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24. Juli 2020
Kindergeld: Wann hat ein behindertes Kind lebenslang Anspruch?

Kindergeld: Wann hat ein behindertes Kind lebenslang Anspruch?

Ob ein behindertes Kind lebenslang einen Anspruch auf Kindergeld hat, ist abhängig davon, wann die Behinderung eingetreten ist. Das Vorliegen eines Gendefekts reicht nicht aus, um einen lebenslangen Anspruch zu erwerben. Das geht aus einem Urteil des BFH im Fall einer schwerbehinderten Frau hervor.

Grundsätzlich besteht für ein behindertes Kind lebenslang Anspruch auf Kindergeld. Zumindest dann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Eine davon ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten sein muss. Wenn das Kind jedoch vor 1982 geboren ist, muss die Behinderung bis spätestens zum vollendeten 27. Lebensjahr eingetreten sein. Doch wann ist eine Behinderung wirksam eingetreten? Dazu musste der Bundesfinanzhof (BFH) ein Urteil fällen.

Schwerwiegende Muskelerkrankung

Bei einer Frau wurde 1998 festgestellt, dass sie an einer schweren Muskelerkrankung leidet. Die Erkrankung basiert auf einem Gendefekt, der in zunehmendem Maße Muskelschwäche hervorruft. Erste Symptome zeigte die Frau bereits im Alter von 15 Jahren, doch da wurde die Erkrankung noch nicht erkannt.

Einschränkungen werden stärker

In den Jahren nach 1998 verstärkten sich die Beschwerden der Frau, bis ihr im Jahre 2005 ein Grad der Behinderung von 50% und 2009 von 100% attestiert wurde. Dennoch absolvierte die Frau eine Berufsausbildung und arbeitete bis 2010. Ab Oktober 2011 erhielt sie eine Rente aufgrund von voller Erwerbsminderung.

Rückwirkend Kindergeld beantragt

Der Vater der Frau beantragte 2014 rückwirkend, vom Januar 2010 ab, Kindergeld für seine Tochter. Die Familienkasse lehnte seinen Antrag ab. Die Behinderung sei nicht vor der Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten, begründete die Behörde ihre Entscheidung. Das sah der Vater der Erkrankten anders und klagte gegen die Familienkasse.

Finanzgericht erkennt Anspruch an

Das Finanzgericht gab der Klage statt. Zumindest für die Monate, in denen das Einkommen der Tochter nicht zur Deckung ihres Lebensunterhalts ausgereicht hatte, habe sie einen Anspruch auf Kindergeld. Die Familienkasse legte jedoch Revision vor dem BFH ein.

Eintritt der Behinderung maßgeblich

Der BFH gab der Revision statt. Nach Ansicht der Bundesrichter kommt es auf den Behinderungsbegriff an. Wenn eine Behinderung vor der Vollendung des 27. Lebensjahres droht, aber noch nicht eingetreten ist, hat das Kind keinen Anspruch auf Kindergeld. Eine Behinderung sei dann eingetreten, wenn eine für das Lebensalter untypische gesundheitliche Situation länger als voraussichtlich sechs Monat andauere und dadurch die gesellschaftliche Teilhabe beeinträchtigt ist.

Bloßes Vorliegen eines Gendefekts ist nicht ausreichend

Die Bundesrichter begründeten ihr Urteil damit, dass durch das Finanzgericht nicht festgestellt worden sei, wann die Behinderung eintrat. Stattdessen habe sich das Finanzgericht auf den angeborenen Gendefekt bezogen, als es zugunsten des klagenden Vaters entschied. Das sei nicht ausreichend. Das Gericht müsse vielmehr prüfen, ob der Gendefekt vor Erreichen der Altersgrenze zu so deutlichen Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen geführt habe, dass von einer Behinderung gesprochen werden kann. Der BFH verwies das Verfahren zurück an das zuständige Finanzgericht Köln, das nun erneut entscheiden muss. (tku)

BFH, Urteil vom 27.11.2019, Az.: III R 44/17

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