Ein Artikel von Konrad Hahn, Geschäftsführer gvp Gesellschaft für Versicherungsprüfung mbH
Die Zeiten moderater, planbarer Preissteigerungen sind vorbei. Unternehmer und Versicherer sehen sich mit Kostenentwicklungen konfrontiert, die schwer vorhersehbar und noch schwerer kalkulierbar sind. Baupreise steigen, Material fehlt, Personal ist knapp – und all das schlägt direkt auf die Schadenregulierung durch.
Gleichzeitig fehlen den Versicherern Einnahmen: In der langjährigen Niedrigzinsphase sind die Erträge aus Kapitalanlagen eingebrochen. Das hat dazu geführt, dass viele Versicherer Zurückhaltung üben – auch bei der Regulierung größerer Schäden.
Für Unternehmen bedeutet das: Die eigene Versicherungssumme muss realistisch bemessen sein. Denn Preissteigerungen führen sonst zu einer finanziellen Lücke, und das trotz Versicherungsschutz.
Die unsichtbare Gefahr: Unterversicherung
Steigende Preise wirken sich auch auf den Versicherungsschutz aus – und zwar oft unbemerkt. Denn viele Verträge beruhen auf Schätzwerten, die bei Vertragsabschluss einmalig festgelegt wurden. Werden diese nicht regelmäßig aktualisiert, droht im Schadenfall eine Unterversicherung.
Unterversicherung bedeutet: Die vereinbarte Versicherungssumme ist niedriger als der tatsächliche Wiederherstellungswert. Im Falle eines Totalschadens zahlt der Versicherer nur bis zur vereinbarten Summe. Bei Teilschäden wird sogar anteilig gekürzt.
Ein Beispiel: Wird ein Gebäude mit einem tatsächlichen Neuwert von 3 Mio. Euro nur mit 2 Mio. Euro versichert, ersetzt der Versicherer bei einem Teilschaden von 1 Mio. Euro lediglich zwei Drittel – also rund 667.000 Euro.
Gerade in Zeiten sprunghafter Preissteigerungen im Baugewerbe kann diese Lücke existenzgefährdend sein. Umso wichtiger ist deshalb, die Versicherungssumme realistisch zu ermitteln und sie regelmäßig mittels Index anzupassen.
Versicherungswert korrekt ermitteln und aktuell halten
Die Grundlage jeder Versicherung ist die richtige Höhe der Versicherungssumme. Doch genau hier passieren viele Fehler. Häufig orientieren sich Unternehmen an früheren Anschaffungskosten mit Rabatten oder dem Buchwert – also daran, was eine Anschaffung oder Wiederherstellung ursprünglich gekostet hat.
Auch selbst gebaute oder gebraucht erworbene Maschinen und selbst erstellte Gebäude müssen zum üblichen Neupreis bewertet werden. Besonders tückisch ist die fehlerhafte Zuordnung: Wird ein Lastenaufzug etwa als Gebäudeteil statt als Betriebseinrichtung deklariert, kann das im Schadenfall zu Abzügen führen. Umgekehrt zählt ein Personenaufzug zum Gebäude – eine Entscheidung, die vielen nicht bewusst ist.
Selbst wenn die Versicherungssumme zu Beginn korrekt ermittelt wurde, bleibt sie nicht automatisch aktuell. Zwar passen viele Versicherer sie jährlich per Index an, doch diese Indizes bilden meist nur allgemeine Trends ab. Wer neue Maschinen anschafft, Warenbestände erhöht oder investiert, muss dies aktiv nachmelden. Sonst wächst die Deckungslücke.
Standardindex reicht oft nicht
Viele Versicherungsverträge enthalten eine sogenannte Summenanpassungsklausel: Die Versicherungssumme wird jährlich anhand eines Preisindexes angepasst, etwa an den Baupreisindex oder Verbraucherpreisindex. Das klingt vernünftig, greift in der Praxis aber oft zu kurz.
Denn solche Indizes bilden nur den Durchschnitt ab. Preisentwicklungen in bestimmten Branchen oder Regionen laufen jedoch weit darüber hinaus. In der Landwirtschaft etwa haben sich Stallbauten und Spezialtechnik teils deutlich stärker verteuert als der allgemeine Baupreis. Gleiches gilt für Maschinen- und Anlagenbauer, bei denen Rohstoffkosten, Lieferfristen und Zulieferketten massiv unter Druck stehen.
Wer sich allein auf die Indexanpassungen des Versicherers verlässt, riskiert eine gefährliche Deckungslücke, gerade in Bereichen mit überdurchschnittlicher Preisvolatilität. Deshalb ist entscheidend, regelmäßig zu prüfen, ob der verwendete Index zur eigenen Branche und Investitionsrealität passt.
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