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8. September 2021
Pflegebürgerversicherung: Keine Lösung für strukturelle Probleme

Pflegebürgerversicherung: Keine Lösung für strukturelle Probleme

Die Deutschen Pflegeversicherung Aktuarvereinigung e.V. (DAV) hat sich in einer aktuellen Stellungnahme zur Zukunft der deutschen geäu0tert. Die Pflegebürgerversicherung ist demnach keine Lösung für die strukturellen Probleme des deutschen Pflegesystems.

Die DAV hat sich im Rahmen des Bundestagswahlkampfs mit einer möglichen Pflegebürgerversicherung auseinandergesetzt und Kritik an einer solchen geäußert. „Die Einführung einer Pflegebürgerversicherung ist aus aktuarieller Sicht keine Lösung, um das deutsche Pflegesystem zukunftsfest zu machen, und würde einseitig die Privatversicherten belasten“, meint Wiltrud Pekarek, Vorstandsmitglied und Vorsitzende des Ausschusses Krankenversicherung der DAV.

Drohende Doppelbelastung in der Pflegeversicherung

Größtes Problem ist der DAV zufolge, dass anders als in der privaten Pflegeversicherung (PPV) in der ebenfalls 1995 eingeführten sozialen Pflegeversicherung (SPV) kaum Reserven gebildet worden seien, um die Auswirkungen des demografischen Wandels abzufedern. Die SPV stehe daher vor einer doppelten Belastung, wenn um das Jahr 2030 wird die Generation der Babyboomer in Rente gehen wird. „Der Jahrgang 1964 mit 1,4 Millionen Menschen ist heute 57 Jahre alt, hat durchschnittlich ein höheres Einkommen als jüngere Jahrgänge und trägt somit überproportional zur Finanzierung der Sozialsysteme bei. In einem Jahrzehnt geht diese Generation in den Ruhestand und wird nur noch aus den in der Regel geringeren Alterseinkünften in das Umlagesystem einzahlen“, skizziert Pekarek die Entwicklung.

Erhebliches Einnahmeproblem

Bei den Beitragszahlern kämen nur etwa halb so viele 20-Jährige nach. Prognoserechnungen zufolge stünden im Jahr 2040 einer Person im Rentenalter etwa zwei Personen im erwerbstätigen Alter gegenüber. Aktuell liege dieses Verhältnis noch bei etwa eins zu vier. „Die SPV steht damit zunächst vor einem erheblichen Einnahmeproblem“, erläutert Pekarek. 15 Jahre später dürften dann auch noch zusätzlich die Ausgaben enorm steigen, wenn voraussichtlich ein nicht unerheblicher Teil der Babyboomer-Generation pflegebedürftig wird.

Demografischer Wandel in PPV eingepreist

Die Überalterung der Gesellschaft trifft nach DAV-Analysen auch die PPV. „In den beihilfeberechtigten Tarifen für Beamtinnen und Beamte ist der Anteil der über 65-Jährigen bereits heute höher als in der sozialen Pflegeversicherung. In den Tarifen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird das in eineinhalb Jahrzehnten der Fall sein“, führt Pekarek aus. Diese demografischen Veränderungen habe die PPV mit ihrem Kapitaldeckungsverfahren aber von vornherein in die Beiträge einkalkuliert. Bis heute seien etwa 40 Mrd. Euro an Alterungsrückstellungen aufgebaut wurden. Jedes Jahr kommen weitere 3 Mrd. Euro hinzu. In der SPV fließt hingegen erst seit 2015 ein Beitragssatzpunkt in einen Pflegevorsorgefonds. Dort liegen bislang lediglich 8 Mrd. Euro und jedes Jahr kommen nur etwa 1,5 Mrd. Euro hinzu.

Ablenkungsversuch von Versäumnissen der SPV

Im Lichte dieser Zahlen sei der Vorschlag für eine Pflegebürgerversicherung der Versuch, kalkulatorische Fehler beziehungsweise Versäumnisse in der SPV der Vergangenheit und Gegenwart durch den Griff in die Geldbörsen der PPV-Versicherten zu korrigieren. Dem DAV zufolge würden somit diejenigen „bestraft“, die teilweise über Jahrzehnte mit höheren Prämien für ihr Pflegefallrisiko im hohen Alter vorgesorgt haben.

Keine Lösung für strukturelle Probleme

Zudem würde eine Pflegebürgerversicherung aus aktuarieller Sicht nicht die langfristigen, strukturellen Probleme der Pflegefinanzierung lösen. Statt die beiden Systeme auf Kosten der acht Millionen Privatversicherten zu fusionieren, spricht sich die DAV in Anbetracht der demografischen Veränderungen und im Sinne einer Generationengerechtigkeit dafür aus, die umlagefinanzierte soziale Pflegeversicherung stärker als bisher um eine kapitalgedeckte ergänzende Säule zu erweitern. So könnten zum Beispiel künftige Dynamisierungen der Pflegeleistungen in dem Maße über kapitalgedeckte Pflegezusatzversicherungen abgesichert werden, dass die SPV-Beiträge zumutbar bleiben und die Prämien der Pflegezusatzversicherung bezahlbar sind.

Verbesserte Rückstellungen durch Investitionen am Kapitalmarkt

„Dank der jahrzehntelangen Anlagehorizonte können mit den Versichertengeldern am Kapitalmarkt selbst in dieser Tiefzinssituation Renditen erwirtschaftet werden, um den Aufbau von Rückstellungen zur Finanzierung der Pflegekosten im Rentenalter mit zu finanzieren“, betont Pekarek und führt abschließend aus: „Die Reform aller Sozialsysteme im Interesse aller Menschen sollte ganz oben auf der Agenda der nächsten Bundesregierung stehen, denn der demografische Wandel kennt keine Pausentaste.“ (mh)

Bild: © studio v-zwoelf – stock.adobe.com