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11. August 2025
Sind Leistungskürzungen in der Sozialversicherung unumgänglich?

Sind Leistungskürzungen in der Sozialversicherung unumgänglich?

Veronika Grimm, ihres Zeichens seit sechs Jahren Wirtschaftsweise, hält Leistungskürzungen in den Sozialversicherungen für unausweichlich. Wie kommen diese Forderungen bei der Politik an? Und welche Pläne – wenn überhaupt – hat die Regierung?

Eigentlich gelten Juli und August eher als „Sommerloch“-Monate. In dieser Zeit müssen vor allem Nachrichtenredaktionen viel kramen, um die Zeitung voll zu bekommen. Auf politischer Seite rührt das wohl daher, dass viele Politiker im Sommerurlaub sind – denn auch ihnen sei eine Auszeit gegönnt. Aber dieses Jahr ist es irgendwie … anders.

Denn seit Wochen reißen die Berichte, die in irgendeiner Weise die Rente, die Kranken- und Pflegeversicherung und den demografischen Wandel behandeln, nicht ab, intensiviert und angefeuert durch die Ansage von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), dass „wir“ doch wieder „mehr und länger“ arbeiten müssten. Vergangene Woche tagte dann auch das Kabinett zu einem „neuen“ Rentenpaket von Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas, mit dem die Haltelinie in der gesetzlichen Rentenversicherung bis 2031 weiter bei 48% bleiben wird. Eine Entscheidung, die, vorbehaltlich der Zustimmung des Bundestags und des Bundesrats, im Sinne eines nachhaltigen Rentensystems sicher nicht als unkontrovers einzustufen ist.

Der Wirtschaftsweise Prof. Dr. Martin Werding warnte vor einem Anstieg der Sozialabgaben auf 50%. Die Frage sei hier nicht „ob“, sondern „wann“. Werding dröselte außerdem auf, wie stark der Staatshaushalt belastet würde, wenn man an der Haltelinie von 48% festhält. Die Antwort: nun … ziemlich stark eben. Zu stark.

Grimm fordert Sozialleistungskürzungen

Und nun schaltet sich eine weitere Wirtschaftsweise ein, nämlich Veronika Grimm, die als anerkannte Wirtschaftsexpertin seit 2020 im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sitzt. Man könnte sagen: Sie kennt sich mit Wirtschaft aus.

Grimm sieht in der Zukunft der Sozialversicherung angesichts der demografischen Entwicklung (mehr ältere und weniger junge Menschen) vor allem drastische Schritte, so schreibt die Berliner Morgenpost in einem Bericht vom Sonntag, 10.08.2025. „Wir brauchen in der Renten-, Pflege und Krankenversicherung mehr Ehrlichkeit darüber, welche Leistungen wir uns wirklich leisten können und welche nicht. Das heißt auch, dass wir mitunter Leistungen werden kürzen müssen“ wird Grimm zitiert.

Das Festsetzen der Haltelinie sieht Grimm nicht nur aufgrund der finanziellen Belastung für den Haushalt kritisch, sondern auch, weil es den Bürgern falsche Signale sendet. Viele Menschen, die privat vorsorgen könnten, würden mit solchen Versprechungen genau dies dann nicht tun, sowohl in der Rente als auch in der Pflege. Und genau hier müsse man mehr auf die Eigenverantwortung der Bürger setzen: „Wer in der Lage ist, Teile der Pflegeleistungen selbst zu finanzieren, der muss das auch tun“, so Grimm mit Verweis auf die steigenden Beiträge der jetzigen arbeitenden Bevölkerung. Auch hier also: Leistungskürzungen sollten nach Ansicht der Expertin auf dem Programm stehen.

Leistungskürzungen? Nicht mit der Politik

Doch das Thema Leistungskürzungen in den Sozialversicherungen stößt politisch wohl eher auf taube Ohren – so suggeriert es zumindest das ARD-Sommerinterview mit Bärbel Bas (SPD). Reformideen zur Rente und zum Thema Bürgergeld habe die Politikerin zwar, preisgeben wollte sie sie allerdings nicht, sondern in der Rentenkommission und der Sozialstaatskommission einbringen. Eine Sache schloss sie im Interview jedoch aus: Rentenkürzungen. Die werde es unter ihrer Führung nicht geben. Angesichts einer aktuellen Durchschnittsrente von 1.405 Euro monatlich für Männer und 955 Euro für Frauen könne Kürzung keine Option sein, so Bas.

Und auch allgemein kommen Grimms Aussagen bei der SPD nicht so gut an, meldet die Berliner Morgenpost weiter. Die „neoliberale Herangehensweise“, die Lösung nur durch Kürzungen bei der Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu suchen, sei „zu einfach gedacht und findet nicht unsere Zustimmung“, wird SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese zitiert.

Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef, Andreas Audretsch, fordert laut Berliner Morgenpost Klarheit in der Sprache: „Frau Grimm soll gern konkret sagen, was sie meint: Die Rente noch weiter zu kürzen, würde bedeuten, viele Frauen, vor allem Frauen im Osten, im Alter in Armut zu stürzen.“ Gerade diese seien von der gesetzlichen Rente abhängig. Und im Gesundheitssystem sollte man Menschen nicht die Versorgung streichen, sondern für Effizienz im System sorgen. „Wer bei Gesundheit und Pflege nach Leistungskürzungen ruft, soll konkret werden. Wer soll nicht mehr versorgt werden? Wer soll nicht mehr gepflegt werden?“

Bevölkerung unzufrieden mit GKV

Um nicht nur die Regierung, sondern auch die Bevölkerung zu Wort kommen zu lassen: Auch die ist mit den Sozialsystemen nicht ganz zufrieden, und zwar auch nicht mit der gesetzlichen Krankenversicherung, wie eine aktuelle Umfrage des Meinungsinstituts Forsa im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) zeigt. Fast jeder Zweite (47%) ist mit dem deutschen Gesundheitssystem demnach nicht zufrieden – bei einer Umfrage im Februar waren es nur 30%. TK-Chef Dr. Jens Baas erläutert dazu: „Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass sie für immer weiter steigende Beiträge keinen angemessenen Gegenwert mehr bekommen, zum Beispiel wenn sie lange auf Arzttermine warten müssen.“ Die steigende Unzufriedenheit sei ein Alarmzeichen für die neue Regierung, dass sie dringend handeln und die Versäumnisse der Vorgängerregierung nachholen müsse und das System eine schnelle finanzielle Entlastung brauche.

Wo geht’s hin?

Der Generationenvertrag … im Prinzip eine gute Idee, die jedoch von der Alterung der Gesellschaft (wie soll man es anders sagen) kaputt gemacht wird. Oder wie Heyo Kroemer, Chef der Berliner Universitätsklinik Charité, es im Interview mit dem Handelsblatt formuliert: „Wie alle unsere großen Systeme basiert auch Gesundheit auf dem Generationenvertrag. Die Jungen finanzieren die Alten. Dieser Vertrag ist implizit gekündigt, weil es einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer in der nächsten Generation nicht mehr gibt.“

Gepaart mit der so bremsenden Bürokratie in Deutschland und der Tatsache, dass Politik zumindest gefühlt oft nur so schnell reagiert wie ein Tanker, der umkehren möchte, ist der demografische Wandel für die Gesundheitssysteme eine sehr ungesunde Kombination. Zumal richtige Reformen nur sehr schwer durchzusetzen sind.

Es bleibt spannend, was sich die „neue“ Regierung, die sich nun fast 100 Tage im Amt befindet, für die Mammutaufgabe „Aufrechterhalten der Sozialsysteme“ ausdenkt. Lange genug Zeit hatte die Politik auch schon davor – nur leider nicht das Durchsetzungsvermögen. (mki)