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15. Februar 2021
Sind Deutschlands Versicherer „fit for ESG“?

Sind Deutschlands Versicherer „fit for ESG“?

Am 10.03.2021 tritt EU-weit die Transparenzverordnung in Kraft. Zum Stichtag muss der Finanzdienstleistungssektor nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten erfüllen. Aber wie nachhaltig ist die deutsche Assekuranz wirklich? Der ESG-Report von Franke und Bornberg sucht Antworten.

Nachhaltigkeit heißt das Gebot der Stunde, denn der Klimawandel schreitet deutlich schneller voran als prognostiziert. Notwendigkeit und Bereitschaft, nachhaltigem Wirtschaften oberste Priorität einzuräumen, ist dringend angesagt. Regulatorische Vorgaben der Europäischen Union treiben diese Entwicklung voran: Am 10.03.2021 tritt in Deutschland eine Offenlegungspflicht im Finanzdienstleistungssektor in Kraft. Diese definiert im Bereich Anlageprodukte Transparenzpflichten für „Finanzmarktteilnehmer“ (Produktanbieter) und „Finanzberater“ (Banken, Versicherungsvermittler oder Wertpapierfirmen). Außerdem ist eine Änderungsverordnung zur MiFid-II-Richtlinie in Vorbereitung. Ab deren Inkrafttreten müssen Anlageberater ihre Kunden befragen, ob sie bei der Geldanlage ESG-Aspekte (Environmental, Social, Governance) berücksichtigt wissen wollen. Die Taxonomie-Verordnung definiert derzeit Kriterien, wann eine Wirtschaftstätigkeit „sustainable“, also ökologisch nachhaltig ist. Sie wird in zwei Schritten umgesetzt.

Um der Frage nachzugehen, ob auch die deutsche Assekuranz „fit for ESG“ ist, hat das Analysehaus Franke und Bornberg in seinem „ESG-Report“ den Status quo bei Erstversicherern untersucht und in diesem Zusammenhang Handlungsoptionen für mehr Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit aufgezeigt. Mit ihrer Anlagepolitik kann die Versicherungswirtschaft viel bewegen. 2019 beliefen sich die Kapitalanlagen der Erstversicherer auf 1.750 Mrd. Euro. Im selben Jahr betrug der Bundeshaushalt ca. 343 Mrd. Euro und die Marktkapitalisierung der Dax-30-Unternehmen rund 1.050 Mrd. Euro. Aber wird die Branche ihrer Verantwortung bereits gerecht?

Kapitalanlage: Ausschlusskriterien weit verbreitet, „Engagement“ eher weniger

Ein Blick auf die Verbreitung von Ausschlusskriterien stimmt die Verfasser des ESG-Reports optimistisch. Danach setzen neun von zehn untersuchten Versicherern auf Negativkriterien bei der Kapitalanlage. Alle Versicherer, die Ausschlüsse für Staaten anwenden, haben auch Negativkriterien für einzelne Branchen oder Unternehmen formuliert. Umgekehrt ist dies jedoch nicht immer der Fall. Zu den Ausschlusskriterien auf Staatenebene zählen Verstöße gegen Menschenrechtskonventionen, Korruption, Nichtratifizierung des Pariser Klimaschutzabkommens und die Verhängung der Todesstrafe. Auf Branchen-/Unternehmensebene werden Ausschlüsse beispielsweise gegenüber Waffen- sowie Kohleindustrie formuliert.

Eine weitere Strategie, ESG-Aspekte bei der Kapitalanlage zu etablieren, ist das „Engagement“. Darunter wird eine Kombination aus Stimmrechtausübung und Gesprächen mit Unternehmen verstanden, bei denen Versicherer investiert sind. Fast drei Viertel der untersuchten Versicherer machen keine Angaben zu einer etwaigen Engagement-Strategie. Positivstrategien, bei denen wünschenswerte Investitionsbereiche benannt werden (z. B. Mikrofinanzdienstleistungen), sind bislang laut ESG-Report kaum verbreitet.

Versicherer haben aber nicht nur bei ihrer Geldanlage die Möglichkeit, den Markt in Richtung einer nachhaltigeren Arbeitsweise zu bewegen. Sie können durch gezieltes „Nichtversichern“ von Branchen oder Unternehmen ebenfalls Lenkungswirkung erreichen. Allerdings bleibt dieses Steuerungsinstrument reinen Personenversicherern in der Regel verwehrt. Von den übrigen Gesellschaften praktizieren dem ESG-Report zufolge immerhin mehr als die Hälfte Ausschlüsse von Branchen oder Unternehmen. Wichtigste Ausschlusskriterien sind derzeit Kohleindustrie, Abbau von Öl-/Teersanden, Waffenindustrie und Kernenergie.

Ökologischer Fußabdruck: Einheitliche Berichtsstandards fehlen

Abseits der Anlagepolitik kommt den meisten Menschen die Ökologie und damit der ökologische Fußabdruck eines Unternehmens in den Sinn, wenn sie an Nachhaltigkeit denken. Hier geht es um Papier-, Wasser- und Stromverbrauch, Energieeffizienz, Abfallaufkommen und Dienstreisen. Laut Franke und Bornberg fehlen hier bislang einheitliche Berichtstandards und Bezugsgrößen: So erfassen einige Gesellschaften in ihren Antworten unter „Papierverbrauch“ zum Beispiel nur das Druckpapier, während ein anderes Unternehmen sogar detailliert den Verbrauch der unterschiedlichen Arten von Hygienepapier auflistet. Die Spannweite in den Nachhaltigkeitsberichten reicht von „keine Angabe“ bis hin zu „10.161 t Gesamtpapierverbrauch“ ohne Spezifizierung. Ein ähnliches uneinheitliches Bild zeigt sich beim Wasserverbrauch: Der Minimalwert beträgt 4,92 Kubikmeter pro Vollzeitmitarbeiter und Jahr, das Maximum liegt bei 24,45 Kubikmeter.

Bei Diversität noch viel Luft nach oben

Auch soziale und gesellschaftliche Facetten machen nachhaltiges Handeln aus. Für den ESG-Report hat Franke und Bornberg daher unter anderem nach der Geschlechterverteilung in Vorstand und Aufsichtsrat der Versicherer gefragt: In den befragten Unternehmen bekleiden Frauen noch nicht einmal jeden zehnten Vorstandsposten. Im Aufsichtsrat ist knapp ein Viertel weiblich, von Parität sind also auch die Aufsichtsgremien noch meilenweit entfernt.

Betriebe mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, wenigstens 5% davon mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Laut ESG-Report erfüllt aber über die Hälfte der befragten Versicherer diese gesetzlichen Vorgaben nicht. 19,4% der Versicherer waren nicht in der Lage (oder nicht willens), Zahlen auszuweisen. Nur eines von vier Unternehmen erfüllt die Quote.

Fazit und Ausblick

Für ein Gesamtbild sind die Informationen, die mithilfe der Umfrage und der Nachhaltigkeitsberichte erhoben wurden, jedoch bislang zu unterschiedlich. Eine einmalige Abfrage zu Nachhaltigkeitskriterien liefert zudem nur den Status quo; sie wird der jeweiligen Entwicklung und den dahinterstehenden Anstrengungen nicht gerecht. Sondereffekte können nur bei der Betrachtung längerer Zeiträume angemessen gewürdigt werden.

Franke und Bornberg will eigenen Angaben zufolge auch in Zukunft Nachhaltigkeitsdaten erheben, um Trends aufzuspüren und die weitere Entwicklung zu verfolgen. Klare und verständliche Standards sind wichtig – nicht zuletzt, damit Verbraucher sich orientieren und Vermittler ihren Verpflichtungen nachkommen können. Bei künftigen Befragungen will das Analysehaus deshalb Vorgaben noch weiter präzisieren und Standards für eine einheitliche Berichterstattung vorantreiben. Ein qualitativ hochwertiges Ratingverfahren stehe dann am Ende dieser Entwicklung.

„Auch wenn es noch keine einheitlichen Standards gibt und Versicherer ihr Potenzial häufig noch nicht voll ausschöpfen, ist die Versicherungsbranche auf einem guten Weg“, so Michael Franke, geschäftsführender Gesellschafter von Franke und Bornberg. Insbesondere mit ihrer Kapitalanlagepolitik könne die Assekuranz eine enorme Lenkungswirkung entfalten und somit auch andere Wirtschaftszweige zu nachhaltigerem Handeln motivieren. (ad)

Über den ESG-Report

Für den ESG-Report wurden im Sommer 2020 alle Erstversicherer in Deutschland zum Stand der Umsetzung von ESG-Kriterien befragt. 23 Versicherer haben an der Befragung teilgenommen. Mit dem Ziel, die Aussagekraft der Untersuchung weiter zu steigern, hat Franke und Bornberg zudem Nachhaltigkeitsberichte von Versicherern herangezogen, die keine Antworten beigesteuert hatten. Auf diese Weise stieg der Kreis der untersuchten Gesellschaften um acht weitere Versicherer. Betrachtungszeitraum für die Onlinebefragung ebenso wie für die Nachhaltigkeitsberichte war das Jahr 2019. Der ESG-Report von Franke und Bornberg steht hier zur Verfügung.

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