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17. Dezember 2021
Nur ein Zahlenvergleich? Bewertung von Direktversicherungstarifen

Nur ein Zahlenvergleich? Bewertung von Direktversicherungstarifen

2022 sinkt der Garantiezins für Lebensversicherungen. Dies führt voraussichtlich aber nicht zum üblichen Jahresendgeschäft zur Sicherung des bisherigen Garantiezinses. Denn im Markt haben sich längst neue bAV-Direktversicherungstarife durchgesetzt, bei denen der Garantiezins eine untergeordnete Rolle spielt.

Ein Artikel von Markus Keller, Geschäftsführer der febs Consulting GmbH

Mit einem Garantiezins von 0,25% lassen sich Beitragsgarantien aufgrund der Kosten innerhalb eines Tarifs praktisch nicht mehr darstellen. Daher werden bei Direktversicherungen nur mehr beitragsorientierte Leistungszusagen nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) eingesetzt, die nach der wohl vorherrschenden Meinung auch Leistungen unterhalb der eingezahlten Beiträge ermög­lichen. Das führt dazu, dass zum Beispiel 90% oder gar nur mehr 55% der eingezahlten Beiträge als Garantiekapital bei Rentenbeginn zugesagt werden.

In Verbindung mit dem sinkenden Garantieniveau werden meist fonds- bzw. indexgebundene Tarife eingesetzt. Aufgrund der Besonderheiten indexgebundener Tarife beziehen sich nachfolgende Ausführungen nur auf fondsgebundene Tarife. Dabei nutzt man in der Regel Hybridmodelle mit zwei oder auch mehr „Töpfen“, in denen die Beiträge angelegt werden. Dabei dient Topf eins der sicheren Anlage, um die Garantieleistungen erbringen zu können. Topf zwei wiederum soll durch eine kapitalmarktnahe Anlage wie einen Fonds, ein Sondervermögen etc. für eine auskömmliche Rendite sorgen.

Vorbei die guten alten Zeiten des reinen Zahlenvergleichs

Ein Vergleich klassischer Tarife ist zumindest hinsichtlich der Altersleistungen einfach: Auf Basis des Garantiezinses, der Überschüsse und der Kosten sowie weitere Berechnungsparameter ergeben sich Garantie- und Gesamtleistungen, die man unter sonst gleichen Bedingungen vergleichen kann bzw. konnte. Beim Angebotsvergleich von fondsgebundenen Hybridmodellen hingegen spielen viele weitere, auch qualitative Punkte eine wichtige Rolle.

Garantieniveau und -leistungen

Auch bei neuen Tarifen sind zunächst das Garantieniveau bzw. die sich daraus ergebenden Garantieleistungen (Kapital und Rente) von Interesse. Da jedoch die Garantieleistungen lediglich den „Worst Case“-Fall darstellen, sollte vielmehr darauf geachtet werden, wie bei späterem Rentenbeginn das Gesamtkapital in eine Rente umgerechnet wird. Dies hängt vom verwendeten Rentenfaktor ab (= monatliche Rente aus 10.000 Euro Kapital). Manche Anbieter garantieren auskömmliche Faktoren, andere hingegen gar keine bzw. absurd niedrige. In diesen Fällen besteht das Risiko, dass sich trotz eines hohen Gesamtkapitals bei Rentenbeginn eine niedrigere Rente ergibt als bei Mitbewerbern. Abseits der Zahlen gilt: Ein niedrigeres Garantieniveau muss nicht zwingend nachteilig sein, da dann größere Beitragsteile in die kapitalmarktnahe Anlage fließen sollten. Je länger die Vertragslaufzeit, desto vorteilhafter sollte sich ein niedrigeres Garantieniveau auswirken. Für kurze Vertragslaufzeiten (bis ca. zehn Jahre) muss in der Regel ohnehin ein klassischer Tarif genutzt werden.

Sichere Anlage

Um die Garantien erfüllen zu können, fließt ein Teil der Beiträge ins klassische Sicherungsvermögen des Versicherers und nicht in die kapitalmarktnahe Anlage. Dieser „Motor“ kann anhand der üblichen Kriterien bewertet werden: Versichererkennzahlen zur Einschätzung der Finanzkraft, deklarierte Überschüsse der letzten Jahre inkl. Bewertungsreserven und Schlussüberschüsse.

Fonds-/Kapitalmarktnahe Anlage

Beim Vergleich der Fonds – sowohl aktiv gemanagte als auch passive ETFs – bzw. kapitalmarktnahen Anlage wie zum Beispiel Sondervermögen innerhalb eines Fondstarifs eröffnet sich ein eigenes Vergleichsuniversum. So setzt eine Beurteilung von Fonds tiefer gehende Anlagekenntnisse voraus: Um welche Anlageklasse handelt es sich? Gibt es einen längerfristigen „Track Record“ zu Renditen und Volatilität bei konstantem Fondsmanagement? Handelt es sich um ein klar definiertes Anlagekonzept? Wie sehen die Fondskennzahlen aus wie etwa Sharpe Ratio, Information Ratio, griechische Buchstaben? Sind vergleichbare Fonds besser? Hier gilt es, in die einschlägigen Fondsdokumente einzutauchen. Zwar kann auch daraus nicht die zukünftige Wertentwicklung abgeleitet werden. Aber es geht auch mehr darum, sagen zu können, welche Wertentwicklung man – positiv wie negativ – mit ziemlicher Sicherheit nicht erwarten kann.

Kosten

Zwar mag die Wertentwicklung unbekannt sein, die Kosten sind es nicht! Je höher die Kosten – wie etwa Abschlusskosten in % der Beitragssumme, Verwaltungskosten in % der Beiträge bzw. des Deckungskapitals etc. –, desto höher muss die Wertentwicklung ausfallen, um diese Kosten zu rechtfertigen. Auch der Vergleich von Fondskosten fördert große Unterschiede zutage: So haben auch in fondsgebundenen Tarifen vielfach schon ETFs Einzug gehalten, die durch niedrige Kosten und transparente (Index-)Anlage punkten.

Gesamtleistungen

Schlussendlich ergeben sich aus angenommener Wertentwicklung und den Kosten auch bei fondsgebundenen Tarifen Gesamtleistungen, die unter sonst gleichen Bedingungen verglichen werden können. Dabei berücksichtigen Versicherer in der Regel mehrere Wertentwicklungsszenarien, zum Beispiel 1%, 3% oder 6% pro Jahr. Die banale Frage, die aber oft schwer zu beantworten ist: Macht die Angabe der Gesamtleistungen unter Berücksichtigung einer bestimmten Wertentwicklung Sinn? 6% per annum in Verbindung mit Geldmarkt- oder Rentenfonds beispielsweise darf man wohl getrost als unrealistisch bezeichnen und bei Vergleichen aussortieren. Und worauf bezieht sich die angegebene Verzinsung: auf beide Töpfe oder nur den kapitalmarktnahen? Rendite vor oder nach Kosten? Exakt vergleich­bare Angebote sind meist gar nicht zu bekommen.

Tarifgestaltung

Ebenfalls rein qualitativer Art ist die Beurteilung der Tarifgestaltung. So finden etwa bei dynamischen Hybridmodellen zwischen den „Töpfen“ Umschichtungen statt, die von einem Algorithmus gesteuert werden. Dies kann im schlimmsten Fall zu „Lock-in-Effekten“ führen: Bei Marktverwerfungen wird das Vertragsguthaben in den sicheren Topf umgeschichtet, in dem man dann hängen bleibt. Statische Modelle, bei denen es nicht oder nur in fest definierten Fällen zu Umschichtungen kommt, sind dagegen transparenter.

Zusätzliche Dienstleistungen

Gerade aus Arbeitgeber-, aber auch aus Vermittler- bzw. Beratersicht werden zusätzliche Dienstleistungen von Interesse sein. Gibt es beispielsweise standardisierte Schnittstellen zu Online-Plattformen? Können die üblichen Unterlagen auch ausschließlich digitalisiert übermittelt werden? Sind Online-Tools für Musterberechnungen verfügbar? Kann eine Microsite ins Intranet eingebunden werden? Obgleich diese Punkte mit den späteren Leistungen nichts zu tun haben, können sie das berühmte „Zünglein an der Waage“ sein.

Ein Quäntchen Glück kann nie schaden!

Selbst bei mit größter Sorgfalt ausgeführten Tarifvergleichen bleiben leider Unschärfen: Es mangelt in der Praxis an Aussagen der Ver­sicherer zur Wahrscheinlichkeitsverteilung der diversen Wertentwicklungsszenarien. Was bringen Leistungsangaben auf Basis einer Wertentwicklung von 6% p. a., wenn diese nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit nicht erwartet werden kann? Hier wäre es sehr hilfreich, es gäbe beispielsweise auf Basis von Simulationsberechnungen Verteilungskurven zur erwarteten Rendite. Denn viele Arbeitnehmer sind von der tatsächlichen Wertentwicklung fondsgebundener Direktversicherungen enttäuscht. Entweder zu Recht oder auch deshalb, weil allein aufgrund des Worts „fondsgebunden“ unrealistische Renditen erwartet wurden.

2022: Das Jahr der Angebotsvergleiche

Da die Versicherer die BZML sukzessive abschaffen und zudem reihenweise neue Tarife lancieren, steht für viele Arbeitgeber die Auswahl neuer Tarife an, zum Beispiel auch – vergleichsweise neu – bei rückgedeckten Unterstützungskassen. Es gibt also auch im nächsten Jahr noch viel zu tun in der bAV!

Diesen Artikel lesen sie auch in AssCompact 12/2021, S. 38 f., und in unserem ePaper.

Bild oben: © fidaolga – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Markus Keller