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14. November 2025
GOÄ-Novelle: Die PKV zwischen Vorbereitung und Ungewissheit
GOÄ-Novelle: Die PKV zwischen Vorbereitung und Ungewissheit

GOÄ-Novelle: Die PKV zwischen Vorbereitung und Ungewissheit

Nach fast drei Jahrzehnten Stillstand scheint die Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) sicher – der genaue Zeitpunkt bleibt allerdings offen. Während in der Branche auf den Startschuss von politischer Seite gewartet wird, laufen bei den privaten Krankenversicherern gleichzeitig schon die Vorbereitungen.

Ein Artikel von Mirko Theine, Senior Manager zeb Consulting

An den Werkbänken der privaten Krankenversicherer herrscht Betriebsamkeit. Projektteams werden gebildet, Szenarien durchgerechnet, mögliche IT-Anpassungen geplant. Und das, obwohl die entscheidende Frage noch unbeantwortet ist: Wann tritt die neue GOÄ in Kraft? Die Reform galt als sicher: Nach fast drei Jahrzehnten Stillstand soll die GOÄ grundlegend modernisiert werden. Intensive Vorbereitungen und Verhandlungen zwischen Bundesärztekammer und PKV-Verband haben den Weg geebnet: Am 129. Bundesärztetag 2025 wurde grünes Licht für die Novellierung der GOÄ gegeben, der Entwurf liegt nun zur weiteren Umsetzung beim Bundesgesundheitsministerium (BMG). Dabei markiert die geplante GOÄ-Novelle einen medizinischen und abrechnungstechnischen Meilenstein mit erheblichen Auswirkungen für die private Krankenversicherung (PKV). Über 8,7 Millionen Privatversicherte, rund 31 Millionen gesetzlich Versicherte mit Zusatzversicherungen sowie der gesamte Markt für individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) für gesetzlich versicherte Selbstzahler sind betroffen. Doch das entscheidende Signal zur Umsetzung seitens des BMG lässt auf sich warten und langsam macht sich Verunsicherung breit: Kommt die neue GOÄ überhaupt – und wann?

Warum die GOÄ so wichtig ist

Die GOÄ ist das Fundament der privatärztlichen Abrechnung und damit ein zentrales Element aller PKV-Tarife. Sie legt fest, wie ärztliche Leistungen für Privatpatienten vergütet werden. Seit den 1990er-Jahren blieb sie nahezu unverändert – trotz medizinischem Fortschritt und neuer Behandlungsmethoden. Die geplante Novelle soll diese Lücke schließen: Ein modernes Bewertungsmodell, ein differenziertes Leistungsverzeichnis mit über 5.600 Positionen, der Wegfall der Faktorsteigerungen und die Einführung von Erschwerniszuschlägen sind die Kernpunkte. Zudem ist eine kontinuierliche Fortschreibung durch eine gemeinsame Kommission vorgesehen, um die Aktualität auch in Zukunft zu wahren.

Markteinschätzung: Alle rechnen mit der Novelle

Auch wenn das BMG bislang keine verbindlichen Termine nennt, ist die Erwartungshaltung klar: Die Branche geht davon aus, dass die Novelle kommt. Zuletzt äußerte sich Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, vor Journalisten in Münster optimistisch: „Der 01. Januar 2027 wäre durchaus realistisch.“ Damit bliebe ein Zeitfenster von rund anderthalb Jahren. Um diesen Termin zu halten, müssten jedoch zeitnah weitere Schritte erfolgen. Diese Unsicherheit stellt Versicherer vor ein Dilemma: Warten, bis die Politik agiert, oder handeln, um vorbereitet zu sein?

Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft

Denn die Auswirkungen für die Unternehmen sind erheblich. Die neue GOÄ verändert grundlegende Abrechnungssystematiken und Kalkulationsgrundlagen. Mit dem Wegfall der Faktorsteigerungen und der Einführung von Erschwerniszuschlägen ergeben sich weitreichende Implikationen für die Produktentwicklung: Tarifmodelle, die bislang auf festen Multiplikatoren basierten, müssen neu konzipiert und Kalkulationen angepasst werden. Parallel dazu gilt es, die finanziellen Effekte der neuen GOÄ auf die Leistungsausgaben zu simulieren und die Leistungspolitik gezielt danach auszurichten. Begleitprognosen von Bundesärztekammer und PKV-Verband gehen von einem Ausgabenanstieg von rund 13,2% über drei Jahre aus.

Mit der neuen GOÄ verändern sich auch die Strukturen in der Leistungsbearbeitung: Arztrechnungen werden künftig anders aussehen, was Anpassungen bei der technischen Auslese von Belegen und der Dunkelverarbeitung erforderlich macht. Inputmanagement und Regelwerke müssen überarbeitet werden, um eine reibungslose Verarbeitung eingereichter Belege sicherzustellen. Gleichzeitig sind organisatorische Veränderungen unvermeidlich: Mitarbeitende, die die bisherige GOÄ über Jahrzehnte verinnerlicht haben, müssen sich auf neue Spielregeln einstellen – mit Konsequenzen für Bearbeitungsprozesse und Wissensmanagement.

Vermittler werden Veränderungen durch den Wegfall der Faktorsteigerungen spüren – die heutige Tariflandschaft orientiert sich zumeist an Erstattungsgrenzen nach 2,3- oder 3,5-fachem Satz oder unbegrenzten Erstattungen. Diese Systematik wird mit der neuen GOÄ wegfallen und somit eine Veränderung der Tarife erfordern – und damit eine wesentliche Veränderung in der Kundenberatung.

Vorbereitungen haben bereits begonnen

Die beschriebenen Anpassungen sind nur ein Ausschnitt dessen, was auf die Branche zukommt. Viele Versicherer reagieren bereits: Sie analysieren systematisch die möglichen Auswirkungen auf ihr Geschäft, prüfen laufende (Produkt-)Entwicklungen und stoßen bei Bedarf gezielte Anpassungen an. Auch Vermittler verfolgen die Entwicklungen aufmerksam und behalten Zeitplanung und mögliche Änderungen genau im Blick. So haben sie die Möglichkeit, ihren Kunden einen Informationsvorsprung zu verschaffen – etwa bei potenziellen Tarifveränderungen in der Krankenvollversicherung und ausgewählten Zusatzversicherungen, die mit veränderten Erstattungsprinzipien einhergehen könnten. Gleichzeitig bietet sich für Vermittler die Chance, sich durch fundierte Beratung zu positionieren. Übergeordnetes Ziel bleibt, Risiken frühzeitig zu erkennen und Handlungsspielräume zu sichern.

Fazit: Handeln trotz Unsicherheit

Die GOÄ-Novelle ist längst kein Zukunftsthema mehr. Sie wird tiefgreifende Veränderungen für Versicherer, Vermittler, Beihilfeträger, Ärzte und Patienten mit sich bringen. Auch wenn immer noch Unsicherheit bezüglich der Novellierung der GOÄ mitschwingt und der Zeitpunkt des Inkrafttretens noch offen ist, wächst der Handlungsdruck – bereits für 2027 ist eine Einführung denkbar, so ist es aus der Branche zu vernehmen. Wer sich jetzt vorbereitet, reduziert Risiken und legt den Grundstein für einen reibungslosen Übergang. Entscheidend ist, die neuen Rahmenbedingungen frühzeitig zu durchdringen – denn wenn der Startschuss fällt, wird die Zeit knapp werden.

Lesen Sie auch: GOÄ-Reform: Was Versicherer und Vermittler heute schon wissen müssen

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Ein Artikel von
Mirko Theine