Gastbeitrag von Matthias Zühlke, Architekt, Co-Founder und CEO des PropTechs syte
In Deutschland fehlen laut aktuellen Berechnungen über 500.000 Wohnungen. Der immobilienwirtschaftliche Spitzenverband ZIA prognostiziert bis 2027 sogar eine Lücke von bis zu 830.000 Einheiten. Besonders in Metropolregionen wie München, Berlin oder Hamburg ist bezahlbarer Wohnraum Mangelware. Die Folge: steigende Mieten, wachsender sozialer Druck und ein überhitzter Markt, in dem sich immer weniger Haushalte Wohneigentum oder auch nur bezahlbare Mietwohnungen leisten können.
Parallel verschärft das gestiegene Zinsniveau die Situation. Baufinanzierungen sind teurer denn je, die monatliche Belastung für neue Eigentümer ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Gleichzeitig steigen die Baukosten weiter – allein seit 2021 um 19%. Das erschwert nicht nur privaten Erwerb, sondern stellt auch Projektentwickler und Investoren vor massive wirtschaftliche Herausforderungen.
Zwischen politischem Willen und praktischer Realität
Die Politik versucht gegenzusteuern. Im aktuellen Koalitionsvertrag ist von einem „Wohnungsbau-Turbo“ die Rede. Konkrete Zielzahlen, ein verbindlicher Zeitplan oder Maßnahmen zur Umsetzung lassen jedoch auf sich warten. In der Praxis bleibt der Neubau aufwendig, kostenintensiv und langwierig – gerade angesichts gestiegener Baupreise, Lieferengpässe und des Fachkräftemangels im Handwerk.
Gleichzeitig bleibt die Flächenverfügbarkeit begrenzt. Neue Baugebiete stoßen in vielen Regionen auf Widerstand oder bürokratische Hürden. Das zwingt Planer und Entscheider dazu, neue Wege zu suchen – und bestehende Möglichkeiten besser zu nutzen.
Der Gebäudebestand als verborgene Chance
Ein Schlüssel liegt im Gebäudebestand. Denn während der Fokus vielerorts auf dem Neubau liegt, schlummern in bereits bebauten Strukturen enorme Reserven: ungenutzte Dachflächen, leerstehende Gebäude, rückwärtige Grundstücke oder Flächen über Garagenhöfen. Durch Nachverdichtung, Aufstockung oder Umnutzung lassen sich hier neue Wohnungen schaffen – ohne zusätzliche Flächen zu versiegeln.
Doch in der Realität bleiben viele dieser Möglichkeiten ungenutzt. Der Grund: Die Bewertung ist komplex, Daten sind unvollständig oder gar nicht vorhanden. Die Folge sind langwierige Einzelprüfungen, hohe Kosten für Machbarkeitsanalysen und eine hohe Unsicherheit in der Projektentwicklung. Dabei birgt der Gebäudebestand enormes Entwicklungs- und Sanierungspotenzial – doch um dieses aufzudecken, braucht es datenbasierte Ansätze.
KI als größter Effizienzhebel
Genau hier setzt KI an. Durch automatisierte Analysen lassen sich in Sekunden Entwicklungsmöglichkeiten identifizieren, die früher aufwendig und oft nur stichprobenartig erfasst wurden. KI-Tools werten Bebauungspläne, Flächenkataster, Höhenmodelle und weitere Datenquellen aus – und liefern belastbare Aussagen zur Realisierbarkeit von Projekten im Bestand.
Wie groß dieses Potenzial ist, zeigt eine gemeinsame Analyse von syte und PriceHubble für München. Diese hat ergeben, dass allein durch Dachaufstockung und gezielte Nachverdichtung rund 3.000 neue Wohnungen à 50 m² entstehen könnten – ohne neue Baugebiete auszuweisen, ohne langwierige Erschließungsverfahren.
KI ist nicht nur in der Lage zu zeigen, wo Wohnraum entstehen kann, sondern auch, ob sich dieser wirtschaftlich realisieren lässt. Sie berechnet zum Beispiel, welche Investitionskosten bei einer Aufstockung, Nachverdichtung oder Umnutzung anfallen würden, welche Fördermittel infrage kommen und wie sich solche Maßnahmen auf Infrastruktur und Umfeld auswirken könnten. Projektentwickler, Immobilienmakler und Investoren erhalten damit eine fundierte Entscheidungsbasis – in einem Umfeld, in dem Zeit, Kosten und Planungssicherheit entscheidend sind.
Mit datenbasierter Analyse zu sichereren Finanzierungsentscheidungen
Auch für Banken und Finanzinstitute bringt die datenbasierte Analyse Vorteile. Gerade in Zeiten volatiler Zinsen kann KI dabei helfen, Risiken besser abzuschätzen – durch präzisere Objektbewertungen, realistische Wirtschaftlichkeitsprognosen und datenbasierte Szenarien für verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten. Das Ergebnis: sicherere Finanzierungsentscheidungen für Kreditgebende, aber auch realistischere Erwartungshaltungen bei Kreditnehmenden, denn KI deckt auf welche Projekte sich auch wirklich lohnen. Ein besonders großer Hebel liegt dabei im frühzeitigen Informationsgewinn. Wo bislang eine Vielzahl an Dokumenten nötig war, um eine erste Einschätzung vorzunehmen, ermöglichen KI-gestützte Analysen bereits auf Basis weniger Eckdaten fundierte Aussagen zum Potenzial eines Vorhabens. Das beschleunigt die Vorprüfung deutlich und erleichtert den Einstieg in den Finanzierungsprozess.
Durch die automatisierte Erstbewertung sparen Bankmitarbeitende wertvolle Zeit, da Projekte schneller eingeordnet werden und aufwändige Prüfungen gezielt bei aussichtsreichen Vorhaben erfolgen. Auch im Bestandsportfolio eröffnen sich neue Möglichkeiten, denn bereits finanzierte Immobilien lassen sich regelmäßig neu bewerten, so etwa im Hinblick auf Modernisierungen, Anschlussfinanzierungen oder Wertsteigerungen. Für Berater:innen entstehen dadurch gezielte Anknüpfungspunkte, um Kunden proaktiv zu begleiten und weiteres Potenzial zu heben.
Wohnraummangel ist auch ein Datenproblem
Die Wohnungsnot ist nicht nur ein bauliches oder politisches, sondern auch ein strukturelles Informationsproblem. Viel zu oft fehlt der systematische Zugang zu relevanten Daten – sei es in der frühen Planung, bei der Grundstücksanalyse oder in der Risikobewertung für Investitionen. KI kann helfen, diese Lücke zu schließen. Sie ersetzt keine Architekten, Projektentwickler oder Immobilienmakler – aber sie liefert die entscheidenden Informationen, um schneller und gezielter zu handeln.
Die Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt sind vielfältig – und sie verlangen neue Antworten. KI kann einen Beitrag leisten, weil sie aus Daten greifbare Perspektiven schafft. Sie macht ungenutzte Flächen nutzbar, beschleunigt Planungsprozesse und reduziert Unsicherheiten bei Finanzierungen.
Wer künftig Wohnraum schaffen will – ob auf dem Land oder in der Großstadt – wird nicht umhinkommen, digital zu denken. Denn der Schlüssel liegt nicht nur im politischen Willen oder neuen Förderprogrammen, sondern auch in der Frage: Wie schnell und treffsicher können wir erkennen, was möglich ist? Denn wo politische Maßnahmen ausbleiben, sind pragmatische Lösungen gefragt, so etwa bei Projektentwicklern und Investoren. Denn sie entscheiden mit darüber, ob aus Flächen Wohnraum wird.
Über den Autor
Matthias Zühlke ist Architekt, Co-Founder und CEO des Münsteraner PropTechs syte – Gewinner des Deutschen KI-Preises 2023, des PropTech Germany Awards 2024. syte ist außerdem Gewinner des PropTech of the Year Award 2025. Seit 15 Jahren in der Immobilienbranche tätig, fokussiert sich Zühlke mit seinem Unternehmen auf die digitale Transformation der Immobilienwirtschaft. syte nutzt KI, um in Echtzeit alle Potenziale und Daten zu Immobilien zu liefern – von der Grundstückssuche über Bebauungs,- Sanierungs- und Photovoltaikpotenziale bis hin zu Projektkalkulationen.
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