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8. Dezember 2022
LegalTech: Chance oder Gefahr für den Rechtsschutzmarkt?

LegalTech: Chance oder Gefahr für den Rechtsschutzmarkt?

LegalTech gilt als aufstrebendes Segment innerhalb der Rechtsdienstleistungsbranche. Doch was versteht man darunter genau? Welchen Nutzen bieten LegalTech-Kanzleien den Verbrauchern und wie beeinflusst die Digitalisierung der Rechtsbranche den Markt für Rechtsschutzversicherungen?

Interview mit Philipp Eder, Geschäftsführer bei Allianz Rechtsschutz Service GmbH, und Dr. Philipp Hammerich, Geschäftsführender Gesellschafter der LegalTech-Kanzlei rightmart
Herr Dr. Hammerich, LegalTech gilt hierzulande als „Emerging Market“. Worum handelt es sich dabei genau?

Dr. Philipp Hammerich LegalTech ist ein Oberbegriff für die fortschreitende Digitalisierung und Standardisierung in der Rechtsbranche. Der Begriff steht vornehmlich dafür, Rechtsdienstleistungen durch Digitalisierung, also durch Einsatz von Software und vor allem Daten neu zu denken und effizienter zu gestalten. Wenn man von LegalTech in Deutschland spricht, ist meistens verbraucherbezogenes LegalTech gemeint, welches Verbraucherrechte mit Unterstützung durch Software gegenüber Unternehmen oder gegenüber dem Staat durchsetzt.

Insgesamt betrachtet existiert bei LegalTech natürlich eine größere Bandbreite, die wir beim LegalTech-Verband auch bespielen. Dazu zählen nicht nur die klassischen Verbraucher-LegalTech-Kanzleien oder die Inkassogesellschaften, sondern auch die Softwareanbieter oder beispielsweise Anbieter von Rechtsdienstleistungen im B2B-Segment.

Herr Eder, was unterscheidet aus Ihrer Sicht LegalTech von der klassischen Rechtsdienstleistung?

Philipp Eder Prozessbezogen gibt es drei Punkte, die LegalTech ausmachen. Erstens der Bereich des Tech-basierten Onboardings des Rechtssuchenden beim Rechtsdienstleister. Hier ist LegalTech bereits sehr sichtbar ausgeprägt. Zweitens der Bereich der Prozess­optimierung. Und drittens – ein eher noch zartes Pflänzchen – der Bereich künstliche Intelligenz. Letztlich bleibt der Kern der klassischen Rechtsdienstleistung aber erhalten und es ist regelmäßig rechtliche Expertise durch einen menschlichen Experten, insbesondere bei fachlicher Zuspitzung, relevant.

Welche Voraussetzungen braucht es denn, um eine Rechtsdienstleistung zu standardisieren?

PH Die Standardisierung der Rechtsdienstleistung gibt Sinn, wenn man eine Vielzahl von gleich gelagerten und skalierbaren Rechtsstreitigkeiten hat, wie bspw. bei dem „Abgasskandal“. Damit man das ökonomisch vernünftig machen kann, muss es LegalTech-Anbietern gelingen, diese Fälle ohne regionale Begrenzung zu akquirieren. Und dabei unterstützt die Technik.

PE Es geschehen laufend Ungerechtigkeiten, die vielleicht – wenn man es rechtlich bewertet – nicht völlig exakt laufen. Gleichzeitig existiert aber bei vielen dieser Fälle eine Bagatelle-Komponente, die nicht lohnt, gleich jede Rechtsstreitigkeit aufzumachen. Und an dieser Stelle hilft LegalTech, Zugang zum Recht zu ermöglichen und zu vereinfachen. Für unsere Streitkultur wird es wichtig sein, hier genau abzuwägen, wo Konflikte sinnvollerweise aufgedeckt werden oder wo „die Verträge in der Schublade“ bleiben sollten. Oft ist auch die rechtliche Komponente nicht die relevante, sondern es geht um zwischenmenschliche Probleme, die sich in einem Rechtsproblem eskalieren. Hier kommt den Rechtsschutzversicherungen durch das gesamte Angebot an Dienstleistungen – also von LegalTech bis Mediation – eine wichtige Rolle zu.

Und mit Blick auf den Erfolg für den Rechtssuchenden: Was macht LegalTech hier besonders?

PH LegalTech bietet den Rechtssuchenden unter anderem die Möglichkeit, auch ohne eine Rechtsschutzversicherung ihre Rechte durchzusetzen, ohne von einem hohen Prozesskostenrisiko abgeschreckt zu werden. Dabei ist es so, dass die LegalTech-Unternehmen über verschiedene Marketingstrategien Rechtssuchende teilweise erstmalig darüber aufklären, dass diese eine Rechtsposition haben, welche sich schnell, effektiv und weitgehend ohne Kostenrisiko durchsetzen lässt.

PE Wir Rechtsschutzversicherer ermöglichen mit viel finanziellem Aufwand nicht nur den Zugang zum Recht, sondern legen auch Wert darauf, dass die Erfolgsaussichten für Verfahren mithilfe von Technik aus LegalTech zukünftig erheblich größer werden müssen. Wenn der Großteil der Verfahren erfolglos ist, steigen unsere Aufwände erheblich und es besteht die Gefahr, dass das Produkt Rechtsschutzversicherung teurer werden muss. Dann wird der Zugang zum Recht nicht verbessert.

Am Ende gilt auch bei LegalTech, dass sich die Dienstleistung ökonomisch tragen muss. Wie finanziert sich eine LegalTech-Kanzlei?

PH Im LegalTech-Bereich dominiert die Prozessfinanzierungskomponente – also eine „No win, no fee“-Finanzierung. Wenn man vor Gericht verliert, trägt der LegalTech-Anbieter alle Kosten der Kläger. Im Erfolgsfall bekommt der Prozess­finanzierer dafür einen prozentualen Anteil am durchgesetzten Anspruch. Interessengerichtet ist dieses Modell vor allem bei Ansprüchen aufgrund von Unannehmlichkeiten wie bei mehrstündigen Verspätungen eines Fluges. Dieses Modell entspricht aber nicht immer der Interessenlage. Beim Abgasskandal hat das auch für nicht Rechtsschutzversicherte sehr gut funktioniert. Bei einem Verkehrsunfall braucht der Kunde hingegen das Geld für die Reparatur des Autos und kann/will nichts von seinem Schadenersatzanspruch abgeben.

Mit Blick auf die Rechtsschutzversicherer: Wie wichtig wird LegalTech für die Anbieter von Rechtsschutz?

PE Allein durch die Vervielfachung der Datenmengen weltweit werden wir immer mehr in Datenkonstellationen leben und handeln. Das gilt auch für uns Rechtsschutzversicherer. Es ist also zwangsläufig, dass es für Versicherer eine Nähe zu LegalTech braucht. LegalTech wird auch Teil unseres Geschäftsmodelles werden. Umgekehrt sind die Rechtsschutzversicherer die großen Enabler des LegalTech-Marktes in Deutschland und bleiben zudem wichtig für den Zugang zum Recht. Denn die Versicherer haben eine Vielzahl von Mandaten und finanzieren hinter diesen stehende Anwaltshonorare, die den LegalTech-Kanzleien abseits von der Finanzierung durch Venture-Capital-Geber Geschäft zukommen lassen.

PH LegalTech-Anbieter haben im Fall einer Kooperation mit einer Rechtsschutzversicherung einen einfacheren Zugang zur rechtsschutzversicherten Person, wodurch geringere Marketing-Kosten entstehen. Diesen Kostenvorteil kann der LegalTech-Anbieter an den Versicherer weitergeben und dieser wiederum bei den Endprodukten an die Kunden. Weitergedacht erzielen Rechtsschutzversicherer also durch Kooperationen mit LegalTech-Kanzleien Kostenvorteile.

Auch Rechtsschutzpolicen helfen Menschen bei der Rechtsdurchsetzung. Steht LegalTech in Konkurrenz mit diesem Versicherungsschutz?

PE Aus meiner Sicht sollte es ein Nebeneinander von verschiedenen Möglichkeiten, Rechtsbedarf zu bedienen, geben. Die Rechtsschutzversicherung mit ihrer breiten Abdeckung und nicht auf Erfolgsaussicht ausgerichteten Sichtweise wird ein relevanter Player bleiben, weil sie vor allem dann eintritt, wenn die Chancen gering und die Not groß sind. Sie fragt nicht nach Skalierbarkeit oder Standardisierung. LegalTech wiederum wird ein relevanter Player, weil es marktgerecht und kostenbewusst Zugang zum Recht ermöglicht. Es wird mit seinen Angeboten aber auch integraler Bestandteil der Rechtsschutzservices sein.

PH Ich sehe LegalTech nicht zwangsläufig als Wettbewerber, sondern vielmehr eine Koexistenz von beiden Angeboten auf dem Markt. Meinem privaten Umfeld empfehle ich bei einer entsprechenden Interessenlage durchaus eine Rechtsschutzpolice, weil man damit in wichtigen Bereichen wie Verkehrs-, Arbeits- oder auch Mietrecht sehr gut abgesichert ist. In einzelnen Sparten wiederum gibt die Prozessfinanzierungskomponente, wie sie LegalTech eben verfolgt, wirtschaftlich mehr Sinn.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 12/2022, S. 48 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Philipp Eder, Allianz Rechtsschutz Service GmbH, und Dr. Philipp Hammerich, rightmart; Tierney – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Philipp Eder
Dr. Philipp Hammerich