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2. November 2020
Trump vs. Biden: So blickt die Finanzbranche auf die US-Wahl

Trump vs. Biden: So blickt die Finanzbranche auf die US-Wahl

In dieser Woche ist es endlich soweit: am Dienstag wird der neue US-Präsident gewählt. Am Mittwochmorgen dürften die Ergebnisse feststehen. Die stark polarisierende Wahl beschäftigt auch die Finanzmärkte. AssCompact fasst kurz vor der Wahl einige Expertenstimmen aus der Finanzbranche zusammen.

Wird Joe Biden der neue US-Präsident oder kann Donald Trump erneut überraschen und sich wie vor vier Jahren doch noch den Wahlsieg schnappen? Am Mittwoch dürfte diese Frage beantwortet sein, denn in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch europäischer Zeit finden die US-Präsidentschaftswahlen statt. Selten zuvor hat eine Wahl so polarisiert wie die der Zweikampf Trump gegen Biden. Die Zukunft der größten Volkswirtschaft der Welt beschäftigt natürlich auch die Finanzmärkte.

Sieg von Joe Biden keineswegs sicher

Trotz eines Vorsprungs in den Umfragen scheint ein Sieg von Joe Biden alles andere als sicher. Das sieht auch Ron Temple, Head of US Equities und Co-Head von Multi-Asset bei Lazard AM, so. Die Einschätzung der kurzfristigen Reaktion auf jede Wahl sei jedoch ohnehin sehr schwierig und letztlich nicht so wichtig. „Was wirklich zählt, ist, wie die längerfristigen Aussichten für Unternehmen sind, Gewinne zu erzielen? Das wichtigste Szenario, das es zu berücksichtigen gilt, ist die Möglichkeit einer blauen Welle, bei der die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus, dem Senat und dem Weißen Haus gewinnen“, meint Temple.

Beispielloser Impuls möglich

Wenn die Demokraten auf Basis einer solchen blauen Welle Investitionen in Infrastruktur und Klimaziele in Höhe von 2 bis 3 Bio. Dollar frühzeitig Priorität einräumen würden, könnte das laut Temple einen fiskalischen Impuls geben, der beispiellos für die Ära nach dem Zweiten Weltkrieg wäre. „In diesem Szenario dürften die Wachstums- und Inflationserwartungen steigen und zu einer steileren US-Zinskurve führen. Wenn sich das Wachstum beschleunigt, wird sich die Erholung auf weitere Wirtschaftssektoren ausdehnen und den Anlegern eine größere Auswahl an Aktien bieten, die Erträge und Gewinne steigern können“, so Temple. Damit verbundene höhere langfristige Zinsen und höhere Diskontsätze auf künftige Cashflows, könnten zu einer größeren Rotation von Growth-Titeln, die in der Zukunft möglicherweise hohe Erträge erwirtschaften, in Aktien von Unternehmen führen, die bereits hohe Erträge erwirtschaften. Dieses Szenario sei jedoch keine beschlossene Sache.

US-Präsidentschaftswahl wirft Schatten voraus

Dr. Christoph Bruns und Ufuk Boydak von Loys Fonds glauben, dass es für Trump entscheidend darauf ankommt, die Wahlmänner in den umkämpften Staaten wie Florida, Ohio und Wisconsin auf seine Seite zu ziehen. „Fraglich ist jedoch, ob Trump zusätzliche Wähler gegenüber der Wahl von 2016 mobilisieren kann, denn seine Präsidentschaft hat die USA keineswegs auf die satten Wiesen geführt, die Trump verhießen hatte. Im Gegenteil: Im vierten Jahr seiner Amtszeit erleben die USA unter Trump die größte Wirtschaftskrise seit fast 100 Jahren“, meint das Expertenduo.

Corona-Pandemie verhindert Tumps Pläne

Zudem habe es noch nie hat es so viele zivile Tote in der Amtszeit eines US-Präsidenten gegeben wie unter Trump. „Die Corona-Pandemie hat Trumps Plan verhindert, als strahlender Wirtschaftskapitän Amerikas eine Ära ungekannter neuer Großartigkeit betreten zu haben. Stattdessen beherrschen Massenarbeitslosigkeit, Armut und Gewalt die täglichen Schlagzeilen“, so Bruns uns Boydak.

Eminente Bedeutung für den Rest der Welt

Den Loys-Experten zufolge besitzt die US-Wahl insbesondere für den Rest der Welt eine eminente Bedeutung besitzen. Unter Donald Trump wurden die Beziehungen zu den Verbündeten schließlich einigermaßen zerrüttet. Ob die Staaten Westeuropas Zeit haben, weitere vier Amtsjahre Trumps auszusitzen sei fraglich. Auch die asiatischen Bündnispartner der USA würden mit Sorge auf den anstehenden Urnengang. Niemand werde die Wahl aufmerksamer verfolgen als China. Durch Trumps unilateralen Handelskrieg mit dem Reich der Mitte ist das Verhältnis beider Rivalen auf einen Tiefpunkt gefallen. Für die Welt werd es in den kommenden Jahren sehr bedeutsam sein, wie sich diese beiden Supermächte ins Benehmen setzen.

Ausgang der Wahl irrelevant

Philipp Vorndran und Thomas Lehr von der Kölner Fondsboutique Flossbach von Storch blicken zwar gespannt auf die US-Wahl. Für langfristige Anleger sei der Wahlausgang aber irrelevant. „Weder Donald Trump noch Joe Biden werden als US-Präsidenten an den wesentlichen Kapitalmarkttreibern etwas verändern (können)“, so das Expertenduo in einem Marktkommentar. Das gelte weder für die Notenbankpolitik, die lange Zeit, womöglich sogar dauerhaft expansiv bleiben werden. Auch die fiskalpolitischen Stimuli dürften angesichts der Corona-Folgen für die US-Wirtschaft nicht verschwinden. Gleiches gelte für den Konflikt mit China. „Joe Biden mag weniger martialische Töne anschlagen, deutlich seltener twittern; aber von der „America-First“-Doktrin, die unter ihm zwar anders heißen würde, wird auch er nicht abweichen. Von daher steht die US-Wahl nicht ganz weit oben auf unserer anlagestrategischen Agenda“, prognostizieren Vorndran und Lehr.

Trumps Wahlsieg als Musterbeispiel für falsche Erwartungen

Dass langfristige Investoren sich vom kurzfristigen Blick auf Wahlen lösen sollten, habe aber nicht zuletzt die Wahl Donald Trumps vor vier Jahren gezeigt. Fast alle Marktbeobachter seien damals davon ausgegangen, dass bei einem möglichen Wahlsieg Trumps großes Ungemach drohe, möglicherweise Panik ausbrechen werde. Nichts von alledem ist geschehen. Stattdessen begann der US-Markt kräftig zu steigen. In den ersten 15 Monaten der Trump’schen Amtszeit legte der S&P 500-Index praktisch ohne Rücksetzer zu. Historisch betrachtet war die Volatilität niemals zuvor so tief wie in jener Phase. Damit trat das genaue Gegenteil des erwarteten Chaos ein.

Sorge vor Wahlergebnissen oft übertrieben

Matthew Benkendorf, CIO von Vontobel Quality Growth, rät ebenfalls zur Gelassenheit. „Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Marktreaktionen schwer vorherzusagen sind und dass Wahlergebnisse nicht derart dramatische Auswirkungen auf die Märkte haben, wie man vielleicht glauben mag. Die Sorge vor Wahlergebnissen ist daher oft übertrieben“, so Benkendorf. Wie die Märkte auf Wahlen reagieren, hänge von mehr ab als davon, wer gewählt wird. Wichtige Faktoren seien beispielsweise das Bewertungsniveau der Märkte, das wirtschaftliche Umfeld, die Konjunkturaussichten und, wohl am entscheidendsten, die Prognosen für die Unternehmensgewinne. Die grundlegende Gesundheit der Wirtschaft und das Wachstum der Unternehmensgewinne sind laut Benkendorf am Ende die Faktoren, welche die Aktienkurse beeinflussen werden.

Verschiedene Parteien, gleiche Ziele

Unabhängig davon, wer in weniger die US-Präsidentschaftswahlen gewinnen wird, geht Vontobel davon aus, dass die Beziehungen zwischen den USA und China hinsichtlich Diebstahl geistigen Eigentums, Handel und damit verbundenen ESG-Themen weiterhin im Zentrum des Interesses stehen werden. Die außenpolitische Haltung der USA gegenüber China dürfte unabhängig vom Wahlausgang recht ähnlich sein, wenngleich sich der Verhandlungsstil Joe Bidens gegenüber China von dem des derzeitigen Amtsinhabers Donald Trump unterscheiden würde. Insgesamt hätten Präsidenten oder Regierungen aber nur einen bestimmten Spielraum und können nur einige wenige Schlüsselpunkte auf ihrer Agenda angehen. Unabhängig vom Wahlausgang könnte zudem die Politisierung des Umgangs mit der Covid-19-Pandemie bei beiden Parteien zu einem Ende kommen.

Investitionen nicht von Wahlergebnis abhängig

Laut Benkendorf sollten Investoren in diesem Umfeld nach Unternehmen mit bewährten und wiederholt erfolgreichen Modellen und etablierten, marktführenden Positionen suchen. „Für Investoren ist es von entscheidender Bedeutung, sich daran zu erinnern, dass der Erfolg eines Sektors und, noch wichtiger, der Erfolg von Unternehmen in diesem Sektor, von den zugrunde liegenden Gewinnen, der Nachhaltigkeit und des zukünftigen Wachstums dieser Gewinne abhängt“, so der Vontobel-Experte.

Eine Reihe von überparteilichen Bestrebungen

Grant Bower erwartet derweil ein spannendes Rennen. „Wir gehen davon aus, dass die Wahl so lange knapp bleiben wird, bis uns die endgültigen Wahlergebnisse vorliegen“, meint der Portfoliomanager des 6,2 Mrd. Doller großen Franklin U.S. Opportunities Fund. Auch er hat die möglichen Folgen einer blauen Welle im Blick, sieht aber auch eine Reihe von überparteilichen Bestrebungen, die große Auswirkungen auf die Märkte haben könnten. Dazu zählen etwa Ausgaben für Infrastruktur. „Die Verabschiedung eines Infrastrukturgesetzes im Jahr 2021 wird für beide Parteien hohe Priorität haben“, meint Bowers. Es dürfte Gesetzesvorschläge zur Modernisierung der Flughäfen, Brücken und Straßen des Landes geben. „Unser Research deutet darauf hin, dass der Plan aller Wahrscheinlichkeit nach erhebliche Finanzmittel zur Verbesserung der technologischen Infrastruktur Amerikas umfassen dürfte“, erwartet Bowers.

Kein grundsätzlicher Wandel mit China zu erwarten

Auch die Handelsspannungen und der Schutz geistigen Eigentums stehe sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern im Fokus. Franklin Templeton geht davon aus, dass auch Biden China trotz einer gemäßigteren Haltung weiter unter Druck setzen würde, um weltweit einheitliche Bedingungen für Technologiefirmen zu schaffen –einnehmen könnte. Wir erwarten, dass sich die Handelsspannungen fortsetzen werden – ganz gleich, welche Partei schließlich die Regierung bildet.“

Langfristige Perspektive entscheidend

Drittens würden beide Kandidaten Produktion nach Hause holen wollen. „Wir auf beiden Seiten Unterstützung dafür, Produktionskapazitäten zurück in die USA zu holen. Unserer Einschätzung nach hat die COVID-19-Pandemie viele Schwächen globaler Lieferketten offengelegt, insbesondere im Gesundheitssektor, und wir gehen davon aus, dass sich weitere Sektoren wie etwa Industrie und Fertigung weiter an die Endmarktverbraucher in den USA annähern werden“, so Bowers. Ganz gleich, wer die Wahl gewinnt, sei mit überparteilicher Unterstützung für dieses Thema zu rechnen. Bowers konzentriere sich insgesamt weiterhin auf die langfristige Perspektive. In dieser überzeugen ihn vor allem die beiden Sektoren Technologie und Gesundheit, da sie langfristiges Wachstum verzeichnen dürften und speziell vereinzelten Unternehmen starke Gewinne je Aktie und freien Cashflows böten. (mh)

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