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19. August 2020
Unfallversicherung: Ist die Verabschiedung eines Kollegen abgedeckt?

Unfallversicherung: Ist die Verabschiedung eines Kollegen abgedeckt?

Ist die Teilnahme an einem sogenannten Promotionszug gesetzlich unfallversichert? Dazu musste das LSG Niedersachsen-Bremen ein Urteil fällen. Die Verunfallte war beim Schieben eines institutseigenen Wagens gestürzt und hatte sich einen Schädelbruch zugezogen – doch die Frau litt auch an Bluthochdruck.

Wenn ein Mitarbeiter verabschiedet wird, gibt es in verschiedenen Unternehmen unterschiedliche Rituale, mit denen dem Kollegen Lebwohl gesagt wird. Am Göttinger Forschungsinstitut gibt es diesbezüglich eine alte studentische Tradition. Ist eine Teilnehmerin einer derartigen Veranstaltung gesetzlich unfallversichert, falls ihr beim rituellen Promotionszug etwas passieren sollte? Das musste in einem aktuellen Fall das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entscheiden.

Doktorand soll Gänseliesel küssen

In Göttingen ist es Brauch, dass ein Doktorand, nach erfolgreicher Promotion, zur Statue der Gänseliesel (siehe Artikelbild) fährt, diese küsst und ihr Blumen überreicht. Der Weg wird stilecht im sogenannten Doktorandenwagen zurückgelegt. Dabei handelt es sich um einen Bollerwagen, der von der jeweiligen Fakultät bereitgestellt und thematisch geschmückt wird.

Frau kippt auf dem Rückweg um

Mit einem derartigen Gefährt war der zu verabschiedende Doktorand bis zur Gänseliesel gezogen worden. Auf dem Rückweg von der Statue zur Universität wurde der Doktorandenwagen von zwei Institutskolleginnen gezogen. Eine weitere Frau schob den Wagen. Doch als sie gerade die Fußgängerzone hinter sich gelassen hatten, verspürte die Frau, die den Wagen schob, ein Unwohlsein, sackte zusammen und stürzte auf den Gehsteig. Bei dem Sturz auf den Hinterkopf zog sich die Frau einen Schädeldachbruch (Kalottenfraktur) zu.

Berufsgenossenschaft lehnt Kostenübernahme ab

Die Krankenversicherung der Frau versuchte den Vorfall als Arbeitsunfall gegenüber der Berufsgenossenschaft (BG) geltend zu machen. Doch die BG lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Nach Ansicht der Genossenschaft stand der Sturz nicht im Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit. Vielmehr sei der schlecht eingestellte Blutdruck der Frau ursächlich für den Sturz gewesen. Daraufhin klagte die Frau gegen die BG vor dem Sozialgericht Hildesheim.

Sozialgericht geht von Arbeitsunfall aus

Das Sozialgericht stellte fest, dass es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Das Zurückbringen des Wagens sei unstreitig die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit gewesen. Die BG legte Berufung gegen die Entscheidung vor dem LSG Niedersachsen-Bremen ein.

Promotionszug ist keine versicherte Tätigkeit

Das LSG gab der Berufung statt und stellte fest, dass es sich bei dem Ereignis um keinen Arbeitsunfall gehandelt habe. Zum einen sei die Teilnahme am Promotionsumzug keine versicherte Tätigkeit. Zum anderen sei ein Schwindelanfall die Ursache für den Sturz gewesen. Das Schieben des Wagens habe hingegen keine ursächlich Rolle gespielt.

Festzug ist Ausdruck der persönlichen Freude

Ein feierlicher Promotionszug habe keinen betrieblichen Charakter, sondern bringe lediglich die Freude über den Erfolg eines Kollegen zum Ausdruck. Er diene zwar der Aufrechterhaltung einer studentischen Tradition und ist mit dem institutseigenen Wagen durchgeführt worden, aber das genüge nicht, um der Veranstaltung einen betrieblichen Charakter zu verleihen, so das Gericht in seiner Urteilsbegründung.

Verletzungen deuten Schwindelanfall an

Des Weiteren stützten die Verletzungen der Frau die Annahme, dass es sich bei der Sturzursache um einen Schwindelanfall gehandelt habe und nicht um ein Stolpern beim Schieben des Wagens. Schließlich sei die Frau zusammengesackt und auf den Hinterkopf gefallen. Dieser Geschehensablauf passe nach Ansicht des Gerichts nicht zum Stolpern beim Vorwärtsgehen. (tku)

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 02.07.2020, Az.: L 6 U 30/18

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