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16. August 2025
Notizen zur Studie „Wert unabhängiger Versicherungsberatung“
Notizen zur Studie „Wert unabhängiger Versicherungsberatung“

Notizen zur Studie „Wert unabhängiger Versicherungsberatung“

Eine Studie der FH Dortmund zeigt, dass Kunden selbst bei günstigeren Nettotarifen mehrheitlich den teureren Bruttotarif wählen würden. Beim Blick in die Studie bleiben daran allerdings leise Zweifel, mein AssCompact Kolumnist Hans-Ludger Sandkühler.

Ein Artikel von Hans-Ludger Sandkühler

Unlängst nahm eine Studie der Fachhochschule Dortmund mit dem Titel „Wert unabhängiger Versicherungsberatung“ die Aufmerksamkeit der Medien in Anspruch. Das Fazit der Studie im besten Genderdeutsch: „Kund:innen verschmähen Honorarberatung in der Rentenversicherung“. Über den vermurksten Titel ist hier schon geschrieben worden (siehe AssCompact 06/2025, Seite 70). Denn in Wahrheit geht es in der Studie nicht um den Wert einer unabhängigen Versicherungsberatung, wie sie nur von gem. § 34d Abs. 2 GewO zugelassenen Versicherungsberatern erbracht werden darf, sondern ausschließlich um den Vergleich zweier Vertriebsmodelle: Vermittlung von Fonds­policen „brutto“ mit eingepreisten und vom Versicherer zu zahlenden Vermittlungsprovisionen einerseits und Vermittlung von Fondspolicen „netto“ mit offengelegten und vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Vermittlungsprovisionen andererseits.

Hintergrund und Ziel der Studie

Das Vergütungssystem der Versicherungsmakler, in dem Versicherer dem Makler für vermittelte Versicherungsverträge eine Provision oder – vornehmer – Courtage zahlen, ist spätestens seit den vom New Yorker Staatsanwalt Spitzer aufgedeckten Geschäftspraktiken eines internationalen Großmaklers nicht nur bei Verbraucherschützern, sondern zunehmend auch in der Politik zu einem Streitthema geworden. Versicherungsmaklern wird vorgeworfen, die zu vermittelnden Versicherungen nicht nach dem Interesse des Kunden, sondern nach der Höhe der Courtage auszusuchen. Dies kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, ist aber in dieser pauschalen Behauptung nicht verallgemeinerbar. Natürlich können unterschiedliche Courtagehöhen Anreize setzen und Interessenkonflikte auslösen. Zur Auflösung der Konflikte gibt es aber hinreichende gesetzliche Regeln und darüber hinaus berufsständische Selbstverpflichtungen.

Als Alternative zum herkömmlichen Courtagemodell haben sich am Markt alternative Vergütungssysteme unter den ebenso unglücklichen wie missverständlichen Begriffen Honorarberatung respektive Honorarvermittlung entwickelt. Im Grunde handelt es sich dabei wie bei der Courtage um eine erfolgsabhängige (nämlich Abschluss eines Versicherungsvertrages) Vergütung, nur dass die Courtage nicht vom Versicherer, sondern vom Kunden zu zahlen ist.

In der Studie sind die Autoren nun der Frage nachgegangen, ob es „eine grundsätzliche Akzeptanz von externalisierten Vergütungen für Beratung und Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten“ gibt. Vulgo: Sind Kunden bereit, für die Vermittlung von Nettopolicen ein separates Entgelt zu bezahlen?

Methodik der Studie

Eine Stichprobe von 2.034 repräsentativ ausgewählten Personen, die – so die Voraussetzung für die Teilnahme – grundsätzlich bereit waren, eine Rentenversicherung abzuschließen, wurde bei der Befragung in sechs Experimentalgruppen und eine Kontrollgruppe aufgeteilt. Drei Experimentalgruppen (1 bis 3) erhielten jeweils ein Angebot brutto (100 Euro monatlich, 20 Jahre Laufzeit, 6% Wertsteigerung pro Jahr, Effektivkostenabzug 2,5%, Effektivverzinsung ergo 3,5%, Ablaufleistung gerundet 35.000 Euro) und netto (95 Euro monatlich – damit über 20 Jahre eine Beitragsersparnis von 1.200 Euro, 20 Jahre Laufzeit, 6% Wertsteigerung pro Jahr, Effektivkostenabzug 2%, Effektivverzinsung ergo 4%, Ablaufleistung gerundet 35.000 Euro sowie zusätzlich ein Honorar in Höhe von 500 Euro (Gruppe 1), 900 Euro (Gruppe 2) und 1.300 Euro (Gruppe 3).

Drei weitere Experimentalgruppen (4 bis 6) erhielten ebenfalls jeweils ein Angebot brutto und netto, nur mit dem Unterschied, dass die Honorare in Höhe von 500, 900 und 1.300 Euro aufwandsabhängig und inkl. 19% USt. ausgestaltet waren (vier, sechs,acht Stunden zu je 105, 126, 137 Euro plus USt. gleich 500, 900 und 1.300 Euro).

Da der Barwert der Beitragsersparnis in Höhe von 1.200 Euro bei der Nettopolice abgezinst lediglich ca. 866 Euro beträgt, ist der Gesamtaufwand der Nettopolice plus Honorar bei der 500-Euro-Variante etwas günstiger, bei der 900-Euro-Variante etwa gleichauf und bei der 1.300-Euro-Variante etwas höher als bei der Bruttopolice. Die Kontrollgruppe (7) erhielt lediglich Bruttoangebote.

Wichtige Ergebnisse

Im Vergleich zu der Kontrollgruppe löste bei allen Experimentalgruppen allein der Umstand, dass Brutto- und Nettotarife alternativ angeboten wurden, eine signifikant höhere Abschlussbereitschaft sowohl bei den Nettopolicen als auch bei den Bruttopolicen aus. Allerdings entschieden sich die Probanden insgesamt mehrheitlich (64,7%) für den Bruttotarif. Selbst bei dem günstigsten Nettotarif (500 Euro Honorar) entschieden sich noch 54,4% der Teilnehmer für den (teureren) Bruttotarif. Die Autoren der Studie folgern daraus, dass „größere Anteile der Probanden sich nicht so entscheiden, wie es rational zu erwarten wäre“. Die Aufschlüsselung des Honorars mit dem offengelegten Stundenaufwand (Gruppen 4 bis 6) führte zu „keiner erkennbar höheren Akzeptanz“ der Nettotarife.

Kritische Anmerkungen

Hier ist kein Raum für eine breitere Darstellung der weiter ins Detail gehenden Studie und eine ausführliche Analyse. Dennoch seien einige kritische Anmerkungen erlaubt.

Da ist zum einen der 100-Euro-Ansatz. Er erinnert ein wenig an strukturierte Vertriebsmethoden im Sinne von „bei uns nimmt jeder 100 Euro“. Die gesetzlich zwingend notwendige und vorgeschaltete Bedarfsermittlung fällt bedauerlicherweise unter den Tisch. Natürlich ist eine differenzierte Einbeziehung des Prozesses der Bedarfsermittlung im Rahmen einer Studie sicher schwierig. Dennoch wäre es interessant zu wissen, wie die Entscheidungen der Probanden ausgefallen wären, wenn eine ordnungsgemäße Befragung und Beratung vorausgegangen wäre.

Überhaupt wird ein Vermittler von Nettotarifen seine Kunden über die Vorteile seines Honorartarifs ordentlich aufklären. Dass Kunden sich bei der privaten Rentenversicherung nicht rational entscheiden, ist eigentlich eine Binse. Der längst verstorbene frühere Verkaufsguru Axel J. Bertling verwies in seiner ihm eigenen Art gerne auf die glänzenden Voraussetzungen für einen erfolgreichen Vertrieb: „Der Kunde kann nicht rechnen und kann nicht lesen.“ Das beschreibt zugespitzt die auch heute noch vorzufindende Ausgangssituation: Kunden verstehen in der Breite keine finanzmathematischen Zusammenhänge (Stichwort Barwertbetrachtung) und befassen sich auch nicht mit den Inhalten und Wirkweisen von Versicherungen und Finanzdingen. Es ist Aufgabe des Vermittlers, die Komplexität der angebotenen Versicherungen so auf die Laiensphäre des Kunden herunterzubrechen, dass dieser die wesentlichen Inhalte verstehen kann.

In der Studie wird leider nicht darauf eingegangen, warum ein deutlich über dem von der BaFin festgestellten gewichteten Mittel in Höhe von 2,17% liegender Effektivkostenabzug in Höhe von 2,5% angesetzt wurde. Bei der Nettopolice liegt der Effektivkostenabzug immer noch bei 2%, was die Frage aufwirft, was mit dem nach dem Merkblatt 01/2023 der BaFin notwendigen Ausgleich der Rückvergütungen der Fondsgesellschaften ist. Die BaFin hat in dem Merkblatt verschiedene Möglichkeiten des Ausgleichs aufgezeigt. Gerade bei Nettopolicen wird ein professioneller Vermittler darauf achten, dass die Rückvergütungen dem Kunden zukommen und den Effektivkostenabzug dadurch deutlich reduzieren. Darauf im Rahmen einer Studie differenziert einzugehen, ist naturgemäß komplex und deshalb schwierig, zumal der Ausgleich der Rückvergütung je nach Gesellschaft auch bei Bruttopolicen erfolgt.

Fazit

Die Studie hat eine wichtige Frage angestoßen, aber noch nicht abschließend beantwortet. Ob ein ordnungsgemäß aufgeklärter Kunde sich gegen einen Nettotarif entscheidet, obwohl dieser deutlich günstiger ist als ein Bruttotarif, muss bezweifelt werden.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 08/2025 und in unserem ePaper.

 
Ein Artikel von
Hans-Ludger Sandkühler