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25. Oktober 2023
Risiko "Nachhaltigkeitspräferenz" im Wertpapiergeschäft
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Risiko "Nachhaltigkeitspräferenz" im Wertpapiergeschäft

Seit mehr als einem Jahr gilt bei Wertpapiergeschäften im Rahmen der Geeignetheitsprüfung die Pflicht zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden – und damit auch eine neue mögliche Haftungsgefahr für Finanzberater. Worauf also ist bei Wertpapiergeschäften mit dem Kunden zu achten?

Ein Artikel von Dr. Jochen Eichhorn, Rechtsanwalt und Partner Barckhaus Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

Mittlerweile kommt der Abfrage der sogenannten Nachhaltigkeitspräferenzen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen eine erhebliche Bedeutung zu. So müssen vor einer Anlageberatung oder Portfolioverwaltung die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden im Rahmen der Geeignetheitsprüfung erfragt und dann bei der Erbringung der jeweiligen Wertpapierdienstleistung auch beachtet werden. Diese aufsichtsrechtliche Vorgabe gilt sowohl für Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) wie auch für Anlagevermittler nach der Finanzanlagenvermittlungsverordnung. Sie sollte beachtet werden, nicht nur um aufsichtsbehördliche Maßnahmen, sondern auch um zivilrechtliche Haftungsansprüche des Kunden zu vermeiden. Man mag sich in diesem Zusammenhang an die Rechtsprechung zur Aufklärung über Zuwendungen („Kick-Backs“) erinnern. Damals haben Kunden im großen Umfang die Rückabwicklung von Wertpapiergeschäften erwirken können, wenn sie nicht richtig über Zuwendungen aufgeklärt worden waren.

Zwar haben sich in der Zwischenzeit zahlreiche „Verbraucherschutzanwälte“ von der Finanzdienstleistungsbranche abgewendet und bearbeiten jetzt z. B. „Diesel­gate“-Fälle. Es muss allerdings befürchtet werden, dass sie wieder zurückkommen, wenn Ansatzpunkte für eine Haftung bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen erkennbar sind. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn bei den Kunden Kursverluste eingetreten sind, die durch eine Rückabwicklung ausgeglichen werden können.

Aufsichtsrechtliche Pflicht zur Erfragung der Nachhaltigkeitspräferenzen

Ein Einfallstor dafür könnte bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen die neue Pflicht bieten, auch die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden zu berücksichtigen – neben den bislang relevanten Punkten, nämlich den Kenntnissen und Erfahrungen, der Risikobereitschaft, der Verlusttragfähigkeit und der Anlagedauer des Kunden.

Abgefragt werden muss konkret Folgendes:

  • Welcher Mindestanteil soll in ein ökologisches Investment gemäß der EU-Taxonomie-­Verordnung investiert werden?
  • Welcher Mindestanteil soll in eine nachhaltige Investition nach der EU-Offenlegungsverordnung investiert werden?
  • Welche nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (sogenannte Principal Adverse Impacts, PAI) sollen berücksichtigt werden?

Unterlässt man diese Abfrage, dann verstößt dies gegen das Aufsichtsrecht. Das allein führt nicht unbedingt zu einer zivilrechtlichen Haftung. Denn grundsätzlich gilt weiterhin, dass Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorgaben des WpHG nicht ohne Weiteres zivilrechtliche Haftungsansprüche begründen. Allerdings hatte der Bundesgerichtshof (BGH) schon bei Verstößen gegen die früheren aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten einen zivilrechtlichen Anspruch dann anerkannt, wenn die jeweilige aufsichtsrechtliche Vorgabe „als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsprinzips“ gesehen werden konnte. Dies wurde damit begründet, der Kunde könne dann davon ausgehen, dass der Vertragspartner die tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts beachtet.

Es wird deshalb darauf ankommen, ob die Erfragung der Nachhaltigkeitspräferenzen als ein solches allgemeines Rechtsprinzip angesehen werden kann. Dies mag derzeit noch nicht Fall sein. Es kann aber aus Gründen der äußersten Vorsicht nicht ausgeschlossen werden, dass der BGH ein solches allgemeines Rechtsprinzip zukünftig auch hier annehmen wird, insbesondere auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der Nachhaltigkeit – Stichwort „ESG“.

Haftungsrelevante Fehler bei der Erfragung der Nachhaltigkeitspräferenzen

Zunächst einmal ist darauf zu achten, dass die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden erfragt werden. Hier bietet sich die Ergänzung des entsprechenden Fragebogens – oft „WpHG-Bogen“ genannt – an. Äußert der Kunde daraufhin ausdrücklich, dass er keine Nachhaltigkeitspräferenz hat, dann entfaltet dies keine Wirkung für die in der Folge erbrachte Wertpapierdienstleistung und eine Haftung ist insoweit ausgeschlossen.

Anders verhält es sich, wenn der Kunde ausdrücklich wünscht, in eine nicht nachhaltige Anlage zu investieren. Wenn ein solcher Kundenwunsch nicht beachtet wird, kann eine Haftung eintreten.

Entscheidet sich der Kunde hingegen für die Berücksichtigung bestimmter Nachhaltigkeitspräferenzen, dann müssen diese im Rahmen einer nachfolgenden Anlageberatung und beim Abschluss eines Vermögensverwaltungsvertrages im Rahmen der Vermögensverwaltung berücksichtigt werden.

Wichtig ist auch, den Kunden darüber zu informieren, dass die Berücksichtigung der von ihm genannten Nachhaltigkeitspräferenzen nachteilige Auswirkungen auf die Rendite und das Risikoprofil der jeweiligen Anlage haben kann.

Mit dem Kunden sollte eine Abstimmung über sein Verständnis von Nachhaltigkeit vorgenommen werden. So kann man keine Kapitalanlage in ein Unternehmen berücksichtigen, das sich mit Atomkraft beschäftigt, wenn der Kunde Atomkraft ausdrücklich aus den Nachhaltigkeitspräferenzen ausgeklammert hat. Dies gilt, obwohl Atomkraft – wie im Übrigen auch fossiles Gas – seit dem 01.01.2023 als taxonomiekonforme Kapitalanlage und damit aufsichtsrechtlich als nachhaltig gilt. Sie mögen sich erinnern, dass dies auf politischer Ebene sehr umstritten war und die deutsche Regierung dazu bis heute eine andere Auffassung vertritt. Für die Beratung ist das aber nur dann maßgeblich, wenn sich der Kunde bei der Erfragung seiner Nachhaltigkeitspräferenzen mit ökologischen Investments gemäß der EU-Taxonomie-Verordnung einverstanden erklärt, nicht aber, wenn er individuell bestimmte Produkte aus der bestehenden Klassifizierung ausgenommen hat.

Ergeben sich bei der Angabe der Nachhaltigkeitspräferenzen Widersprüche zu den anderen Anlagezielen des Kunden, so z. B. den Kenntnissen und Erfahrungen des Kunden, seiner Risikobereitschaft, seiner Verlusttragfähigkeit und seiner Anlagedauer, ist der Kunde auch darüber aufzuklären.

Entspricht keines der angebotenen Anlageprodukte den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden, so ist er auch darüber zu informieren. Die Erbringung der Wertpapierdienstleistung ist dann nur möglich, wenn der Kunde seine Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechend ändert.

Zudem besteht die Pflicht zur sorgfältigen Prüfung der im Rahmen der Anlageberatung empfohlenen bzw. bei der Vermögensverwaltung eingesetzten Finanzinstrumente. Dazu gehört nunmehr auch die Prüfung der konkreten Nachhaltigkeitskriterien. Hilfreich mag sein, dass inzwischen von den jeweiligen Emittenten für nahezu jedes Finanzinstrument Angaben zur Nachhaltigkeit gemacht werden müssen. Ist ein Finanzinstrument als nachhaltigkeitskonform ausgewiesen, wird man sich darauf grundsätzlich verlassen können. Dennoch muss das Prospektmaterial mit kritischem Sachverstand geprüft werden. Wenn Unrichtigkeiten oder Widersprüche auffallen, ist der Kunde darüber aufzuklären. Prüfungsmaßstab ist dabei, dass man die Veröffentlichungen in der einschlägigen Wirtschaftspresse zu berücksichtigen hat.

Fazit: Nachhaltigkeitspräferenzen unbedingt ernst nehmen

Um Probleme mit der Aufsicht zu vermeiden und um Haftungsansprüchen aus dem Wege zu gehen, sollte man das Thema „Nachhaltigkeitspräferenzen“ unbedingt ernst nehmen. Zu einer zivilrechtlichen Haftung kann es allerdings nur kommen, wenn der Kunde einen Schaden erlitten hat. Das ist in der Regel der Fall, wenn die Kapitalanlage an Wert verloren hat.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 10/2023 und in unserem ePaper.

Bild: © Demianastur – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Dr. Jochen Eichhorn