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21. September 2018
Telematiktarife: „Der Kunde erwartet einen klaren persönlichen Vorteil“

Telematiktarife: „Der Kunde erwartet einen klaren persönlichen Vorteil“

Was die Akzeptanz von Telematiktarifen angeht, sind Kunden geteilter Meinung. Auch die Frage, wie gerecht solche verhaltensabhängigen Preismodelle sind, spaltet die Gemüter. Doch unter welchen Voraussetzungen wären Kunden bereit, solche Tarife abzuschließen? Nachgefragt bei Prof. Horst Müller-Peters vom Institut für Versicherungswesen der Technischen Hochschule Köln.

Herr Prof. Müller-Peters, wie steht es denn um die Akzeptanz von Telematiktarifen bei den Verbrauchern?

Die Frage lässt sich am ehesten mit „teil, teils“ beantworten. Während es Kunden gibt, die solche Tarife derzeit rundweg ablehnen, gibt es auch Gruppen, die dem durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen – und verhaltensbasierte Prämien im Einzelfall nicht nur akzeptieren, sondern sogar als gerechter ansehen als die derzeit bestehenden Tarifierungsgrundlagen. Ganz grob gesehen ist der Anteil der Ablehner und der Aufgeschlossenen etwa gleich groß, wobei die Aufgeschlossenen nochmal in echte Befürworter und in Skeptiker, die aber nicht rundweg ablehnend sind, zu unterteilen sind.

Sind Unterschiede feststellbar zwischen Kfz-Versicherung und Krankenversicherung?

Insgesamt ist die Zustimmung in der Kfz-Versicherung höher. Das betrifft den Anteil derjenigen, die sich überhaupt so einen Tarif vorstellen können, vor allem aber das Ausmaß, in dem die Prämie durch Verhaltensmessung beeinflusst werden sollte. Während in der Kfz-Versicherung auch eine durchgreifende risikoadäquate Tarifierung auf Basis von Telematik akzeptiert wird, wird bei der Krankenversicherung im Kern ein Solidarelement unterstellt. Verhaltensbasierte Auf- oder Abschläge sollten dann eher kleine Belohnungen oder – psychologisch schon viel heikler – Bestrafung darstellen, ohne diese Grundprinzipien infrage zu stellen.

Wo sehen Sie Hürden bzw. unter welchen Bedingungen wären die Kunden bereit, Telematiktarife abzuschließen?

Einerseits ist wichtig, dass die Tarifierungsgrundlagen als gerecht und nachvollziehbar wahrgenommen werden. Als gerecht gelten dabei vor allem Kriterien, die der Kunde selbst beeinflussen kann. Also in der Kfz-Versicherung zum Beispiel die Fahrleistung oder der Fahrstil, in der Krankenversicherung Rauchen, Sport oder Ernährung – im Gegensatz zu „Schicksalsfragen“ wie genetische Veranlagung, aber auch Geschlecht oder sogar das Alter. Nachvollziehbar heißt, dass dem Kunden die Relevanz des gemessenen Merkmals für das versicherte Risiko deutlich sein muss. Im Kontext von Big Data und künstlicher Intelligenz, wo manche Algorithmen selbst für den Versicherer kaum noch nachvollziehbar sind, eine echte Herausforderung.

Daneben erwartet der Kunde einen klaren persönlichen Vorteil – gemäß dem Motto „What’s in it for me?“. Interessanterweise verspricht sich ein großer Teil der Autofahrer aufgrund der eigenen Fahrweise einen Preisvorteil. Preisaufschläge erwarten die allerwenigsten. Hier ist, wie bei solchen Vergleichen mit „den anderen“ durchaus üblich, ein ordentlicher Schuss Selbstüberschätzung im Spiel.

Vordergründig wichtig ist auch die Sicherheit der Daten. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Gewohnheitseffekte, Herdentrieb, Bequemlichkeit oder die Aussicht auf Vergünstigungen die Datenschutzbedenken vieler Bürger schnell in den Hintergrund treten lassen. Payback, Facebook, WhatsApp & Co. lassen grüßen.

Wie viel Ersparnis soll ein Telematik­tarif aus Kundensicht in der Kfz-Ver­sicherung denn bringen?

Nach erster Einschätzung würde ca. jeder dritte Kfz-Versicherte bei einer Ersparnis von 30% den Telematiktarif ernsthaft erwägen. Aber auch klare Preisschwellen wie zum Beispiel eine „100-Euro-Ersparnis“ üben erfahrungsgemäß einen großen Reiz aus. Als Preismodell werden übrigens Prämienrückerstattungen bevorzugt, während Nachzahlungen bei ungünstiger Fahrweise weitestgehend tabu sind.

Wie verhält es sich denn im Bereich der Krankenversicherung?

In der Krankenversicherung liegen die Hürden für Telematiktarife insgesamt sicherlich noch etwas höher, und auch der Anteil der grundsätzlichen Verweigerer ist deutlich größer. Bei der derzeitigen Rechtslage bestehen darüber hinaus auch rechtliche Hürden, die die Einführung telematischer Krankentarife weitgehend verhindern. Sollten die aber einmal fallen, so ist zu bedenken, dass die Einsparpotenziale möglicherweise wesentlich höher sind als in der Autoversicherung. Hier wäre nach anfänglichem Zögern ein Dominoeffekt auf Kundenseite nicht auszuschließen.

Immer wieder geht es bei Telematiktarifen um den Aspekt, was als gerecht oder ungerecht empfunden wird. Worin besteht die Problematik?

Wie schwierig und subjektiv unser Begriff von Gerechtigkeit ist, ist jedem klar, der schon einmal versucht hat, eine Tafel Schokolade unter drei Kindern aufzuteilen: Bekommt jeder das Gleiche? Oder hat ein Kind mehr Bedarf, zum Beispiel weil es als Einziges noch nicht zu Mittag gegessen hat? Oder war eines der Kinder zuvor besonders faul oder fleißig, sodass die Leistung des einzelnen zu berücksichtigen ist? Anders ist es auch nicht bei Versicherungstarifen: Gleiche Preise für alle oder lieber Soli­darmodelle oder besser eine risikoadäquate individuelle Tarifierung? Dass hier bei Sach- versus Krankenversicherungen andere Maßstäbe angelegt werden, zeigte sich schon bei den vorhergehenden Antworten. Die Frage nach dem gerechten Prinzip der Kostenverteilung hängt also immer auch vom Gegenstand und der jeweiligen Situation ab, und lässt sich nicht über alle Versicherungssparten einheitlich beantworten.

Hinzu kommt die Frage der sogenannten Verfahrensgerechtigkeit, also der Objektivität, Transparenz und Nachvollziehbarkeit in der Preisfindung. Und auch die Tendenz, dass wir bestehende Prinzipien meist als gerechter erachten als neue Regelungen, bei denen Einzelnen möglicherweise ein Nachteil entsteht, auch wenn es der Gemeinheit eher nutzt, spielt eine Rolle.

Und schließlich ist unser Gerechtigkeitssinn keinesfalls objektiv, sondern immer auch ein wenig egoistisch. Sie kennen das vom Fußball: Gerecht ist die Entscheidung, die uns selbst nutzt. In der Versicherung zeigt sich das am besten am Beispiel eines möglichen Raucherzuschlages in der Krankenversicherung: Während fast drei von vier Nichtrauchern einen solchen Aufpreis als gerecht ansehen, teilt nicht einmal jeder siebte Raucher diese Ansicht.

Und wo wir schon einmal bei den Zigaretten sind: Preisabschläge fürs Rauchen, die in der privaten Rentenversicherung ja durchaus denkbar wären, gehen aus Sicht der Bürger gar nicht: „Schlechtes“ Verhalten darf nicht auch noch belohnt werden, auch wenn die Statistik das möglicherweise ganz anders sieht.

Dieses Interview ist ursprünglich erschienen in AssCompact 09/2018. Das vollständige E-Paper der Ausgabe finden Sie hier.

 

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Jan Lanc am 21. September 2018 - 11:21

Natürlich erwartet der Kunde den eigenen Vorteil, das ist doch der Hauptgrund für den Telematik-Tarif