Ein Artikel von Maximilian Vogel, Mitgründer von BIG PICTURE aus Berlin
KI-Agenten sind keine Werkzeuge – sie sind die neuen Kollegen: Anders als ChatGPT beantworten sie nicht einfach Fragen. Sie lösen komplexe Aufgaben wie zum Beispiel die Bearbeitung und Regulierung eines Schadenfalls – Schritt für Schritt und ohne menschliches Eingreifen. Im Gegensatz zu bisherigen KI-Systemen, die primär zur Assistenz dienen, übernehmen KI-Agenten damit die Rolle vollwertiger Mitarbeiter und ermöglichen tiefgreifende Effizienzgewinne in Unternehmen. Führende Köpfe wie OpenAI-Gründer Sam Altman und Nvidia-CEO Jensen Huang sehen in Agenten das dominierende KI-Modell der kommenden Jahre.
Das Beste: Agenten sind kein weiteres neues Stück Software, in das sich Mitarbeiter erst einarbeiten müssen. Die Agenten arbeiten vielmehr direkt mit bestehenden Unternehmenssystemen wie ERP, CRM, Schadenmanagement- oder Bestandsführungslösungen oder mit der Provisionsabrechnung. Sie nutzen APIs – oder interagieren, und das ist ganz neu, einfach über das Web-Frontend von SAP, Salesforce und anderen Plattformen, genau wie ein menschlicher Nutzer.
Verlässlichkeit und Genauigkeit als Schlüssel
Kaum jemand würde Anfragen seiner Kunden ohne Kontrolle von einem Chatbot wie ChatGPT beantworten lassen: Denn trotz oft beeindruckender Ergebnisse sind Fehler und sogar vollständig erfundene Inhalte („Halluzinationen“) an der Tagesordnung. In kritischen Bereichen wie Finanzen und Versicherungen können solche Fehler sehr teuer werden.
Womit KI-Agenten punkten
Warum gelingt Agenten, woran andere KI-Systeme scheitern? Der Schlüssel liegt in der sicheren Verwendung von Daten, neuen Reasoning-Mechanismen und einem abgesicherten Modus. Die Agenten produzieren Aussagen allein auf Basis der geprüften Daten, die man ihnen zur Verfügung stellt – etwa Verträge, Policen oder Prozessdokumente. Konfidenzsysteme und ein Sandbox-Modus sorgen dafür, dass nur validierte Informationen verarbeitet werden. Unsichere Fälle erkennen sie selbst und übergeben sie an menschliche Kollegen.
Zudem bearbeiten Agenten große Aufgaben in vielen kleinen Schritten. Sie speichern Zwischenstände, können Antworten abwarten und verlieren auch über Tage oder Wochen hinweg nie den Kontext. Ihre Entscheidungen dokumentieren sie und machen auch die Gründe für Außenstehende nachvollziehbar. Das ist ein großer Vorteil für die Sicherheit und für die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben wie des EU AI Act.
Ein Praxisbeispiel
Einige große Versicherungsunternehmen sind gerade dabei, Agentensysteme vor allem für das Schadenmanagement und den Kundenservice zu entwickeln. Besonders bekannt wurde aber der deutsche Logistikdienstleister FIEGE, der sein Schadenmanagementsystem zum Jahreswechsel auf einer AI-Konferenz präsentierte. Die Effizienzgewinne des produktiven agentenbasierten Systems sind beeindruckend: Laut Christian Meierhoff von FIEGE kann der Agent etwa 70% aller Schadenfälle vollständig automatisiert abwickeln – eine massive Entlastung für die Mitarbeiter. Der Agent muss, um Erstattungsansprüche zu bestimmen, Dokumente wie Rechnungen, eidesstattliche Erklärungen oder Schadenbilder analysieren. Er kommuniziert dabei oft über Tage und Wochen mit verschiedenen Ansprechpartnern in der Logistik und im Lager, um Vorgang und Haftungsfragestellungen zu klären.
Umsetzung im eigenen Unternehmen
KI-Agenten basieren auf äußerst komplexen Grundbausteinen, den großen Sprachmodellen. Diese können heute aber sehr unkompliziert als Service in einer Corporate Cloud genutzt werden oder – etwas aufwendiger – auf Basis von Open-Source-Modellen im eigenen Rechenzentrum betrieben werden. Die Herausforderung liegt damit nicht in der Modellnutzung, sondern in der Implementierung der Business-Logik. Die gibt es nicht von der Stange – auch wenn einige KI-Anbieter das suggerieren. Der Auftraggeber muss die eigenen Ist- oder Zielprozesse klar definieren und für den KI-Agenten übersetzen:
- Welche Schadenfälle sollen automatisiert werden?
- Was sind notwendige Informationen, welche optionalen Daten können in die Fallbewertung einfließen?
- Auf welche Kundendaten darf wie zugegriffen werden?
- Wo wird streng nach AVB und Police reguliert, wo gelten welche Kulanzregelungen?
Auf Basis einer natürlich-sprachlichen Prozessbeschreibung, kombiniert mit Prompt Engineering und Integration in die Unternehmenssysteme, entsteht ein Agent. In der Einführungsphase läuft er vollständig unter menschlicher Aufsicht – bevor er bei Erfolg immer mehr Aufgaben eigenständig übernimmt.
Ein Verständnis für branchenspezifische Dokumente – ob Policen und AVBs auf Versichererseite oder Rechnungen und Schadendokumentationen auf Kundenseite – muss heute nicht mehr aufwendig trainiert werden: Aktuelle Systeme bringen diese Fähigkeit bereits out of the box mit.
Breite Anwendungsfelder
Agentensysteme sollten für Anwendungsfelder entwickelt werden, die eine Vielzahl von Fällen umfassen. Das könnten bei Versicherungen neben den bereits genannten Feldern die Bereiche Vertrieb, Bestandsmanagement, Underwriting, Risikomanagement, Marketing und Produktentwicklung sein. Dazu kommen noch Querschnittsbereiche wie Legal, Compliance, IT oder HR.
Agenten für sehr spezifische, seltene Fragestellungen lohnen sich oft nicht. Und es sollte kein Ziel sein, komplette Teams zu ersetzen. Die besten Agentensysteme nehmen einem größeren menschlichen Team alle Routine-Tätigkeiten ab und helfen den Kollegen, sich auf die geschäftskritischen und wirklich wertschöpfenden Tätigkeiten zu fokussieren. Sie sind oft in der Lage, 50% bis 80% der Fälle einer Abteilung sicher und vollständig automatisiert zu bearbeiten. Sie sparen Kosten und können dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu lindern. Eine Gesellschaft, in der jährlich fast eine Million Menschen in Rente geht, aber deutlich kleinere Kohorten von den Schulen und Unis nachkommen, kann nur mithilfe von Agenten oder ähnlichen Effizienzboostern die Wirtschaftsleistung halten oder sogar steigern.
Über den Autor
Maximilian Vogel, hat digitale Plattformen, KI-Agenten und Machine-Learning-Lösungen für eine Reihe von Unternehmen wie Allianz, BASF, BMW, Commerzbank, Danone, Evonik, LVM, Mercedes, die Sparkassengruppe und Unicredit mit entwickelt.
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Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 06/2025 und in unserem ePaper.

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