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12. November 2023
Neulich bei WISO
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Neulich bei WISO

Ein Urteil über den im September ausgestrahlten WISO-Beitrag „Finanzberater im Check“ könnte lauten „Erst verstehen sie es nicht, dann produzieren sie einen schlechten Fernsehbeitrag“, meint Hans-Ludger Sandkühler. Warum, erklärt er in diesem Beitrag.

Ein Artikel von Hans-Ludger Sandkühler

Erst verstehen sie es nicht, dann schreiben sie es schlecht auf“. So stichelte der scharfzüngige Satiriker und Gesellschaftskritiker Kurt Tucholsky, selbst Schriftsteller und Journalist, schon in der Weimarer Republik gegen die eigene Zunft der Journalisten. Zu seiner Zeit gab es noch keine Fernsehbilder. Heute würde sein Urteil über den im September ausgestrahlten WISO-Beitrag „Finanzberater im Check“ wohl eher lauten: „Erst verstehen sie es nicht, dann produzieren sie einen schlechten Fernsehbeitrag.“

Der Titel des Beitrags ist Programm. In einer Verbrauchersendung (WISO-Selbstverständnis: Das Magazin für Wirtschaft und Verbraucher) erklärt die freie Journalistin Caroline Benzel (Selbstverständnis: seit 2005 Themenschwerpunkt Verbraucherschutz, www.schreibsinn.de) den unmündigen Verbrauchern die Welt der Finanzberater.

Beitragsteaser

„Finanzberater im Check, Altersvorsorge-Produkte: Wie gut wird beraten? Zwei Lockvögel lassen sich von Finanz- und Honorarberatern zur Rente beraten und das mit versteckter Kamera. Wie erkennt man einen guten Berater? Ein Experte erklärt, worauf es ankommt.“

Verkürzter Inhalt des Beitrags

Zwei Lockvögel, die in Altersvorsorgefragen erklärtermaßen unwissend und unsicher sind, treffen auf einen Experten, der kurz die „richtige“ Vorgehensweise in der Altersvorsorgeberatung erklärt (Istzustand aufnehmen, Ziel ermitteln und dann den Weg dorthin) und die Rentenlücke schnell berechnet: Einkommen heute (netto 3.500 Euro) abzüglich Rente (brutto 2.000 Euro) abzüglich Betriebsrente (brutto 300 Euro) ergeben eine Rentenlücke von 1.200 Euro. Die Empfehlung: 1.000 Euro (?) privat vorsorgen. Dies vorausgeschickt laden die Lockvögel drei „Finanzberater“ ein und testen deren Beratung im Wege des Mystery Shoppings.

„Der erste ‚Finanzberater‘ kommt von einer Beratungsfirma, die rein an Provisionen verdient“ (Originalton des Beitrags ohne weitere Differenzierung). Der Berater ermittelt eine um 300 Euro höhere Rentenlücke (Vermutung des Beitrags: „komisch, wohl die Betriebsrente in der Berechnung vergessen“) und erklärt auf Befragen (fälschlicherweise), dass die Riester-Rente abgeschafft worden sei. Er bietet eine fondsgebundene Rentenversicherung an. Kommentar im Beitrag: „Das ist zwar ok, das sind aber alles Versicherungen, für die der Berater Provisionen kassieren kann. Das ist schon ganz schön auffällig.“

Weiter Originalton: „Der nächste Termin findet online statt. Auf Provisionen für den Berater habe ich dieses Mal keine Lust. Dieser Mann ist Honorarberater (?). Er verdient sein Geld also über ein festes Honorar. 170 Euro sind vereinbart. Auf der Website wirbt das Unternehmen damit, dass alle Berater komplett frei und nicht als Makler (?) einzelner Versicherungen arbeiten. Hört sich doch gut an.“

Im Termin erklärt der „Berater“ dann den Lockvögeln: „Wir haben zwei Möglichkeiten: Ich kann auf Honorarbasis für Sie arbeiten oder auf Provisionsbasis.“ Dazu der Experte aus dem Off: „Bin überrascht, dass der Berater, den wir als Honoraranlagenberater kennengelernt haben, jetzt hervorhebt, dass er auch Makler ist (?).“ Der „Berater“ kommt ebenfalls auf eine Rentenlücke von 1.200 Euro, empfiehlt Riester-Rente und bietet auch Fondssparpläne an. Die Beratung wird als gut beurteilt, nur die Mischung aus Honorarberatung und Provisionsvermittlung wird als „nicht ganz so gut“ beurteilt.

Der dritte „Berater“ bietet als Banker eine 360-Grad-Beratung zu allen finanziellen Fragen an, weist aber daraufhin hin, dass er nur Produkte anbieten kann, die seine Bank im Portfolio hat, was der Experte als „fair“ beurteilt. Der „Berater“ ermittelt durch eine Berechnung der Renten nach Steuern und Krankenversicherungen und unter Einbeziehung der Inflation eine deutlich höhere Rentenlücke und bietet eine fondsgebundene Rentenversicherung mit einem Monatsbeitrag von 1.000 Euro an. Der Experte hält es für problematisch, „alles auf ein Pferd zu setzen“.

Schlussrat des Experten: „Für all diejenigen, die sich mit dem Thema Altersvorsorge auseinandersetzen möchten, denen würde ich raten, so viele gute Informationen wie möglich zu sammeln. Es empfiehlt sich, auf die Websites der Verbraucherzentralen zu schauen oder aber auch einen Blick in die Finanztest zu werfen.“

Fazit der Autorin: „Ich hatte gehofft, das Thema Altersvorsorge abzugeben, doch damit muss ich mich nun wohl doch selbst beschäftigen.“

Dramaturgie des Beitrags

Die Dramaturgie der Sendung erinnert zum Teil an das klassische Erzählschema der Heldenreise mit ihren Archetypen, das bereits die Plots zahlreicher Hollywoodfilme maßgeblich beeinflusste. Der Held (die Lockvögel) bekommt einen Ruf zum Abenteuer (Altersvorsorge), verlässt die vertraute Welt (Komfortzone), begegnet seinem Mentor (Experte), trifft auf den Bösewicht (die Finanzberater), scheint zu verlieren (Beratung hilft nicht), gewinnt an Wachstum (muss mich selber kümmern) und damit die entscheidende Schlacht gegen den Bösewicht und kommt persönlich gereift mit einer Belohnung (etwas Wertvolles, wichtige Erkenntnis, muss mich selber schlaumachen) zurück. Erzählt wird der Beitrag aus der Sicht eines auktorialen (allwissenden) Erzählers (Autorin), eingesprochen von einem Sprecher.

Sachliche Fehler im Beitrag

Die Belohnung der Zuschauer nach dieser Heldenreise (Erkenntnisgewinn) nach dem Beitrag fällt indes mager aus. Dazu enthält der Beitrag einfach zu viele Böcke, zu wenig Information und zahlreiche Ungenauigkeiten. Allein der Schlussrat des Experten und das Fazit der Autorin geben den Verbrauchern Steine statt Brot. Sie lassen den Verbraucher mit seinem Problem der Altersvorsorge allein. Auf die rechtlichen Unterschiede von Beratern und Vermittlern und die damit verbundenen Pflichten zur Erstinformation wird gar nicht eingegangen, stattdessen werden unklare Bezeichnungen (Honorarberater, Finanzberater), oder, noch schlimmer, falsche Bezeichnungen (Makler einzelner Versicherungen; Honoraranlagenberater, der jetzt hervorhebt, „auch Makler zu sein“ ) verwendet. Bei der Rentenlückenberechnung wird statt von einer Renteninformation fälschlicherweise von einem Rentenbescheid (ergeht nach Beantragung der gesetzlichen Rente) gesprochen. Die Berechnung der Rentenlücke (Nettoeinkommen abzgl. Rentenansprüche brutto ohne mathematisch korrekte Berücksichtigung der Inflation) scheint problematisch. Die abstrakte Beschreibung (Istzustand erfassen, Ziel ermitteln und Weg dahin) ist richtig, aber für Verbraucher viel zu allgemein. Wenn der Banker auf seine eingeschränkte Beratungsgrundlage verweist, ist das nicht „fair“, sondern seine gesetzliche Verpflichtung als Anlageberater. Und wenn er dann Versicherungslösungen anbietet, hätte dazu auch eine Erstinformation als Versicherungsvermittler gehört.

Neben der flapsigen Diktion enthält der Beitrag grobe Schnitzer, wenig Information und keine klare Handlungsempfehlung. Was im Übrigen ebenfalls auf der Stecke bleibt: Wie erkenne ich einen Experten?

Gesamtbeurteilung

Der WISO-Beitrag genügt nicht annähernd dem selbst gesteckten Anspruch. Es ist – insbesondere wenn man für sich Kompetenz mit dem Themenschwerpunkt Verbraucherschutz in Anspruch nimmt – anmaßend, andere (Finanzberater) zu testen, wenn man selbst keine bis wenig Ahnung hat. Zumindest hätte die Schlussfassung des Beitrags einer Qualitätssicherung – auch und besonders durch den Experten – bedurft.

Reaktion der Branche

Die Reaktion der Branche in Form eines – zugegebenermaßen amüsanten – YouTube-Videos ist in der Sache richtig, aber im Übrigen wenig hilfreich. Verspotten hilft nicht. Besser ist, das Gespräch und gemeinsame Grundlagen zu suchen. Das ist schwierig. Wer sich erinnert: Beim runden Tisch in Berlin im Jahr 2009 waren wir fast so weit. Aber Arroganz- und Überheblichkeitsgene der am runden Tisch beteiligten Versicherungsberater und Verbraucherschützer führten zum Scheitern der weiteren Gespräche, nur weil sie versehentlich im Schlussprotokoll nicht expressis verbis angesprochen wurden. Bis heute haben Berater und Vermittler – bis auf die abstrakten Vorgaben des Gesetzgebers – keinen Schimmer, wie Beratung „richtig“ geht. Es ist Zeit für neue Gespräche.

Über Hans-Ludger Sandkühler

Hans-Ludger Sandkühler ist Vertriebs- und Versicherungsjurist und verfügt über praktische Erfahrungen aus seinen langjährigen Tätigkeiten als Versicherungsmakler und Rechtsanwalt. Er ist ausgewiesener Experte in Maklerfragen, gefragter Referent und Autor zahlreicher Veröffentlichungen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 11/2023 und in unserem ePaper.

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