Interview mit Dr. Markus Kaulartz (Counsel) und Dr. Alexander Schmid (Associate), Rechtsanwälte bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.
Herr Dr. Kaulartz, Non-fungible Token, kurz NFTs, sind einer der Investmenttrends des Jahres. Wie funktionieren diese?
Dr. Markus Kaulartz: NFT basieren auf der Blockchain-Technologie und ordnen dem jeweiligen Inhaber entweder einen virtuellen oder physischen Vermögenswert zu. Die Blockchain gibt es schon seit mehr als einem Jahrzehnt und sie ist insbesondere von der Kryptowährung Bitcoin bekannt. Anstelle einer zentralen Speicherung in Rechenzentren erlaubt die Blockchain-Technologie eine dezentralisierte Speicherung durch zigtausende Teilnehmer. Dies ermöglicht nicht nur einen besonders hohen Grad an Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit, sondern auch an Manipulationssicherheit der in der Blockchain gespeicherten Informationen.
Warum ist die Blockchain so wichtig?
Dr. Alexander Schmid: Da die Blockchain nichts anderes als eine dezentralisierte Datenablage ist, können dort grundsätzlich beliebige Informationen gespeichert werden. Eine solche Information kann auch sein, dass der Inhaber der Information einen bestimmten Vermögenswert besitzt. Solche Informationen, die einen Vermögenswert verkörpern, werden Token genannt. Dies können Bitcoins oder andere digitale Währungen sein. Dies können aber auch ganz andere Assets sein, beispielsweise aus der „realen Welt“. So kann in der Blockchain hinterlegt werden, dass der jeweilige Inhaber des Tokens Eigentümer einer bestimmten Sache oder eines bestimmten Rechts ist. Durch sogenannte Smart Contracts kann vereinbart werden, dass der Übergang eines Tokens von Teilnehmer A zu Teilnehmer B mit dem Übergang des im Token verkörperten Vermögenswerts einhergeht.
Worin liegt der Unterschied von NFTs zu anderen Token wie Bitcoin?
MK: Auf diesem Prinzip basieren letztendlich auch non-fungible Token als besondere Art von Token, die im Unterschied zu „fungible Token“ – beispielsweise Bitcoins – gerade nicht in beliebiger oder jedenfalls großer Anzahl existieren, sondern einmalig sind. NFTs sind also nicht durch identische NFTs frei austauschbar.
Welche Chancen bieten NFTs?
AS: Durch NFTs wird im digitalen Raum das bislang Unmögliche möglich gemacht: die Schaffung eines „digitalen Originals“, das einmalig ist und eindeutig dem jeweiligen Inhaber zugeordnet werden kann. Die Chancen, die hierdurch entstehen, sind insbesondere in der digitalen Kunst- und Musikwelt greifbar: Während es in der „realen Welt“ von einem Werk stets ein eindeutiges Original gibt, wie zum Beispiel das Gemälde, das der Künstler mit eigenen Händen erschaffen hat, gab es in der digitalen Welt bislang kein Pendant im Sinne eines „digitalen Originals“. Jede Kopie einer JPG-Datei ist identisch zur Vorlage. Musik lässt sich beliebig als MP3-Datei verbreiten.
Dies führte bislang nicht nur zu Problemen hinsichtlich des Nachweises der Urheberinhaberschaft an ausschließlich digital erstellten Werken, sondern führte letztendlich zu umfangreicher Piraterie aufgrund der uneingeschränkten Reproduzierbarkeit von digitalen Werken. Ein Problem, das durch sogenannte Digital Rights Management schon seit mehreren Jahrzehnten versucht wird, in den Griff zu bekommen.
MK: Das Fehlen eines „digitalen Originals“ nimmt dem Urheber eines digital erschaffenen Werks zudem eine wichtige Quelle zur Monetarisierung: Während bei einem physischen Kunstwerk einerseits die urheberrechtlichen Verwertungsrechte abgetreten und verkauft werden können und andererseits das Eigentum am physischen Kunstwerk selbst, beschränkt sich die Monetarisierbarkeit digitaler Kunst mangels Existenz eines digitalen Originals, das verkauft werde könnte, bislang nur auf die Abtretung von Urheberrechten. Hier kann durch NFTs insofern eine Lücke geschlossen werden. Zudem erlauben NFTs, dass der Urheber an jedem Weiterverkauf des Werks von dessen Wertsteigerung profitiert.
Eröffnen NFTs auch außerhalb der Kunst- und Kreativwelt neue Möglichkeiten?
MK: Ja, auch außerhalb der Kunst- und Kreativwelt eröffnen sich durch NFTs völlig neue Möglichkeiten, wenn man sich vor Augen hält, dass sich physische Gegenstände „tokenisieren“ lassen. Grundsätzlich kann jeder Vermögenswert, also jeder Gegenstand und jedes Recht, als Token auf der Blockchain dargestellt werden. Durch sogenannte Fraktionalisierung können aus einem Vermögenswert hunderte oder tausende Token erzeugt und einzeln handelbar gemacht werden. Dies dürfte zukünftig (Privat-)Investoren freuen, wenn diese in bislang unbezahlbare Vermögensanlagen wie Ölgemälde, Oldtimer, Golduhren oder eine Berkshire-Hathaway-Class-A-Aktie investieren können, indem diese einen bruchteilhaften Token an dem Gesamtgegenstand oder -recht erwerben.
Wie könnte die Entwicklung weitergehen?
AS: Der Fantasie, in welche Richtung sich dies noch entwickeln kann und wird, sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Wie wäre es mit einem Anteil an einem Einkaufszentrum zur Diversifizierung des Portfolios? Auch die Tokenisierung von Immobilien ist generell denkbar, wenngleich hierbei die Pflichtvorgaben der Grundbuchordnung, also etwa die Pflicht zur notariellen Beurkundung und Eintragung der Eigentümer in das Grundbuch, entweder durch Holding-Strukturen gelöst werden oder aber schlichtweg der Gesetzgeber erst die Bahn für derart innovative Investitionsmöglichkeiten freimachen müsste. Die Vorteile gegenüber herkömmlichen Investitionsmöglichkeiten in Immobilien lägen jedenfalls auf der Hand, nämlich die hohe Liquidität der grundsätzlich frei handelbaren Token, beispielsweise im Gegensatz zum „echten“ Immobilieneigentum oder zu geschlossenen Immobilienfonds auf der einen Seite, und die direkte Investition in Immobilieneigentum beispielsweise im Gegensatz zu REITs auf der anderen Seite.
Was sind die Risiken von NFTs?
MK: Der Handel mit NFTs ist durch Marktplätze wie OpenSea auch für Privatpersonen einfach zugänglich: Heute kann sich jeder eine Krypto-Wallet anlegen und mit dem Kauf von NFTs beginnen. Die rechtliche Komponente ist bislang kaum erforscht und wird beim Kauf von NFTs nur unzureichend vertraglich geregelt. Fragen wie, welche Rechte mit dem Kauf von NFTs eigentlich erworben werden, ob der Kauf von NFTs auch zu Verpflichtungen führen kann, ob beim Handel mit NFTs nicht finanzrechtliche Erlaubnis- und Prospektpflichten zu beachten sind und wie man sich eigentlich davor schützen kann, wenn ein identischer NFT beispielsweise auf einer anderen Blockchain nochmals verkauft wird, werden bislang eher stiefmütterlich behandelt. Es ist daher elementar und liegt auf der Hand, dass diese Rechtsfragen vor jedem Kauf eines NFTs geklärt und per Smart Contracts entsprechende vertragliche Regelungen hinterlegt werden müssen.
Sind NFTs eine Alternative zu bereits etablierteren Token?
AS: Bislang gab es auf der Blockchain hauptsächlich fungible Token, also Token die frei austauschbar sind, da gleiche Token in identischer Form in beliebiger oder jedenfalls großer Anzahl existieren. Prominentestes Beispiel von fungible Token sind Bitcoins oder in der „realen Welt“ Währungen wie der Euro. Non-fungible Token ersetzen die fungible Token nicht, sondern ermöglichen nur ein weiteres Anwendungsgebiet von Blockchains, nämlich die Erschaffung von digitalen Originalen und die eindeutige Zuordnung von bestimmten Assets zu deren Inhabern.
Sind Sie wirklich mehr als eine Spielerei für Nerds?
MK: NFTs werden die Zukunft von Asset-Klassen mitgestalten, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kryptowelt. Die Möglichkeiten, die NFTs bieten, lassen sich heute nur erahnen und die hier genannten Beispiele stellen letztendlich nur das dar, was heute schon gemacht wird oder was auf der Hand liegt. Die denkbaren Einsatzmöglichkeiten gehen aber weit über Urhebernachweise oder den digitalen Handel mit Assets hinaus. Auch Identitätsnachweise wie Personalausweise oder digitale Impfpässe würden sich beispielsweise manipulationssicher per NFT realisieren lassen.
Bild: © sdecoret – stock.adobe.com
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