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5. April 2019
Rechtmäßigkeit der Rückforderung von Provisionen im Stornofall

Rechtmäßigkeit der Rückforderung von Provisionen im Stornofall

Gerade nach Beendigung des Handelsvertretervertrages kommt es oftmals zum Streit über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung von unverdienten Provisionen. Viele Gerichtsurteile befassten sich bereits mit dieser Problematik. Rechtsanwalt Jens Reichow verschafft einen Überblick über die bisherige Rechtsprechung.

Von Jens Reichow, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Kommt es zum Stornofall, entsteht oftmals Streit zwischen Versicherer und Versicherungsvertreter über die Rückzahlung von unverdienten Provisionen. Gerade nach Beendigung des Handelsvertretervertrages stellt sich die Frage, ob die Rückforderung unverdienter Provisionen rechtmäßig ist. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt der Rechtstreitigkeiten ist regelmäßig die Bestimmung des § 87a Abs. 3 HGB. Danach entfällt der Provisionsanspruch nur dann, wenn der Versicherer die Stornierung zu vertreten hat. Streitig ist regelmäßig, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.

Der Versicherer hat die Stornierung des Versicherungsvertrages regelmäßig dann zu vertreten, wenn er keine ordnungsgemäße Nachbearbeitung des notleidenden Versicherungsvertrages sichergestellt hat. Welche Maßnahmen danach erforderlich sind, bemisst sich stets nach dem konkreten Einzelfall. Dem Versicherer steht also ein Wahlrecht zu (BGH, Urteil vom 25.05.2005, Az.: VIII ZR 237/04) und er kann grundsätzlich selbst Maßnahmen zur Abwendung der Stornogefahr ergreifen oder aber dem Handelsvertreter eine Stornogefahrmitteilung zukommen lassen, sodass der Handelsvertreter Storno­bekämpfungsmaßnahmen entfalten kann.

Versendung von Stornogefahrmitteilungen

Die einfachste Art und Weise der Erfüllung der Nachbearbeitungsverpflichtung durch den Versicherer ist die Versendung von Stornogefahrmitteilungen an den Versicherungsvertreter. Ausreichend ist dabei eine Mitteilung, welche den Versicherungsvertreter in die Lage versetzt, seinerseits Stornobekämpfungsmaßnahmen zu ergreifen (BGH, Urteil vom 28.06.2012, Az.: VII ZR 130/11).

Adressat der Stornogefahrmitteilung

Die Stornogefahrmitteilung ist an den Versicherungsvertreter selbst zu richten. In mehrgliedrigen Vertriebssystemen genügt nicht die Versendung der Stornogefahrmitteilung an die Führungskraft, da hieraus nicht der Zugang beim Ver­sicherungsvertreter selbst geschlussfolgert werden kann (OLG Brandenburg, Urteil vom 10.01.2013, Az.: 5 U 54/11).

Auch die Versendung einer Stornogefahrmitteilung an den Bestandsnachfolger des Versicherungsvertreters reicht nicht aus. Das Interesse des Bestandsnachfolgers ist nämlich primär darauf gerichtet, neue Versicherungsverträge abzuschließen und nicht notleidende Versicherungsverträge zu retten. Die Versendung einer Stornogefahrmitteilung an den Bestandsnachfolger reicht als Nachbearbeitung daher nur aus, wenn der Bestandsnachfolger tatsächlich konkrete Nachbearbeitungsmaßnahmen ergreift (BGH, Urteil vom 28.06.2012, Az.: VII ZR 130/11).

Rechtzeitigkeit der Storno­gefahrmitteilung entscheidend

Die Stornogefahrmitteilung muss auch so rechtzeitig erfolgen, dass Stornobekämpfungsmaßnahmen des Versicherungsvertreters noch Aussicht auf Erfolg haben. Hierzu hat die Stornogefahrmitteilung unverzüglich zu erfolgen. Danach darf der Versicherer nicht länger als zwei Wochen ab Bekanntwerden der Stornogefahr abwarten, bis er die Stornogefahrmitteilung an den Versicherungsvertreter versendet (BGH, Urteil vom 28.06.2012, Az.: VII ZR 130/11).

Ordnungsgemäßer Zugang der Stornogefahrmitteilung

Der Versicherer ist jedoch nicht verpflichtet darzulegen und zu beweisen, dass der Versicherungsvertreter die Stornogefahrmitteilung tatsächlich erhalten hat. Der Versicherer kann also darauf vertrauen, dass eine ordnungsgemäße Übermittlung seiner Stornogefahrmitteilung erfolgt. Dies führt dazu, dass der Versicherer nur die Versendung der Stornogefahrmitteilung, nicht jedoch auch den Zugang beim Versicherungsvertreter nachweisen muss (BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az.: VIII ZR 310/09).

Eigene Nachbearbeitung durch das Versicherungsunternehmen

Alternativ kann der Versicherer auch eigene Stornobekämpfungsmaßnahmen ergreifen. Maßstab der Nachbearbeitungspflicht ist dabei der Aufwand, den der Versicherungsvertreter selbst betreiben würde (OLG Köln, Urteil vom 09.09.2005, Az.: 19 U 174/04).

Ein einzelnes Mahnschreiben des Ver­sicherers genügt diesen Anforderungen jedoch regelmäßig nicht. Hintergrund ist, dass auch der Versicherungsvertreter es keineswegs bei einem standardisierten Mahnschreiben belassen würde, sondern den persönlichen oder telefonischen Kontakt zum Versicherungsnehmer suchen würde (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011, Az.: 8 U 158/08). Erfolgen jedoch mehrere Mahnschreiben, so kann dies ausreichend sein (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.03.2011, Az.: 14 U 86/10).

Keine Nachbearbeitung bei Kleinststorni und Eigenverträgen

In einigen Ausnahmefällen kann die Nachbearbeitung auch entbehrlich sein. Hierbei handelt es sich jedoch um echte Ausnahmefälle. Die Nachbearbeitungsverpflichtung entfällt bei sogenannten Kleinststorni. Hintergrund ist, dass auch der wirtschaftlich denkende Ver­sicherungsvertreter bei diesen Kleinststorni keine eigenen Stornobekämpfungsmaßnahmen ergriffen hätte. Diese können daher auch nicht vom Versicherer gefordert werden. Die Grenze ist dabei bei einer Rückforderung von 50 Euro je Versicherungsvertrag zu ziehen (OLG Brandenburg Urteil vom 07.10.2010, Az.: 12 U 96/09). Andere Instanzgerichte vertreten hierzu auch eine Wertgrenze von 100 Euro. Allerdings ist auch zu erwähnen, dass einzelne Instanzgerichte auch bei Kleinststorni eine Nachbearbeitungsverpflichtung des Versicherer bejaht haben, wenn im konkreten Einzelfall davon ausgegangen werden kann, dass auch ein wirtschaftlich denkender Ver­sicherungsvertreter den Kleinststorno nachgearbeitet hätte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2016, Az.: 16 U 32/16).

Ferner ist eine Nachbearbeitung nicht erforderlich, wenn es sich um Versicherungsverträge des Versicherungsvertreters selbst oder seiner nahen Angehörigen handelt. Unter diesen Voraussetzungen ist eine eigenständige Nachbearbeitung des Vertrages durch den Versicherer nicht erforderlich, der Ver­sicherungsvertreter verstößt vielmehr gegen den in § 242 BGB normierten Grundsatz von Treu und Glauben, wenn er sich darauf beruft, der Versicherer habe ihn nicht zur Einhaltung des von ihm selbst geschlossenen Vertrages angehalten (OLG Brandenburg, Urteil vom 09.07.2009, Az.: 12 U 254/08).

Aussichtslosigkeit von Stornobekämpfung

Eine Nachbearbeitung ist auch dann nicht erforderlich, wenn Stornobekämpfungsmaßnahmen von Anfang an aussichtslos sind. Dies ist etwa der Fall bei feststehender Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers oder wenn dieser einen Interessenwegfall mitteilt (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011, Az.: 8 U 158/08).

Die Rechtsprechung in der Fragestellung der Rückforderung von Provisionen im Stornofall ist komplex. Um zu prüfen, ob Rückforderungen rechtmäßig sind, empfiehlt es sich, einen im Vertriebsrecht spezialisierten Anwalt zu beauftragen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 04/2019, Seite 116 f. oder in unserem ePaper.

 
Ein Artikel von
Jens Reichow