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Steuern & Recht
31. Oktober 2023
Krankengeld: Bezug ist trotz verspätetem Attest zulässig
Symbolbild: Nahaufnahme einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Krankengeld: Bezug ist trotz verspätetem Attest zulässig

Eine Krankengeldbezieherin konnte wegen eines übervollen Wartezimmers nicht rechtzeitig bei ihrem behandelnden Arzt vorsprechen. Das Attest konnte somit nicht durchgängig verlängert werden, das Krankengeld wurde nicht ausgezahlt. Zu Unrecht, wie das Bundessozialgericht entschieden hat.

Wegen eines übervollen Wartezimmers konnte ein Krankengeldbezieher für die Verlängerung seiner Krankschreibung nicht rechtzeitig bei seinem behandelnden Arzt vorsprechen. Da das Attest damit nicht durchgängig verlängert werden konnte, stellte die Krankenkasse die Zahlung des Krankengeldes ein.

Damit wollte sich der Krankengeldbezieher nicht abfinden und klagte auf Auszahlung der Leistung bis vor das höchste deutsche Sozialgericht. Und die Richter am Bundessozialgericht (BSG) haben in einem jüngst veröffentlichten Urteil entschieden: Wenn ein Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden erst kurz nach Ablauf einer Krankschreibung eine Verlängerung erhält, hat er dennoch einen durchgängigen Anspruch auf Krankengeld von seiner Krankenkasse.

Versicherte müssen für durchgängige Verlängerung sorgen

Grundsätzlich hätten Versicherte „im Sinne einer Obliegenheit“ zwar dafür zu sorgen, dass der Arzt die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig feststellt, so die Richter. Aber „wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (...) zu erhalten“, dann stehe dies einem „rechtzeitig“ erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gleich. „Ob dem so ist, erfordert eine wertende Betrachtung der Risiko- und Verantwortungsbereiche des Versicherten, des Arztes und der Krankenkasse“, so die Richter am BSG.

Verspätung ist nicht dem Versicherten zuzurechnen

Nach diesen Maßstäben werde der Anspruch auf weiteres Krankengeld auch dann gewahrt, wenn der Versicherte „ohne zuvor vereinbarten Termin am ersten Tag nach einer zuvor festgestellten Arbeitsunfähigkeit die Praxis des behandelnden Arztes zu üblicher Öffnungszeit persönlich aufsucht“, heißt es im Urteil. Ohne Vorliegen besonderer Umstände dürfe dieser grundsätzlich darauf vertrauen, eine Folgefeststellung seines behandelnden Arztes wegen derselben Krankheit auch dann zu bekommen, wenn er dessen Praxis ohne zuvor vereinbarten Termin „am letzten noch anspruchserhaltenden Tag zu üblicher Öffnungszeit persönlich aufsucht“. Dass es erst verspätet zum Treffen mit dem Mediziner gekommen ist, sei daher im vorgelegten Einzelfall maßgeblich nicht dem Versicherten zuzurechnen, sondern dem Arzt und der Krankenkasse.

Krankenkassen tragen Mitverantwortung

Denn das vom Vertragsarzt angeleitete Praxispersonal hat dem Krankengeldbezieher trotz Schilderung seines Anliegens wegen hohen Patientenaufkommens einen Termin erst für den übernächsten Folgetag gegeben, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wurde, argumentierten die Richter.

Die dahinter stehende (naheliegende) Fehlvorstellung, dass rückwirkende Arbeitsunfähigkeitsfeststellungen für Versicherte nicht leistungsschädlich seien, haben zudem die Krankenkassen mit zu verantworten, so das BSG, weil sie als maßgebliche Mitakteure im Gemeinsamen Bundesausschuss an dessen Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie beteiligt sind, die eine begrenzte rückwirkende ärztliche Arbeitsunfähigkeitsfeststellung zulasse. (as)

BSG, Urteil vom 21.09.2023 – B 3 KR 11/22 R

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