausgabenkürzungen vor. Doch die Spitzenverbände sparen nicht mit Kritik und die Zeit im Gesetzgebungsverfahren drängt.

Die Kassenlage in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist desolat. Fakt ist, dass in der GKV im kommenden Jahr nämlich eine beträchtliche Finanzlücke geschlossen werden muss; Stand heute laut einer Schätzung der Bundesregierung rund 17 Mrd. Euro (AssCompact berichtete). Viel Geld, das angesichts der galoppierenden Teuerungsrate – eine Schätzung des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo geht von einer Jahresteuerungsrate in Höhe von 8,3% aus – und seiner Folgewirkungen erst einmal aufgebracht werden muss.

Woher soll das Geld kommen?

Doch woher sollen die Milliarden kommen? Vom Bund per Bundeszuschuss, wie bereits häufiger geschehen? Doch die Haushaltslage hat sich infolge der Energiepreiskrise dramatisch verschlechtert. Bereits zweimal hat die Bundesregierung neue Sondervermögen (für die Bundeswehr und für den Gaspreisdeckel) ausgewiesen, um damit – zumindest technisch gesehen – das Haushaltsdefizit nicht noch weiter zu erhöhen. Also auch der Bund muss seinen Gürtel enger schnallen. Dann doch von den Versicherten? Nun, zum einen hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits eine Beitragserhöhung für 2023 festgesetzt (AssCompact berichtete). Und zum anderen sitzt auch bei den Versicherten das Geld angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise nicht mehr so locker wie noch vor einem Jahr.

GKV-Finanzstabilisierungsgesetz als Lückenfüller

Nichtsdestotrotz: Die Finanzlücke muss geschlossen werden – und das Zauberwort heißt nun: GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Ziel des Gesetzes ist aber nicht eine Stabilisierung der GKV-Finanzen, sondern lediglich eine kurzfristige Überbrückung des Defizits des kommenden Jahres 2023, um den Anstieg der Zusatzbeitragssätze zu begrenzen. Insofern handelt es sich bei dem Entwurf wohl eher um ein GKV-Finanznothilfegesetz. Denn inwiefern eine mittelfristige Stabilisierung der GKV-Finanzen ab 2024 sichergestellt werden soll, bleibt die Bundesregierung schuldig. Von Stabilisierung kann also wahrlich keine Rede sein.

Maßnahmen auf der Einnahmenseite

Doch der Reihe nach: Per Gesetzentwurf soll auf der Einnahmenseite nun der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds für 2023 um weitere zwei Milliarden Euro auf dann insgesamt 16,5 Mrd. Euro erhöht werden. Ferner will der Bund der GKV ein unverzinsliches Darlehen in Höhe von einer Milliarde Euro gewähren. Kurzum: Der Bund macht weiteres Geld locker. Aber auch eine wiederholte Erhöhung der Zusatzbeiträge ist nicht gänzlich ausgeschlossen. Allerdings ist diese Maßnahme nicht Gegenstand des Entwurfs, sondern hängt von der Prognose des im Oktober tagenden GKV-Schätzerkreises ab. Womöglich also werden die Versicherten doch nochmal zur Kasse gebeten.

Maßnahmen auf der Ausgabenseite

Auf der Ausgabenseite sollen die Arzneimittelausgaben unter anderem durch eine Erhöhung des Herstellerabschlags um fünf Prozentpunkte bis Ende 2023 stabilisiert werden. Im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung ist vorgesehen, die außerhalb der Budgets finanzierten Leistungen für Neupatienten zu streichen. In der vertragszahnärztlichen Versorgung soll der Anstieg der Vergütungen in den kommenden zwei Jahren begrenzt werden. Und für den Krankenhausbereich sieht der Entwurf vor, in den Pflegebudgets ab dem Jahr 2024 nur die Kosten für qualifizierte Pflegekräfte in der unmittelbaren Patientenversorgung zu berücksichtigen, was irgendwie nach einem Bilanztrick klingt.

Gesetzentwurf „unausgewogen und stückhaft“

Das Gesetz zur Stabilisierung der GKV-Finanzen erntete nun allerdings in einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss viel Kritik. Beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen spricht man zum Beispiel von „kurzfristigen Notmaßnahmen“. Es bestehe dringend Nachbesserungsbedarf, hieß es. Die derzeitige Ausgestaltung sehe vor, dass die Versichertengemeinschaft mit bereits erbrachten oder künftig deutlich erhöhten Beitragszahlungen die Hauptlast tragen solle, kritisierte der GKV-Spitzenverband. Und auch aus Sicht des AOK-Bundesverbandes wird die Reform nicht zu einer Konsolidierung der GKV-Finanzen führen. Vielmehr werde dadurch die finanzielle Stabilität der GKV fundamental gefährdet. Der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK-Dachverband) hält die Maßnahmen ebenfalls für „unausgewogen und stückhaft“. Und auch beim Spitzenverband der Fachärzte stößt das Maßnahmenpaket auf Ablehnung. Die Streichung der erst 2019 eingeführten Neupatientenregelung stelle einen schwerwiegenden Vertrauensbruch dar. Nun seien wieder deutlich längere Wartezeiten für GKV-Patienten zu befürchten, warnt der Ärzteverband. Doch die Zeit drängt. Bereits am 21. Oktober soll das Gesetz den Bundestag, eine Woche später den Bundesrat passieren.

Auch die Finanzreserven schmelzen ab

Apropos finanzielle Schieflage: Auch die Finanzreserven der gesetzlichen Krankenkassen sind ordentlich zusammengeschmolzen. Laut Bundesregierung sind die Reserven nämlich von 21,3 Mrd. Euro bzw. 1,07 Monatsausgaben am Ende des Jahres 2018 auf 10 Mrd. Euro bzw. 0,4 Monatsausgaben am Ende des Jahres 2021 zurückgegangen. Daran hat sich nun in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wenig geändert. Ende Juni 2022 betrugen die Finanzreserven in der GKV noch 9,6 Mrd. Euro bzw. 0,4 Monatsausgaben. Dies sei, so die Bundesregierung, immerhin doppelt so viel wie die gesetzlich vorgeschriebene Mindestreserve von 0,2 Monatsausgaben vorsieht. Und: Die von Bundesgesundheitsminister Lauterbach (SPD) zuletzt angekündigte Expertenkommission, die sich um die Ausarbeitung künftiger GKV-Finanzreformen kümmern sollte, wird nun doch nicht eingesetzt. Oder mit anderen Worten: Eine stabile GKV-Finanzierung sieht anders aus. (as)

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