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28. Februar 2023
Offene Immobilien-Publikumsfonds: ESG nicht mehr wegzudenken

Offene Immobilien-Publikumsfonds: ESG nicht mehr wegzudenken

Die ESG-Regulierung hat die Branche der offenen Immobilien-Publikumsfonds verändert: Die allermeisten Vehikel wurden mittlerweile zu Artikel-8-Plus-Fonds. Der Vertrieb der Produkte wurde anspruchsvoller, da auch hier jetzt ESG-­Aspekte zu berücksichtigen sind. Offen ist noch: Wann gibt es die ersten Impact-Fonds für Privatanleger?

Ein Beitrag von Michael Schneider, Geschäftsführer bei INTREAL, und Hannah Dellemann, Teamleiterin ESG bei INTREAL

Seit rund drei Jahren hält der Megatrend ESG Einzug in die Immobilien- und Finanzbranche. Die Auswirkungen sind in allen Marktsegmenten zu spüren – von Aktienfonds über High-Yield-Bonds bis hin zu Hypothekenfinanzierungen. Auch das Segment der offenen Immobilienpublikumsfonds kann sich dem nicht entziehen. In das rund 130 Mrd. Euro schwere Segment hat ESG spürbar Einzug gehalten und neue Kategorien geschaffen. Wie ist der Status quo zu Beginn des Jahres 2023?

Rückblick

Bereits im Laufe des Jahres 2021 bemühte sich die große Mehrheit der Fonds, als Artikel-8-Fonds gemäß Offenlegungsverordnung eingestuft zu werden. Artikel-8-Fonds berücksichtigen auch Nachhaltigkeitsmerkmale, diese sind aber nicht primäres Ziel des Fonds. Artikel-9-Fonds dagegen – auch Impact-Fonds genannt – verfolgen mindestens ein definiertes Nachhaltigkeitsziel und leisten einen aktiven Beitrag zu dessen Erreichung. Ende 2021 waren bereits zwei Drittel aller angebotenen Fonds als Artikel-8-Fonds klassifiziert. Neun Monate später galten der Ratinagentur Scope zufolge fast alle Publikumsfonds offiziell als Artikel-8-Fonds. Ausnahmen bildeten lediglich drei Fonds, die allerdings auf Basis der aktuell verlässlicheren regulatorischen Anforderungen auch eine Umstellung zum Artikel-8-Plus-Fonds prüfen bzw. vorbereiten.

Und Artikel-9-Fonds?

Derzeit gibt es – anders als im Bereich der offenen Immobilien-Spezialfonds, wo es bereits acht First-Mover gibt – noch keine offenen Immobilien-Publikumsfonds dieser Kategorie. Dies dürfte sich auch kurzfristig nicht ändern. Impact Fonds sind aufgrund der vielen noch offenen Fragen und der Haftungsrisiken bei Publikumsfonds derzeit kaum realisierbar. Insofern ist 2023 nicht mit einem Impact-Produkt für Privatanleger zu rechnen.

In der Praxis messen Fonds CO2-Emissionen, Energie- und Wasserverbräuche

Derzeit ist für den Markt vor allem die Einstufung nach Artikel 8 relevant. Einige aktuelle Beispiele sollen die Anstrengungen der Fonds verdeutlichen: Ein häufig verwendetes Merkmal ist die Reduzierung der CO2-Emissionen. Die Fonds geben dann im Verkaufsprospekt an, die Emissionen in Kilogramm pro Quadratmeter und Jahr messen zu wollen. So soll die Zielerreichung nachvollziehbar und transparent gemacht werden. Ein anderes verbreitetes Merkmal ist die Reduzierung der Energieintensität – sofern diese durch den Vermieter beeinflusst werden kann. Die Energieintensität wird in Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr gemessen.

MiFID-Novelle 2022 integriert ESG in den Vertrieb

Während sich die beschriebene Regulierung auf die Fonds selbst bezog, kam im August 2022 mit der MiFID-Novelle die Regulierung des Vertriebs an Privatanleger hinzu. Genauer gesagt wurden das Thema Nachhaltigkeit und die Nachhaltigkeitspräferenzen der Anleger in den Vertrieb integriert. Die neuen Vorgaben beinhalten im Wesentlichen, dass der Anleger zu seinen Nachhaltigkeitspräferenzen befragt wird und in der Folge nur noch Produkte angeboten bekommt, die hierzu passen – ähnlich wie das bislang bereits bei der Risikoneigung der Fall war. Das Problem bei der MiFID-­Novelle ist, dass die neuen Vorgaben nicht auf die bisherige ESG-Regulierung abgestimmt waren. Das heißt: Bestehende Artikel-8-Fonds müssen zu sogenannten Artikel-8-Plus-Fonds aufgewertet werden, wenn sie auch unter den neuen MiFID-Vorgaben als nachhaltig vertrieben werden sollen.

Vier Kategorien, um Anleger einzuteilen

Künftig muss der Vertrieb Anleger gemäß ihrer Nachhaltigkeits­präferenzen in eine der folgenden vier Kategorien einteilen: Erstens: Der Anleger wünscht keine Rücksichtnahme auf Nachhaltigkeitsaspekte. Zweitens: Die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren – die sogenannten PAIs (Principal Adverse Impact) – werden berücksichtigt. Drittens: Der Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in nachhaltige Investitionen im Sinne der Offenlegungsverordnung angelegt werden soll. Oder viertens: Der Kunde legt fest, dass ein Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen im Sinne der Taxonomieverordnung angelegt werden soll. Das Problem: Die vier Kategorien sind sehr erklärungs­bedürftig und vor allem für Privatanleger nicht leicht verständlich.

Fondsinitiatoren müssen den Vertrieb mit Informationen versorgen

Die Fondsanbieter müssen seit August 2022 dem Vertrieb Informationen an die Hand geben, wie ihre Produkte zu den unterschiedlichen Kategorien passen. In der Praxis gehen die meisten Fondshäuser aktuell dazu über, die Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren – die oben genannten PAIs – in ihre Fondsdokumentation aufzunehmen. Konkret bedeutet das, dass bestimmte Informationen in die Fondsdokumentation integriert werden müssen. Dort muss beschrieben werden, welche negativen Auswirkungen der Fonds auf Nachhaltigkeitsfaktoren hat.

Bei Immobilienfonds sind das zum Beispiel Immobilien, die nicht energieeffizient sind. Des Weiteren muss beschrieben werden, wie diese Auswirkungen berücksichtigt werden bzw. was der Asset-Manager dagegen machen möchte – also beispielsweise, ob er nur in effiziente Gebäude investieren oder aber an bestehenden Gebäuden Sanierungsmaßnahmen durchführen wird. Diese Informationen müssen zudem im sogenannten Artikel-10-Dokument auf die Website des Anbieters gestellt werden. In der Folge muss dann in den Jahresberichten des Fonds regelmäßig über diese nachteiligen Auswirkungen und den Umgang damit berichtet werden.

Fazit

ESG ist im Universum der offenen Immobilien-Publikumsfonds definitiv angekommen. Aktuell hat sich der Artikel-8-Plus-Fonds als Standard etabliert, den fast alle Produkte am Markt erfüllen – auch wenn die neuen MiFID-Vorgaben den Vertrieb nicht einfacher gemacht haben. Über den Vertrieb hinaus müssen die ESG-Strategien und -Maßnahmen seit dem 01.01.2023 auf der Website und sowohl im Verkaufsprospekt als auch in den Jahresberichten offengelegt und für jeden zugänglich gemacht werden. Dies muss in einem neuen, quantitativeren Standard erfolgen. Spannend bleibt die Frage, ob und wie die Fonds zukünftig ihre selbst gesetzten Vorgaben einhalten und wer sich wann mit dem ersten Artikel-9-Fonds im Publikumsbereich an den Markt wagt. Letzteres dürfte jedoch eher mittel- als kurzfristig der Fall sein.

Diesen Artikel lesen Sie auch in der März-Ausgabe der AssCompact und in unserem epaper.

Bild: © Naiyana – stock.adobe.com; Porträtfotos: © INTREAL

 
Ein Artikel von
Hannah Dellemann
Michael Schneider