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7. Februar 2022
Quo vadis, Elementarschadenversicherung?

Quo vadis, Elementarschadenversicherung?

In Zeiten des Klimawandels wird den Menschen die Verwundbarkeit von Haus und Wohnung durch unwetterartige Witterungsereignisse vor Augen geführt. Das entfacht die Debatte um einen Pflichtversicherungsschutz gegen Elementargefahren. Wie positionieren sich dazu die Branchenverbände?

Ein Artikel von Dr. Alexander Ströhl, AssCompact

Spätestens die Unwetterereignisse des vergangenen Sommers haben gezeigt, dass durch die Klimaveränderungen das Wetter immer unberechen­barer wird. Die Auswirkungen der Unwetter haben nun offensichtlich auch das Risikobewusstsein für die Folgen des Klimawandels hierzulande noch einmal geschärft: Laut dem „Axa Future Risk Report“ von September 2021 schätzen mittlerweile zwei Drittel (66%) der deutschen Versicherer-Experten den Klimawandel als das bedeutendste Risiko der Zukunft ein. Aber auch über die Hälfte der Deutschen (56%) ohne Expertenwissen sehen den Klimawandel als Risiko Nummer eins, auch wenn sich rund ein Drittel der befragten Menschen im Alltag dem Risiko des Klimawandels bisher nicht ausgesetzt fühlt.

Schadensbilanz von Unwettertief Bernd

Angesichts der verheerenden Schäden in den von den Starkregen-Unwettern betroffenen Regionen schätzt der Bund die Schäden an Immobilien und Infrastruktur auf eine Summe von 29 Mrd. Euro. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) taxiert die versicherten Schäden durch Sturmtief „Bernd” bislang auf eine Summe von rund 8,2 Mrd. Euro. Davon entfallen rund 7,7 Mrd. Euro auf Wohngebäude, Hausrat und Betriebe sowie rund 450 Mio. Euro auf Kraftfahrzeuge. Aktuell gehen die Versicherer von rund 250.000 Schadenfällen aus – rund 200.000 an Häusern, Hausrat und Betrieben und bis zu 50.000 an Kraftfahrzeugen. Unwettertief Bernd nimmt damit die traurige Spitzenposition als schadenträchtigstes Unwetterereignis Deutschlands in der jüngeren Historie ein.

Weniger als die Hälfte der Immobilien mit Elementar­gefahrenschutz

Zugleich belegen aktuelle Zahlen des GDV, dass – Stand Ende April 2021 – nur etwa 46% der Wohngebäude in Deutschland gegen Elementar­schäden versichert sind. Damit verfügt nicht einmal die Hälfte aller Gebäude in Deutschland über eine zusätzliche Elementarabsicherung, sodass gegenwärtig erneut Forderungen nach einer Pflichtversicherung aufkommen. So begehrt diese zusätzliche Absicherung in den betroffenen Gebieten auch sein mag – nicht alle werden sie ohne Weiteres bekommen, heißt es beispielsweise beim Bund der Versicherten (BdV). Denn das Risiko ist den Versicherern in bestimmten Fällen zu hoch. Deshalb wird der Schutz häufig nur zu (sehr) hohen Prämien und/oder einer hohen Selbstbeteiligung im Schadenfall angeboten. Wenn das Gebäude bereits einmal von einem Elementarschaden betroffen war oder einer (sehr) hohen Gefährdungsklasse (ZÜRS Geo-Zone) zuzuordnen ist, ist eine Police nur sehr schwer zu bekommen. Der GDV hat außerdem anhand von drei Gefährdungsklassen das Risiko von Immobilien, durch Starkregen Beschädigungen zu erleiden, ermittelt. Die Gebäude von 2,6 Millionen Adressen in Deutschland liegen demnach in einer Talsenke oder in der Nähe eines Bachs und weisen damit hohe Gefährdung durch Starkregen auf. Weitere 22,1 Millionen Adressen liegen in der Ebene oder im unteren/mittleren Bereich eines Hangs und sind immerhin noch einer mittleren Gefährdung von Schäden durch Starkregenereignisse ausgesetzt.

Muss eine Elementar­schadenversicherung also neu gedacht werden?

Angesichts der gigantischen Schadenausmaße haben Bund und Länder nun Soforthilfen in dreistelliger Millionenhöhe beschlossen. Außerdem ist ein milliardenschwerer Aufbaufonds geplant. Aber ist es gerecht, wenn die Allgemeinheit für die entstandenen Unwetterschäden aufkommt? Könnte nicht bei den Gebäudeeigentümern der Eindruck entstehen, sie müssten sich selbst nicht um Versicherungsschutz kümmern, weil der Staat im Notfall einspringt? Schließlich würde eine sogenannte Elementarschadenversicherung, die gegen außergewöhnliche Naturereignisse versichert, den finanziellen Schaden ausgleichen. In diesem Zusammenhang haben bereits die Justizminister der Länder bei ihrer Herbstkonferenz 2021 den Weg für eine Arbeitsgruppe „Pflichtversicherung für Elementarschäden“ freigemacht, die unter Führung der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz eine solche Pflicht für Hausbesitzer prüfen soll. Erste Ergebnisse sollen im kommenden Frühjahr vorgestellt werden. Allerdings stellt eine Pflichtversicherung stets einen Eingriff in die individuelle Entscheidungsfreiheit dar. Wie sollte also angesichts wiederholter Unwetterereignisse eine Elementarschadenversicherung neu gedacht werden? Dazu fragte AssCompact bei einigen Branchenverbänden der Finanz- und Versicherungswirtschaft um ihre Einschätzung zu dieser kontroversen Debatte nach.

Lars Gatschke, Referent im Geschäftsbereich Verbraucherpolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband

„Die zunehmenden witterungsbedingten Schadenereignisse verdeutlichen die Notwendigkeit, Wohngebäude gegen diese Naturgefahren abzusichern. Mit den Überschwemmungsereignissen Mitte Juli 2021, vor allem in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, hat eine erneute Diskussion über eine Erhöhung der Versicherungsdichte begonnen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband schlägt hierzu ein gestuftes Verfahren vor. In einem ersten Schritt soll ein gesetzliches Leitbild einer Allgefahrenabsicherung (einschließlich sämtlicher Naturgefahren) für die Wohngebäudeversicherung geschaffen werden. Gleichzeitig sollen die Altverträge umgestellt werden. Die Einführung der Allgefahrendeckung soll von einer breit angelegten Informationskampagne begleitet werden. Zwei Jahre nach Einführung der Allgefahrenabdeckung sollte evaluiert werden, ob diese Maßnahme ihre Wirkung entfaltet hat. Sollte sich herausstellen, dass dies nicht der Fall ist, so würde dann die Einführung einer Versicherungspflicht gefordert werden.“

Dr. Hans-Georg Jenssen, Geschäftsführender Vorstand beim Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler e. V.

„Die Gefahrenlage variiert zwischen einzelnen Immobilienstandorten. Während ein Standort einem erhöhten Starkregenrisiko ausgesetzt ist, ist es ein anderer bei schweren Sturmlagen. Als Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler plädieren wir daher für eine Zusammenfassung aller Naturgefahren zu einer umfassenden Naturgefahrendeckung bei Wohngebäudeversicherungen. Versicherte sollten auf Basis einer Opt-out-Regel letztlich selbst über ihren Versicherungsschutz entscheiden können. Ein solch umfassender Naturgefahrenbaustein solidarisiert die Versicherten untereinander und garantiert gleichzeitig die Bezahlbarkeit des Versicherungsschutzes insgesamt. Schließlich soll ja erreicht werden, dass jedes Gebäude von den Versicherern standortunabhängig einen Naturgefahrenschutz angeboten bekommt. Ziel sollte sein, den Erhalt der Umwelt bei gleichzeitiger Versicherbarkeit der Risiken zu gewährleisten.“

Michael H. Heinz, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute e. V.

„Wie wichtig eine Elementarschaden- bzw. Naturgefahrenversicherung ist, zeigte 2021 die Flutkatastrophe im Ahrtal in Hagen und Wuppertal. Hier standen die Geschädigten vor ihrem finanziellen Ruin mit existenziellen F­olgen. Weitere Naturgefahren gingen diesem Ereignis voraus: 2002 Elbehochwasser, 2013 Überflutungen an der Donau und am Inn. Daher werben die Vermittler aufgrund ihrer sozialpolitischen Verantwortung seit Jahr und Tag für den Abschluss einer solchen Versicherung. Dass jetzt die Kunden aus Schaden klug wurden, zeigt eine Statistik des GDV, wonach im dritten Quartal acht Mal so viele Naturgefahrenversicherungen abgeschlossen wurden als sonst in den Vorjahren üblich, nämlich 400.000 zu sonst 50.000 bis 100.000. Dennoch ist der Abdeckungsgrad von den jetzt erreichten 50 Prozent der Immobilieneigentümer noch zu niedrig. Doch die Einführung einer Pflichtversicherung lehnt der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e. V. ab. Denn es gibt begründete verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen Zwang, da dieser einen schwerwiegenden Eingriff in die grundgesetzlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit, speziell die Vertragsfreiheit, darstellt. Wir befürworten eher den Vorschlag der Versicherungswirtschaft, alle bestehenden privaten Wohngebäudeversicherungs­verträge zu einem Stichtag um einen Naturgefahrenschutz zu erweitern und eine Opt-out bzw. Widerspruchsmöglichkeit einzuräumen unter der Voraussetzung, dass Vermittler weiterhin zentrale Ansprechpartner und Berater der Kunden bleiben.“

Axel Kleinlein, Vorstand beim Bund der Versicherten e. V.

„Wenn Flüsse über die Ufer treten oder Starkregen Keller überschwemmt, stellen viele die Frage: Wie hätte das alles versichert werden können? Reflexartig verweisen manche auf staatlich organisierte Pflicht­versicherungen, andere reden einer Versicherungspflicht das Wort. Wir vom Bund der Versicherten e. V. sehen aber alle drei Akteure gleichermaßen in der Pflicht: Politik, Versicherungswirtschaft und Gebäudeeigentümer sind gehalten, ihren Beitrag zu leisten. Wir machen uns für ein kollektives Pflichtsystem stark, das die Länder zusammen mit der Versicherungswirtschaft bereitstellen und durch einen Zuschlag auf die Grundsteuer finanzieren. Wer eine private Elementarschadenversicherung hat, wird von dem Pflichtsystem und dem Zuschlag befreit. So entsteht für alle ein Handlungsdruck: Versicherte versuchen, eine möglichst gute und günstige private Absicherung zu bekommen, um vom Zuschlag befreit zu sein. Länder und Kommunen bieten möglichst gut versicherbares Bauland an und organisieren gleichzeitig eine kollektive Absicherung mit den Versicherern. Diese schließlich haben einen Anreiz, gute Absicherung für private Kunden anzubieten und vernünftigen kollektiven Schutz über die Länder umzusetzen.“

Anja Käfer-Rohrbach, Stellvertretende Hauptgeschäftsführerin beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.

„Noch nie hat ein einzelnes Naturgefahrenereignis in Deutschland so große Schäden angerichtet wie die Überflutungen im Juli. Dennoch sind bislang nur 46% der Hausbesitzer gegen Elementarschäden versichert. Wir wollen dafür sorgen, dass jedes Haus Versicherungsschutz bekommt, setzen mit unserem Vorschlag für ein Gesamtkonzept aber nicht auf die Einführung einer Pflichtversicherung. Stattdessen soll der Gesetzgeber den Versicherern die Möglichkeit geben, alle bestehenden privaten Wohngebäudeversicherungsverträge zu einem Stichtag umzustellen. Damit erhielten diese dann auch den Versicherungsschutz gegen Naturgefahren. Neue Verträge würden nur noch mit Elementarschadenschutz verkauft. In beiden Fällen gilt: Wer dies nicht will, muss diesen Schutz aktiv abwählen. Aber auch Bund, Länder und Kommunen müssen nachhaltig umsteuern. So braucht es klare Bauverbote in hochwassergefährdeten Gebieten. Wir sind optimistisch, dass sich unsere Vorschläge zügig umsetzen ließen.“

Manfred Jost, Präsident des Verband Wohneigentum e. V.

„Die Flutkatastrophe im Westen hat in wenigen Momenten ganze Existenzen vernichtet. Experten wie der Weltklimarat IPPC prognostizieren, dass derartige witterungsbedingte Naturgefahren zunehmen. Diese können jeden Eigentümer überall treffen. Eine Absicherung ist also essenziell. Die Finanzierung solcher Schadenbeseitigungen muss verlässlich sein und darf nicht nur von staatlicher Soforthilfe oder Spenden abhängen. Wohneigentümer in Hochrisikolagen finden allerdings vielfach gar keinen Versicherer. Oder ihnen droht der Ausschluss, wenn der Schadenfall häufiger auftritt. Ein klassisches Marktversagen, das den Gesetzgeber zum Handeln zwingt. Der Verband Wohneigentum plädiert für eine bundesweite solidarische Pflichtversicherung als Ultima Ratio. Nur so können alle Wohneigentümer zu einem bezahlbaren Versicherungsschutz kommen. Denkbar wäre als erster Schritt die Einführung einer Allgefahrenabsicherung, die automatisch mit der Wohngebäudeversicherung angeboten wird – aber aktiv abgewählt werden kann. Erbringt dieses Verfahren nicht die gewünschte Absicherungsquote, sollte eine Pflichtversicherung eingeführt werden – mit einem Ausgleichsmechanismus für finanziell überforderte Eigentümer.“

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2022, S. 34 ff., und in unserem ePaper.

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