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22. April 2020
Versicherung 2030: Herausforderungen und Zukunftsaussichten für die Branche
Eye in an high tech environment

Versicherung 2030: Herausforderungen und Zukunftsaussichten für die Branche

Was kommt auf die Versicherungswirtschaft in den nächsten zehn Jahren zu? Wie kann sie die demografischen Veränderungen für sich nutzen? Wie geht es in Sachen Altersvorsorge weiter? Wer sind die zukünftigen Gewinner im Kampf um die Kunden auf Plattformen wie Amazon und Co.? Diese und weitere Fragen hat sich die Studie „Versicherung 2030“ der Strategieberatung Oliver Wyman eingehend untersucht.

Im Moment scheint die Versicherungswirtschaft von Covid-19 weitaus weniger betroffen als Industrien wie etwa der Tourismus oder die Automobilwirtschaft. Allerdings werden sich auch für die Versicherungsbranche die Rahmenbedingungen in den kommenden zehn Jahren weit über die aktuell diskutierten Themen hinaus grundlegend verändern. Die Studie „Versicherung 2030: Vorwärts bei Gegenwind“ aus dem Haus der Strategieberatung Oliver Wyman analysiert die Zukunftsperspektiven der deutschen Versicherungswirtschaft und betrachtet dabei die unterschätzte Wucht der Demografiewelle, die ungewisse Zukunft der Vorsorgesysteme und die neuen Regeln der Plattformökonomie.

Flexible Altersabsicherungen gefragt

Laut Studie werden die Auswirkungen der demografischen Veränderungen auf die Versicherungswirtschaft in Deutschland immer noch unterschätzt. So soll es bis 2030 schätzungsweise vier Millionen weniger Bestands- und potenzielle Neukunden im Alter bis zu 60 Jahren geben, dafür aber 3,4 Millionen mehr Kunden in der Altersgruppe über 60. Auf diese neuen Prioritäten und Bedarfe sei die Versicherungswirtschaft bisher nicht ausreichend vorbereitet. Die Unternehmen seien gefordert und müssten neue Konzepte für flexible Altersabsicherungen auch im fortgeschrittenen Alter und neue Instrumente zur Behauptung im Wettbewerb eines gesättigten Versicherungsmarktes entwickeln, so die Studienautoren.

Zudem werde der Wettbewerb härter und mit intelligenteren Waffen ausgetragen. Dazu gehörten mehr Dynamik bei Produkt- und Preisanpassungen, intelligente Mehrjahreskalkulation zur Nutzung preislicher Spielräume auch zum Wohl des Kunden, aber eben auch ein rigoroses Bestandsmanagement. „Im zukünftigen Konkurrenzkampf geht es um Spitzenplätze in Anbieterrankings durch bessere, passgenaue Produkte und überzeugende Verkaufsargumente am Puls der Zeit. Die Neukunden von morgen suchen Transparenz, Convenience und wirklich erlebbaren Kundenmehrwert, auch neue Leistungsangebote in der Schadenabwicklung“, kommentiert Rouget Pletziger, Principal bei Oliver Wyman und Co-Autor der Studie.

Ungewisse Zukunft des Altersvorsorgesystems

Eine weitere Bedrohung für die Branche liegt der Studie zufolge in der ungewissen Zukunft des Altersvorsorgesystems in Deutschland: Oliver Wyman geht davon aus, dass der Staat mit weiteren Reformen noch stärker auf eine effektiv geförderte betriebliche Altersversorgung setzen wird – je nach Szenario zu Lasten der Versicherungswirtschaft. Im Extrem könnte es so weit kommen, dass 70 bis 80% der gesamten Neuanlagen nicht mehr über Versicherungen, sondern über Versorgungswerke und Pensionsfonds, möglicherweise sogar über einen diskutierten „Deutschlandfonds“ erfolgen werden. Zudem schwebe das Damoklesschwert der Bürgerversicherung immer noch über der Branche. Neue Potenziale und Verbindungen zum digitalen Gesundheitsmarkt sieht die Studie in Zusatzversicherungen und der betrieblichen Krankenversicherung. Letztere werde besonders im Zusammenspiel mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement für alle Branchen ein immer wichtigeres Mittel zur Rekrutierung und Mitarbeiterbindung. Hier gebe es reichlich Gestaltungsraum für Versicherungsunternehmen.

Fremde Branchen kontrollieren Neugeschäft: Amazon lässt grüßen

Ein weiteres Studienergebnis: Die Plattformökonomie wird nach dem Handel auch die Versicherungswirtschaft dominieren. Produkt- und Preisvergleiche für Kunden und Makler sind heute schon Alltag, umfassende Produktangebote über Drittanbieter-Plattformen seien der nächste Schritt. Oliver Wyman prognostiziert, dass Plattformen bis 2030 von bisher weniger als 30 auf über 60% des Neugeschäfts im ungebundenen Vertrieb kontrollieren werden.

Hier sähen sich Versicherungsunternehmen in der Konkurrenz mit fremden Branchen, denn immer leichter ließen sich Versicherungslösungen in andere Angebote integrieren oder von Anbietern außerhalb des Versicherungssektors separat über digitale Kanäle vertreiben, so Pletziger. Die Konsequenzen: Plattform- und andere Anbieter könnten Versicherungsunternehmen zum Teil obsolet machen, sie aus einzelnen Produktfeldern drängen, auf Teilfunktionen im Hintergrund degradieren oder zur Flucht in Dienstleistungsfelder außerhalb ihres traditionellen Kerngeschäfts zwingen: „Plattformen ändern die Spielregeln im Drittvertrieb. Nur wer sich konsequent darauf einstellt, kann davon profitieren. Halbherzige Strategien der Vergangenheit werden zukünftig nicht mehr funktionieren” sagt Dietmar Kottmann, Partner bei Oliver Wyman und Co-Autor der Studie. Die Uhren der Veränderung tickten in der Gegenwart weitaus schneller als in der Vergangenheit. An diesem Punkt sieht die Studie enormes Potenzial bei den InsurTechs, die sich heute schon erfolgreich über Plattformen positionierten und Versicherern dabei helfen könnten, ebenfalls ihre Chancen zu nutzen.

Wettlauf um die Position als bester Partner auf Allfinanzplattformen

Versicherer mit starken Eigenvertrieben würden zudem zu kämpfen haben, um auch zukünftig als Risikopartner des Kunden erste Wahl zu bleiben. Kottmann begründet die Gefahr des Kundenkontaktverlustes für etablierte Versicherer damit, dass der Studie zufolge zwei Drittel der Kunden für maßgeschneiderte Finanzangebote ihre Daten offenlegen würden, aber nur in seltenen Fällen einem Versicherer. Und nahezu ebenso viele würden über ihre Hausbank Produkte anderer Finanzanbieter beziehen. Innovative Banken könnten also zum Financial Home, zur neuen digitalen Allfinanzplattform der Zukunft werden. Für die Versicherer bedeute diese Entwicklung einen Wettlauf um die Position als bester Partner und Produktanbieter auf solchen Plattformen.

Weitere Informationen zur Studie gibt es hier.

Bild: © lassedesignen – stock.adobe.com