Ein Beitrag von Gerald Mützel, Nachfolgeberater bei MÜTZEL BSV, ehemaliger Inhaber und Vorstand der MÜTZEL Versicherungsmakler AG
Es gibt unzählige Gründe, ein Maklerunternehmen nicht sofort zu verkaufen: Der Markt ist gerade ungünstig. Es fehlt der perfekte Käufer. Die Bewertung ist nicht zufriedenstellend. Die Zinsen sind zu hoch, der Moment zu früh, die Übergabe noch nicht perfekt vorbereitet.
Alles nachvollziehbar – und alles vorgeschoben. Denn die wahre Hürde liegt selten im Außen. Sie liegt im Inneren.
Die Frage, die keiner laut stellt: Wer bin ich dann?
Ein Unternehmen zu verkaufen, ist weit mehr als ein wirtschaftlicher Vorgang. Es ist ein Abschied. Von Verantwortung, Einfluss, Gewohnheiten, aber vor allem: von der eigenen Identität.
Wenn Sie über 20 oder 30 Jahre Chef waren, wenn Ihre Visitenkarte immer unter Ihrem Namen den Firmennamen trug, wenn Ihr Kalender durch Mandanten, Mitarbeiter, Strategiepläne und Vertragsverhandlungen geprägt war – was steht dann auf Ihrer inneren Visitenkarte, wenn all das weg ist?
Genau diese Frage hält viele davon ab, den letzten Schritt zu gehen. Nicht der Preis entscheidet – sondern das Selbstbild.
Typische Sätze, die ein Zögern kaschieren:
- „Ich will mein Lebenswerk nicht verschleudern.“
- „Ich warte noch, bis ich das perfekte Angebot bekomme.“
- „Die Mitarbeiter brauchen mich noch.“
- „Der Käufer muss noch reifen.“
- „Jetzt ist noch nicht der richtige Zeitpunkt.“
Alle diese Aussagen haben ihre Berechtigung – aber sie sind oft auch Rationalisierungen einer emotionalen Unklarheit. Was sie oft wirklich bedeuten: „Ich bin noch nicht bereit, mich selbst loszulassen.“
Was wirklich hilft: Innere Klarheit vor äußerem Abschluss
Ein erfolgreicher Verkauf beginnt nicht mit der Bewertung, sondern mit dem inneren Dialog:
- Bin ich bereit, nicht mehr „gebraucht“ zu werden – jedenfalls beruflich?
- Habe ich ein Bild vom Leben danach – und gefällt mir dieses Bild?
- Kann ich mir vorstellen, morgens aufzuwachen und nur meinem eigenen Kompass zu folgen?
- Habe ich mich von meiner Rolle als Unternehmer emotional verabschiedet – oder klammere ich noch?
Diese Fragen sind unbequem, aber sie sind notwendig. Denn wer sie ignoriert, wird immer wieder Gründe finden, den Verkauf zu vertagen.
Verkauf als Identitätswandel – nicht als Verlust
Der eigentliche Schritt ist nicht der Verkauf des Unternehmens. Es ist der Übergang in eine neue Lebensphase, in der man nicht mehr über Verantwortung definiert wird, sondern über Freiheit.
Das ist schwer, weil viele Unternehmer über Jahrzehnte ihre gesamte Persönlichkeit an das Unternehmen gebunden haben. Und nun bricht das Fundament plötzlich weg. Aber: Vielleicht ist genau das die Chance, auf einem neuen Fundament weiterzubauen – einem, das nichts mehr beweisen muss.
Fazit: Wenn der innere Vertrag stimmt, ist der äußere nur noch Formsache
Der richtige Zeitpunkt für einen Verkauf ist nicht der perfekte Markt. Es ist der Moment, in dem Sie sich selbst erlauben zu gehen – nicht aus Schwäche, sondern aus Reife.
Denn am Ende verkauft man nicht nur ein Unternehmen. Man übergibt eine Rolle und kehrt zu sich selbst zurück.
25 Jahre Makler, ein Verkauf, viele Erkenntnisse. Und die wichtigste: Man verkauft sein Lebenswerk nur dann gut, wenn man nicht sich selbst mitverkauft.
Fortsetzung folgt
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe aus insgesamt fünf Artikeln zum Thema Unternehmensnachfolge und -verkauf. Im fünften und letzten Artikel der Reihe geht es um die Frage „Neustart oder Rückzug“ und welche Wege nach dem Verkauf offenstehen.
Bisherige Texte:
Vom Unternehmer zum Übergeber: Der emotionale Wert des Verkaufs
Verkaufen oder doch noch warten – die schwierigste Entscheidung
Die plötzliche Leere nach dem Verkauf

- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können