Ein Arikel von Daniel Kums, Head of Consulting Insurance bei 3C Deutschland
In vielen Digitalisierungsprojekten bleiben enorme Potenziale ungehoben. Häufig besteht die Ursache darin, dass digitale Prozesse einfach analoge, manuelle Prozesse bzw. Organisationsstrukturen abbilden. Für die Schadenregulierung in der Versicherungsbranche bedeutet dies beispielsweise, dass die Digitalisierung in Insellösungen stecken bleibt, die den traditionellen Abteilungsstrukturen geschuldet sind. Die Digitalisierung sollte aber alle Aspekte der Schadenregulierung erfassen und diese zu einem holistischen Ganzen kombinieren. Nur dann ist die Gesamtheit mehr als die Summe ihrer Teile.
Den Kern der ganzheitlichen Schadenbearbeitung bildet die Next Best Action (NBA), eine intelligente Triage der Schadenfälle: Kleine Schäden werden vollautomatisch bearbeitet, während komplexere Fälle manuelle Eingriffe erfordern und Spezialfälle gezielt an Experten delegiert werden. NBA sorgt nicht nur für einen optimalen Ressourceneinsatz, sondern entlastet auch die Sachbearbeiter von repetitiven Tätigkeiten.
Prüfen und extrahieren: Informationen nutzbar machen
Eine große Herausforderung für Digitalisierungsprojekte stellt der Umstand dar, dass die Schadenmeldung nach wie vor überwiegend telefonisch (ca. 70%) oder per Post erfolgt. Moderne Systeme ermöglichen die automatisierte Prüfung und Extraktion relevanter Daten aus digitalen und analogen Dokumenten und schaffen somit die Basis für eine schnelle und medienbruchfreie Weiterverarbeitung. Ist die Digitalisierung der Informationen abgeschlossen, kann die Automatisierung ihre Stärken ausspielen. Avancierte Lösungen gewährleisten eine effiziente und zielgerichtete Disposition von Schadenfällen und leiten diese bei Bedarf an die angebundenen Werkstätten, Sachverständigen oder Sanierungsdienstleister weiter. Durch eine intelligente Schadensteuerung wird sichergestellt, dass ausschließlich relevante Schäden extern beauftragt werden, wodurch unnötige externe Kosten vermieden werden. Abschließend erfolgt eine sorgfältige Prüfung von Gutachten, Kostenvoranschlägen und Rechnungen auf Kürzungspotenziale, um ungerechtfertigte Zahlungen zu minimieren.
Hybride digitale Exzellenz: Betrug zuverlässig erkennen
Auch bei der Betrugserkennung bietet die Automatisierung große Potenziale. Herkömmliche Systeme zur Betrugserkennung basieren auf dem Wissen von Experten, arbeiten retrospektiv und können nur bekannte Betrugsmuster erkennen. Dies ist ein ernstzunehmendes Manko in einer dynamischen Betrugslandschaft. Daher ist zusätzlich der integrierte Einsatz von Systemen erforderlich, die künstliche Intelligenz (KI) bzw. Machine Learning (ML) nutzen, um ungewöhnliche Muster zu erkennen und Prognosen für zukünftige Betrugsszenarien zu erstellen. Dieser Ansatz der „hybriden digitalen Exzellenz“ kombiniert die Stärken regelbasierter Systeme mit den Möglichkeiten der KI, um eine umfassendere und zukunftsorientierte Lösung zu schaffen.
Regressprüfung neu gedacht
Die Automatisierung der Regressprüfung wirft insbesondere dann finanzielle Vorteile ab, wenn sie frühzeitig im Schadenbearbeitungsprozess ansetzt. Konkret ergibt sich ein Nutzen zum Beispiel dadurch, dass die Schadenanlage durch gezielte Rückfragen präzise gesteuert werden kann und beschädigte Teile frühzeitig für eine spätere Beweisführung gesichert werden können. Darüber hinaus ergeben sich zwei wesentliche Vorteile:
- Wissensmultiplikation: Eine fortschrittliche Lösung kann als Multiplikator für Fachwissen fungieren. Dadurch ist es nicht mehr erforderlich, dass jeder einzelne Mitarbeiter potenzielle Regressfälle eigenständig erkennt – eine Aufgabe, die in der Praxis nahezu unmöglich zu bewältigen ist.
- Lückenlose Erkennung: Die Software arbeitet zuverlässig und ohne Unterbrechungen. In der Realität bleiben selbst einfache Regressfälle häufig unentdeckt, was auf menschliche Faktoren, Bearbeitungsrückstände, hohe Arbeitsbelastung und fehlende Spezialisierung zurückzuführen ist. Eine leistungsfähige digitale Lösung hingegen schließt diese Lücken und sorgt für eine systematische und weit zuverlässigere Identifikation von Regressmöglichkeiten.
Wie bei der Betrugserkennung analysieren KI und ML die Daten, um Muster und Trends zu erkennen, die auf potenzielle Regressfälle hinweisen. Diese Systeme sind in der Lage, komplexe Zusammenhänge zwischen verschiedenen Variablen zu erkennen und präzise Prognosen zu erstellen. Das finanzielle Potenzial ist beträchtlich. Ein Return on Investment (ROI) von 4,5 ist keine Seltenheit.
Der Clou mit den Daten
Eine fortschrittliche Lösung bietet einem Versicherer die Möglichkeit, externe Datenquellen ohne IT-Aufwand zu integrieren, da der Lösungsanbieter die Schnittstellen zur Verfügung stellt. Einige Beispiele zur Optimierung mit externen Daten:
- Wetterdaten lassen sich nutzen, um zu prüfen, ob bei Sturmschäden die erforderliche Windstärke vorlag oder ob bei Blitzschlägen ein Gewitter nachweisbar ist. Das System kann auch eine Historie aufbauen, um wiederholte Anfragen aus dem gleichen Gebiet effizienter zu beantworten und somit die externen Kosten für die Versicherungshäuser zu minimieren.
- Kreditscoring-Daten können eingesetzt werden, um die Bonität des Versicherungsnehmers zu beurteilen. Dies ist eine wichtige Information, weil eine negative Bonität mit einer höheren Betrugswahrscheinlichkeit korreliert.
- Daten der Gesellschaft für Konsumgüterforschung (GfK), mit denen Versicherer den Neu- und Zeitwert beschädigter Gegenstände überprüfen können.
Die Kunden nicht vergessen
Auch die Kundenbeziehungen einer Versicherung können signifikant von der automatisierten Schadenbearbeitung profitieren, insbesondere durch eine automatisierte kundenzentrierte Kommunikation. Grundsätzlich ist das Ziel, die notwendigen Touchpoints mit dem Kunden zu optimieren. Die Unterstützung in der Kundenkommunikation kann ein automatisierter „Communication Manager“ übernehmen, der ähnlich wie ein Livetracker im Versandhandel funktioniert, um den Kunden über den jeweiligen Bearbeitungsstand auf dem Laufenden zu halten. Ganz nebenbei gibt diese Lösung den Versicherern auch intern einen Überblick über den Bearbeitungsstand. Ohne eine automatisierte Lösung fehlt Assekuranzen dieses Wissen häufig.
Mehr als die Summe der Teile
Wie eingangs angedeutet, muss die Digitalisierung nicht nur alle Aspekte der Schadenregulierung abdecken. Vielmehr ist ein holistischer Blick auf den Gesamtschaden erforderlich, der in einem digitalen KI-unterstützten End-to-End-Prozess mündet. Das Ziel ist, für jeden Schadenfall die optimalen Workflows abzubilden. Assekuranzen sollten nach einem Partner suchen, der diesen Blick bieten kann.
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Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 08/2025 und in unserem ePaper.

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