Die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland ist ein Fall für die Notaufnahme. Trotz gestiegener Zusatzbeiträge haben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2024 ein Defizit von rund 6,2 Mrd. Euro erwirtschaftet. Das belegen vorläufige Finanzergebnisse, die das Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht hat. Es ist Zeit für eine Reform. Das bestätigte Bundeskanzler Merz auch kürzlich im Sommerinterview mit der ARD und beteuerte, dass die Vorarbeiten für eine solche Reform – sowohl in der Kranken- als auch in der Renten- und Pflegeversicherung – „in vollem Gange“ seien.
PKV als Stabilisator des deutschen Gesundheitssystems
Doch wie könnte eine solche Reform aussehen? Den Vorschlag einer Bürgerversicherung hält Merz nicht für zielführend. „Alle in die gesetzliche Krankenversicherung ist auch keine Lösung“, erklärt Merz. Die private Krankenversicherung trage „überproportional zur Stabilität des Systems bei“. Das dürfte wohl bedeuten, dass unter der aktuellen Bundesregierung die Diskussion zur Abschaffung des dualen Gesundheitssystems nicht zur Sprache kommen wird.
Worüber der Kanzler allerdings bereit ist, zu diskutieren, ist das Leistungsniveau. „Wo fängt Eigenverantwortung an, wo hört Eigenverantwortung auf und geht in Solidarität über?“, fragt der Kanzler während des Interviews. „Diese Grenzen müssen neu gezogen werden.“
„Tausend Vorschläge“ zur Reform
Konkrete Vorschläge wollte der Kanzler nicht diskutieren. Auf die Frage des Interviewers, ob zum Beispiel zahnärztliche Behandlungen vielleicht künftig nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden könnten, winkt er ab. „Es gibt tausend Vorschläge“, erklärt er. Das Ziel sei, ein „Gesamtkonzept“ vorzulegen, um die Sozialversicherungen in Deutschland zukunftsfähig zu machen. Es bleibt allerdings zu erwarten, dass Leistungskürzungen dazu führen könnten, dass mehr gesetzlich Versicherte sich an die PKV wenden werden, um Lücken im Leistungskatalog abzusichern.
Wie schätzt eine GKV-Maklerin die Situation ein?
Doch Leistungskürzungen müssen nicht die einzige, oder überhaupt eine Antwort auf die Schieflage der GKV sein, wie auch Fiona Jasmut findet. Die Jungmaklerin hat sich mit ihrem Unternehmen KassenKompass auf die Beratung zur GKV spezialisiert und hat gegenüber AssCompact ihre Meinung zu Merz‘ Aussagen abgegeben.
Für sie kommen Leistungskürzungen eher nicht infrage, sondern es müsse ein „intelligentes und solidarisch finanziertes Gesundheitssystem“, wie es zum Beispiel auch der GKV-Spitzenverband für nötig erachtet. „Gerade in Zeiten struktureller Veränderungen sind Aufklärung, Vergleichsmöglichkeiten und ein fairer, transparenter Zugang zur Versorgung wichtiger denn je“, so Jasmut.
Statt über Leistungseinschränkungen nachzudenken, solle man eher folgende Reformansätze konsequent ausschöpfen:
- Effizienzsteigerung in Verwaltung und Ausgabenstruktur: Durch konsequente Digitalisierung, Prozessoptimierung und eine bessere Steuerung von Leistungsausgaben kann das System nachhaltig entlastet werden – ohne die Versorgungsqualität zu gefährden.
- Stärkere steuerbasierte Mitfinanzierung gesundheitsschädlicher Konsumgüter durch rund 13,5 Mrd. Euro aus der Tabaksteuer und 1,7 Mrd. Euro aus der Alkoholsteuer. Diese sollten gezielter zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung herangezogen werden. Auch die Bundesärztekammer spricht sich klar für eine solche Zweckbindung aus.
- Ausbau digitaler Prävention und Stärkung der Gesundheitskompetenz – Auch Jasmut setze sich mit KassenKompass aktiv für mehr Präventionsleistungen ein und unterstütze die Einlösung von Bonusprogrammen, die gesundheitsbewusstes Verhalten fördern.
Privat vorsorgen, aber wie?
Wenn die GKV weniger leistet, dann wird private Vorsorge umso wichtiger – doch nicht jeder ist finanziell dazu in der Lage. Für Jasmut ist jedoch klar, dass im Gesundheitssystem niemand zurückgelassen werden darf. Statt Leistungskürzungen brauche es ihrer Meinung nach mehr individuelle Wahlfreiheit: „Es können bestimmte Leistungen abgewählt werden und dafür wird eine Rückerstattung ausgeschüttet, die zum Beispiel für private Zusatzversicherungen verwendet werden kann. Eine Ausweitung solcher Modelle wäre ein sinnvoller Schritt: mehr Flexibilität für Versicherte und stärkere Eigenverantwortung, ohne das Solidarprinzip aufzugeben.“
Mehr Beratungsbedarf?
Im Falle einer Neuaufstellung der GKV-Leistungen gäbe es laut Jasmut jedenfalls mehr Beratungsbedarf und somit auch neue Chancen für Makler. In so einem Falle würden nicht nur die Zusatzversicherungen stärker in den Fokus rücken, sondern auch die Unterschiede zwischen den gesetzlichen Krankenkassen selbst. „Das eröffnet neue Cross-Selling-Potenziale und stärkt die Rolle des Maklers als Vertrauensperson in der Gesundheitsvorsorge. Einige Makler haben bereits Servicepauschalen für die Kassenwahl etabliert – ein Trend, der sich angesichts wachsender Komplexität weiter durchsetzen könnte, dank automatisierter Prozesse für eine moderne, unabhängige Beratung.“ (js/mki)
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