AssCompact suche
Home
Investment
11. Februar 2020
So gefährlich sind die politischen Unruheherde für die Finanzmärkte

So gefährlich sind die politischen Unruheherde für die Finanzmärkte

Anleger müssen sich auch 2020 mit zahlreichen alten und neuen weltpolitischen Themen beschäftigen. Handelskriege, Brexit und der Iran-Konflikt sorgen für Verunsicherung. Zudem schwächelt die Weltkonjunktur derzeit erheblich. Die Märkte reagieren darauf bisher relativ gelassen – zu Recht, meint Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank.

Herr Dr. Schmieding, 2020 hat mit einem weiteren welt­politischen Krisenherd begonnen. Wie gefährlich ist der Iran-Konflikt für die Weltpolitik und für die Finanzmärkte?

Der Iran-Konflikt ist hochbrisant für die Weltpolitik. Er ist aber nicht sehr gefährlich für die Weltfinanzmärkte. Die Region ist für die Weltwirtschaft nur aus einem Grund von Bedeutung: das ist der Ölpreis. Allerdings ist der Ölpreis heute nicht mehr so abhängig vom Golf wie früher. Er wird heute stark durch das Fracking in den USA bestimmt.

Ist Öl in Zeiten zunehmend digitaler Geschäftsmodelle überhaupt noch der weltwirtschaftliche Faktor, wie er es bei den letzten Ölkrisen war?

Ein deutlich höherer Ölpreis würde die Konjunktur auch heute noch dämpfen. Dass eine Ölkrise eine scharfe Rezession wie in den 70er-Jahren auslösen könnte, ist heute aber praktisch ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit eines kräftigen und dauerhaften Anstiegs des Ölpreises ist derzeit ohnehin gering. Selbst im Extremfall eines echten Krieges zwischen Iran und einer Allianz aus Saudi Arabien und den USA sollte das US-Militär es schaffen, die Ölausfuhr aus Saudi-Arabien zu schützen bzw. nach kurzer Unterbrechung wiederherzustellen. In einer ernsten Konfron­tation wäre der Iran kein wirklicher Gegner für das US-Militär.

Ohnehin sieht es nicht aus, als ob beide Seiten den Konflikt eskalieren lassen wollen …

Richtig. Beide Seiten haben kein Interesse daran, die Situation völlig eskalieren zu lassen. Doch selbst in dem beschriebenen schlimmstmöglichen Szenario wäre es sehr unwahrscheinlich, dass der Ölpreis für länger als drei Monate um mehr als 30% steigt.

Was ist 2020 in Bezug auf den Brexit zu erwarten?

In diesem Jahr ist mit einem erneuten Brexit-Theater zu rechnen, aber in deutlich abgeschwächter Form. Nach dem politischen Austritt Ende Januar folgt Ende Dezember der wirtschaftliche Austritt – zumindest weitgehend. Es ist unwahrscheinlich, dass die Briten die Übergangsperiode verlängern. Es ist aber auch nahezu unmöglich, bis Jahresende ein umfassendes Handelsabkommen über die künftigen Beziehungen abzuschließen. Es dürfte stattdessen nur ein Teilabkommen für wesentliche Bereiche des Güterhandels sowie Übergangsregeln für einige weitere Sektoren geben.

Neue Unruhe kommt zu Jahresbeginn auch aus Russland, wo die russische Regierung zurückgetreten ist. Welches Ungemach könnte dadurch drohen?

Putin kontrolliert Russland ohnehin. Mit welchem Premierminister und mit welcher Verfassung er das tut, ist relativ unwichtig. Das dürfte das Wirtschaftswachstum der Welt nicht berühren. Es dürfte noch nicht einmal das Wirtschaftswachstum Russlands berühren. Solange das System Putin an der Macht bleibt, wird Russland sein eigentlich großes Potenzial nicht ausschöpfen können. Die mangelnde Rechtssicherheit unter Putin schreckt Investoren ab.

Wie ist es derzeit insgesamt um die Weltkonjunktur bestellt?

Die Weltkonjunktur schwächelt derzeit erheblich. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe: Der eine ist die dauerhafte Wachstumsverlangsamung in China, der andere der Handelskonflikt der USA mit vielen Ländern. Weil Unternehmen nicht wissen, wie sie ihre Lieferketten neu ausrichten sollen, investieren sie relativ wenig. Welthandel und die weltweite Industrieproduktion stagnieren. Gerade mit seinen Handelskriegen hat Trump dem für Deutschland so wichtigen Welthandel 2019 so sehr geschadet, dass die deutsche Industrie sogar in eine Rezession geraten ist. Es zeichnet sich aber ab, dass wir die Talsohle erreicht haben und dass Welthandel und Weltindustrieproduktion 2020 wieder zu wachsen beginnen. China und die USA haben eine Art Waffenstillstand geschlossen. Andere Teile der Konjunktur wie etwa die Binnennachfrage oder der private Verbrauch schwächeln ja ohnehin nicht. Das Ergebnis ist eine sehr gespaltene Konjunktur.

Reagieren die Finanzmärkte zu Recht gelassen auf die Unruheherde?

Ja. Eine gewisse weltpolitische Unruhe gehört immer dazu. Zudem erleben wir, dass Trump sowohl im Handelskonflikt mit China als auch im Streit mit dem Iran vor den ganz großen Konflikten zurückscheut. Trump schürt zwar fleißig Konflikte, aber einen echten Krieg hat er noch nicht angezettelt.

Wie genau stellt sich die Situation in Deutschland aktuell dar?

Deutschland ist in der westlichen Welt das Paradebeispiel einer gespaltenen Konjunktur. Im vergangenen Jahr sind der private Verbrauch, der Wohnungsbau oder auch der Staatsverbrauch gut gelaufen. Die Unternehmensinvestitionen und die Ausfuhr haben dagegen faktisch stagniert. Große Teile der Binnennachfrage laufen also gut, alles andere läuft schlecht. Diese Kluft ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Entweder werden die Verbraucher irgendwann unsicher und geben weniger Geld aus oder der Außenhandel und die Investitionen der Unternehmen kommen in Schwung. Die deutschen Verbraucher sind gut gelaunt. Ihre Einkommens- und Vermögenslage ist gut. Sie haben keinen Grund, sich zurückzuhalten. Stattdessen spricht viel dafür, dass die Investitionen und die Ausfuhr in diesem Jahr wieder etwas mehr in Gang kommen können.

Einige Experten befürchten dadurch aber eine Blasenbildung am Immobilienmarkt. Wie groß schätzen Sie diese Gefahr ein?

Eine gefährliche Blase sehe ich nicht. Drei Gründe sprechen gegen die Gefahren, die manche Beobachter heraufbeschwören. Erstens ist der Anstieg der letzten Jahre weitgehend gerechtfertigt durch die unerwartete Entwicklung der Bevölkerungszahlen. Zweitens stellen wir eine starke Entwicklung weg vom Land hin zu den mittleren und großen Städten fest. Der Preisanstieg in diesen Städten und deren direktem Umland ist dadurch weitgehend gedeckt. Drittens muss man sich bei Immobilienpreisen immer anschauen, ob sie kreditgetrieben sind. Übertreibungen am Immobilienmarkt sind erst gefährlich, wenn sie zu stark kreditgetrieben sind und Käufer ihre Kredite im Falle eines Zinsanstiegs nicht mehr bedienen oder den Kredit im Zweifel durch den Verkauf des Hauses nicht mehr tilgen können. Das ist derzeit in Deutschland aber nicht der Fall. Selbst im nahezu ausgeschlossenen Extremfall eines Rückgangs der Wohnungspreise um 30% wäre das wahrscheinlich keine gesamtwirtschaftliche Katastrophe, weil sowohl Banken als auch Verbraucher alles in allem bei Krediten hinreichend vorsichtig geblieben sind.

Inwiefern?

Früher hätten die Verbraucher bei diesem Zinsniveau viel exzessiver Kredite aufgenommen. Man könnte sagen, dass die Zinsen heute so extrem niedrig sind, weil sonst noch weniger Menschen einen Kredit aufnehmen würden. Trotz der Niedrigstzinsen ist das Kreditwachstum heute normal, nicht übertrieben.

Dennoch beschäftigt und frustriert das Thema Zinsen die deutschen Sparer seit Jahren. Was können sie diesbezüglich von der neuen EZB-Chefin Christine Lagarde erwarten?

Eine Politik der ganz ruhigen Hand, unter der sich für Sparer vorerst nichts ändert. Die Inflation ist einfach nicht hoch genug, um innerhalb der EZB eine Mehrheit für steigende Zinsen zu finden. Die Konjunktur ist auf der anderen Seite aber auch nicht so schwach, dass man eine weitere Zins­senkung befürchten müsste. Vorläufig wird sich also voraussichtlich gar nichts ändern. Frau Lagarde wird stattdessen versuchen, innerhalb der Zentralbank die Wogen zu glätten und außerhalb der Zentralbank den Bürgern besser zu erklären, warum die Geldpolitik der EZB so ist, wie sie ist – vor allem im deutschen Sprachraum. Das war in den letzten Jahren ein Versäumnis von Mario Draghi. Er hat es nach einigen frühen Versuchen weitestgehend aufgegeben, sich dem Gegenwind zu stellen, vor allem im deutschen Sprachraum. Frau Lagarde lernt dagegen bereits Deutsch und dürfte gerade hier kommunikativ einiges verbessern. An der eigentlichen Politik wird sich vorläufig aber nichts ändern. (mh)

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 02/2020, Seite 56f, und in unserem ePaper.

Bild: © freshidea – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Dr. Holger Schmieding