AssCompact suche
Home
Investment
4. August 2022
Interesse an ESG-Fonds von Performance getrieben?

Interesse an ESG-Fonds von Performance getrieben?

Zinswende, Inflationssorgen und der russische Angriffskrieg schickten die Aktienmärkte weltweit auf Talfahrt. Doch trifft diese Abwärtsdynamik auch auf das Segment nachhaltiger Aktienfonds zu? Welche Rolle spielt dabei die Fondsperformance für Anleger? Hortense Bioy von Morningstar im Interview.

Interview mit Hortense Bioy, Global Director of Sustainability Research bei Morningstar
Frau Bioy, seit Beginn des Ukraine-Krieges haben die Aktienmärkte weltweit vergleichsweise starke Einbrüche erlitten. Wie war die Entwicklung nachhaltiger Anlageklassen?

Die Zuflüsse in ESG- und nachhaltige Fonds waren in den letzten drei Jahren jedes Quartal netto positiv, einschließlich im ersten Quartal 2020 zu Beginn der Covid-Pandemie, als die Aktienmärkte fielen und konventionelle Fonds massive Abflüsse verzeichneten. Auch in diesem Jahr waren die Zuflüsse in ESG-Fonds in einem alles in allem sehr unruhigen Marktumfeld bisher positiv, während herkömmliche Fonds erneut Abflüsse verzeichneten. Dies zeigt, dass nachhaltige Fondsströme in Zeiten volatiler Märkte widerstands­fähiger sind als ihre traditionellen Pendants.

Wie ist das Verhältnis zwischen nachhaltigen und herkömmlichen Anlageklassen auf dem europäischen Fondsmarkt?

Das Morningstar-Flowchart für Fonds nach Artikel 8 und 9 zeigt, dass diese Fonds letztes Jahr seit der Einführung der Regulierung bis Dezember 2021 im Vergleich zu Fonds nach Artikel 6 höhere Zuflüsse verzeichneten. 2022 ist der Trend jedoch gemischter. Für Artikel-8-Fonds, die Abflüsse verzeichneten, sieht das Bild nicht mehr so positiv aus, während Artikel-9-Fonds kleine positive Zuflüsse verzeichneten.

Das positivere Bild für Artikel-9-Fonds ist noch auffälliger, wenn man sich die organische Wachstumsrate dieser Fonds ansieht. Die organische Wachstumsrate misst das Wachstum der Ströme im Verhältnis zum Vermögen. Hier ist zu erkennen, dass diese organische Wachstumsrate für Artikel-9-Fonds viel höher war und dieses Jahr auch positiv blieb im Vergleich zu Artikel-8-Fonds – und natürlich auch im Vergleich zu Artikel-6-Fonds. Die Anleger haben demnach echten Appetit auf „dunkelgrüne“ Produkte.

Welche Rolle spielt denn die Performance für die Attraktivität von nachhaltigen Fonds bei Anlegern?

Ich glaube nicht, dass das Interesse an ESG-Fonds jemals von der Performance getrieben wurde. Einige Segmente des Marktes vielleicht. Fonds für erneuerbare Energien schnitten eine Zeit lang sehr gut ab. In den letzten Jahren wurden viele Studien zur ESG-Performance durchgeführt, um zu zeigen, dass nachhaltiges Investieren nicht unbedingt bedeutet, Rendite zu opfern. Die Vorstellung, dass es einen Performance-­Trade-off geben muss, wenn man ESG-Faktoren berücksichtigt, hält sich aber nach wie vor. Die jüngste Underperformance vieler ESG-Fonds wird nun wieder als Argument für diese Behauptung herangezogen.

Von welchen Studien zur ESG-Performance sprechen Sie konkret?

Interessanterweise hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der die Gebühren und Renditen von ESG-Aktienfonds in den Jahren 2019 und 2020 im Vergleich zu Nicht-ESG-Peers analysiert wurden. Dabei gab es drei zentrale Feststellungen. Erstens: ESG-Fonds sind stärker auf Aktien mit hoher Marktkapitalisierung ausgerichtet. Zweitens: ESG-Fonds sind stärker auf entwickelte Volkswirtschaften ausgerichtet. Und drittens: Das Exposure in verschiedenen Sektoren unterscheidet sich ebenfalls zwischen ESG- und Nicht-ESG-Fonds. Nun stellte die ESMA – selbst unter Berücksichtigung dieser Unterschiede – fest, dass ESG-Fonds statistisch günstiger sind und eine bessere Performance erzielen als Nicht-ESG-Pendants.

Ein Eindruck ist, dass streng nachhaltige Anlageklassen insgesamt ziemlich technologielastig sind. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?

Es stimmt, dass viele ESG- und nachhaltige Fonds Technologieunternehmen übergewichten und traditionelle Energieunternehmen untergewichten. Aber ich denke, zu behaupten, dass sich bei ESG alles um schwere Technologie und leichte Energie dreht, ist ein bisschen eine Karikatur. Es gibt viele Technologieunternehmen, die bei ESG nicht gut abschneiden, während einige Unternehmen in den Sektoren Energie, Versorgung und Rohstoffe ihr ESG-Risiko gut managen.

Außerdem ist ESG ein weites Feld, das eine ganze Reihe von Kriterien umfasst. So gibt es beispielsweise Strategien, die soziale Faktoren stärker betonen als Umweltfaktoren. Einige konzentrieren sich beispielsweise auf DEI (Diversität, Gleichheit und Inklusion), und diese tendieren tatsächlich dazu, energieintensiver und technologieärmer zu sein als der Markt. Technologie­unternehmen sind also im Allgemeinen nicht unbedingt Beispiele für Vielfalt, während gleichzeitig einige Energieunternehmen gut abschneiden.

Das Beispiel der DWS zeigt, welche Auswirkungen der Greenwashing-Vorwurf auf eine Fondsgesellschaft haben kann. Werden wir solche Vorkommnisse in Zukunft öfter erleben?

Die Vorgänge bei der DWS werden sicher dazu führen, dass Vermögensverwalter künftig vorsichtiger mit ihren Versprechungen beim Thema ESG umgehen werden. Wir haben bereits wahrgenommen, dass einige europäische Manager „de-branden“ und ESG-bezogene Begriffe aus dem Namen einiger ihrer Fonds entfernt haben. Und ich denke, das ist erst der Anfang. Während sich der vor einigen Jahren begonnene Trend der Neuausrichtung und Umbenennung von Fonds fortsetzen wird, erwarten wir gleichzeitig einen neuen Trend, dass Vermögensverwalter die ESG-Referenzen von Fonds in Marketingmaterialien weniger hervorheben und ESG aus den Namen einiger Fonds streichen werden.

Und wie ist der weitere Ausblick hinsichtlich der Bekämpfung von Greenwashing?

Im nächsten Jahr dürften die Sustainable-Finance-Disclosure-Regulation-Offenlegungen (SFDR) kurzfristig weiter zur Bekämpfung von Greenwashing beitragen, da die stärkeren Offenlegungen beginnen, die erklärten Ziele der Produkte zu validieren und zu untermauern – wenngleich es auch Probleme mit der Benutzerfreundlichkeit und Vergleichbarkeit geben wird, insbesondere für Kleinanleger ohne ESG-Fachwissen. Zudem müssen Probleme mit den PAI-Definitionen zu nachteiligen Umweltauswirkungen ausgeräumt werden.

Langfristig glauben wir, dass regulatorische Ansätze zur Bekämpfung von Greenwashing regelmäßig überprüft werden, um unter anderem technologische Innovationen und die Entwicklung der Nachhaltigkeitspräferenzen von Endanlegern widerzuspiegeln.

Was erwarten Sie im Bereich nachhaltiger Fonds für die nächsten Jahre?

Trotz all der Kritik, die wir in letzter Zeit über ESG gehört haben, und trotz geopolitischer Ereignisse erwarten wir, dass die starke Nachfrage nach ESG und nachhaltigen Produkten in den kommenden Jahren anhalten wird. Diese robuste Nachfrage wird durch globale ESG-Standards, Taxonomien und aufsichtsrechtliche Meldepflichten unterstützt, die Transparenz und Klarheit über die den Anlegern zur Verfügung stehenden Anlageoptionen schaffen werden. Die EU ist mit ihrer Offenlegungsverordnung und Taxonomie führend. Großbritannien und die USA arbeiten an eigenen Offenlegungsvorschriften sowohl für Emittenten als auch für Anlageprodukte. Und auch andere Länder entwickeln eigene Instrumente für die Offenlegungspflichten hinsichtlich nachhaltiger Investments.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 08/2022, S. 46 f., und in unserem ePaper.

Bild: Hortense Bioy, Morningstar

 
Ein Interview mit
Hortense Bioy