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25. Mai 2020
Versicherungsbetrug: Fünf Trends, die Versicherer kennen müssen

Versicherungsbetrug: Fünf Trends, die Versicherer kennen müssen

Inwieweit die Corona-Pandemie das Wachstum in der Assekuranz dämpfen wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Das Ausmaß von Versicherungsbetrug wird die Krise jedoch nicht schmälern. Um auf Betrugsversuche entsprechend reagieren zu können, sollten Versicherer fünf Trends im Blick haben.

Ein Gastbeitrag von Dennis Toomey, Global Director Counter Fraud Analytics beim Technologieunternehmen BAE Systems Applied Intelligence

Die Welt ist in diesem Jahr in vielen Bereichen unvorhersehbarer geworden. Dies gilt auch für die Versicherungsbranche. Der Versicherungsmarkt sollte Vorhersagen zufolge im Jahr 2020 neue Höchststände erreichen. Dann kam die Corona-Krise. Die Versicherer sind auf breiter Front vom Einbruch wirtschaftlicher Aktivität betroffen. Das erwartete Wachstum bleibt aus und möglicherweise kommt es sogar zu einer Marktverengung, da es weniger versicherbare Risiken gibt. Versicherer müssen daher ihre Budgets, Cashflow-Erwartungen und Investitionspläne anpassen.

Nicht zurückgehen wird jedoch das Ausmaß an Versicherungsbetrug. Der Coalition Against Insurance Fraud zufolge wird Versicherungsbetrug in den Vereinigten Staaten in diesem Jahr zu Einnahmeausfällen in Höhe von 80 bis 100 Mrd. US-Dollar führen. Auch in Deutschland liegt der Schaden durch Versicherungsbetrug in beträchtlicher Höhe. Der Schaden, der durch Versicherungsbetrug verursacht wird, lag nach einer Schätzung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im Jahr 2018 bei etwa 5 Mrd. Euro, fast 10% der Versicherungsleistungen.

Versicherungsbetrug wird manchmal als opferloses Verbrechen gesehen, bei dem finanzkräftige Unternehmen um relativ geringe Beträge betrogen werden. Betrug ist jedoch kein opferloses Verbrechen. Durch Betrug finanziert sich das organisierte Verbrechen, er ist oft das zentrale Vehikel für die Geldwäsche und in manchen Fällen werden die durch Betrug erlangten Gelder sogar zur Unterstützung von Terrorismus verwendet. Für die Versicherer ist es daher von größter Bedeutung, die Hintergründe von Versicherungsbetrug zu verstehen, auf Betrugsversuche adäquat zu reagieren und den Versicherungsbetrug einzudämmen. Damit dies gelingt, sollten sich Versicherungsunternehmen mit diesen fünf allgemeinen Trends auseinandersetzen.

Trend Nummer 1: Eine neue Ära in der Betrugsermittlung

Betrug ist mittlerweile grenzüberschreitend und außerordentlich agil. Daraus folgt, dass sich die Versicherungsbranche bei der Betrugsbekämpfung nicht auf traditionelle Techniken verlassen kann. Noch vor nicht allzu langer Zeit war die Betrugsermittlung ein arbeitsintensiver Prozess. Ermittlerteams gingen vor Ort buchstäblich von Tür zu Tür, um einzelne Fälle zu untersuchen. In unserer Zeit ist dies nicht nur ineffizient – es ist schlicht unzureichend. In dem Maße, wie sich der Betrug weiterentwickelt, müssen sich auch die Ermittler weiterentwickeln. Wir sind mittlerweile in eine neue Ära der Betrugsermittlung eingetreten. Die Ermittler in Versicherungsdelikten benötigen heutzutage differenzierte Fähigkeiten und agile Arbeitsweisen, um die neuen Betrugsarten und Taktiken der Betrüger des digitalen Zeitalters zu erkennen.

Die Versicherer müssen dabei allerdings ein empfindliches Gleichgewicht wahren. Eine Ermittlung, die auf der Basis der Sammlung und Analyse personenbezogener Daten zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen soll, muss immer auch die Auswirkungen auf die Privatsphäre berücksichtigen. Die diesbezüglichen Bestimmungen sind strenger als je zuvor. Regulatorische Vorgaben wie die EU-Datenschutzgrundverordnung beeinflussen nicht nur, wie bei Versicherungsdelikten ermittelt wird, sondern auch den Umgang mit den Beweisen für die Delikte. Fragen nach der Dauer der Datenspeicherung und nach den Auswirkungen auf den Datenschutz müssen geklärt werden.

Wie können die Versicherungsunternehmen bei der Beweiserhebung vorgehen, ohne die aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu verletzten? Gefordert ist eine intelligente Art der Beweiserhebung, die zum Ermittlungserfolg und strafrechtlicher Verfolgung führt. Dies ist in einer Zeit, in der Datenschutz ernster als je zuvor genommen wird und internationale Institutionen die Rechte des Einzelnen schützen, leichter gesagt als getan. Den Ermittlern stehen heute zwar mehr Werkzeuge als in früheren Jahren zur Verfügung, aber sie haben auch höheren regulatorischen Anforderungen zu genügen und sehen sich immer ausgefeilteren Betrugstechniken ausgesetzt.

Trend Nummer 2: Die wachsende Bedeutung von Social Media

Ein weiterer wichtiger Trend ist die wachsende Bedeutung von Social Media. Soziale Medien sind bei Ermittlungen eine primäre Informationsquelle. Viele Unternehmen durchforsten Social Media bereits nach Informationen, um verborgene Beziehungen und Verbindungen aufzudecken. Für viele Versicherer ist dies bei der Betrugsbekämpfung von entscheidender Bedeutung. Sie gewinnen auf diese Weise ein tieferes Verständnis und erhöhen durch Prozessautomatisierung die Effizienz der Ermittlungen.

Die führenden Versicherer haben die Bedeutung der sozialen Medien erkannt und beschäftigen ganze Teams von Social Media-Analysten. Das Fachwissen von Experten wird zwar immer die entscheidende Rolle spielen, aber Automatisierung und künstlicher Intelligenz werden eine immer größere Bedeutung erlangen. Es gibt eine ganze Reihe von Werkzeugen, die eine Automatisierung von Social Media-Analysen erlauben. Die Herausforderung liegt nicht in der Verfügbarkeit solcher Werkzeuge, sondern darin, ob diese mit den bestehenden IT-Plattformen kompatibel sind und ob diese stabil auf der Plattform laufen.

Trend Nummer 3: Silos aufbrechen

Bis vor Kurzem war die Vorgehensweise bei Versicherungsbetrug noch recht einfach. Betrüger haben etwa versucht, mittels der missbräuchlichen Nutzung personenbezogener Daten, sich einen unrechtmäßigen wirtschaftlichen Vorteil. Das war eine einigermaßen vorhersehbare Vorgehensweise. Heute gehen die Kriminellen subtiler vor. Sie warten zum Beispiel ab, bis eine Überwachung abgeschlossen ist und führen ihren Angriff erst zu einem späteren Zeitpunkt darauf vertrauend aus, dass ein vor längerer Zeit erfolgter Identitätsdiebstahl mit geringerer Wahrscheinlichkeit entdeckt wird. Oder sie könnten Kryptowährungen nutzen, um Zahlungen und Transfers zu verschleiern. Versicherer müssen sich des Risikos bewusst sein, das mit bestimmten Transaktionen verbunden ist.

Versicherer sollten sich insbesondere darüber im Klaren sein, dass sogenannte Silos Betrug erleichtern, und zwar unabhängig davon, ob diese sich innerhalb von Abteilungen befinden oder ob sich die verschiedenen Unternehmensbereiche, etwa die für Sicherheit und für Risikokontrolle zuständigen Abteilungen, voneinander in Silos abschotten. Aus diesem Grund nehmen Versicherungsunternehmen mittlerweile eine 360-Grad-Sicht auf Betrug ein und brechen die Silos auf, die zuvor dazu geführt haben, dass verdächtige Aktivitäten nicht erkannt wurden. Eine logische Folge ist, dass Versicherer ihre Daten auf eine andere Weise als bislang verwalten müssen.

Trend Nummer 4: Die entscheidende Rolle von Konsortien

Der Wert, den Konsortien, also Vereinigungen von rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen Unternehmen, der Versicherungsbranche bieten, nimmt stetig zu. Konsortien erlauben einen Blick aus der Vogelperspektive und bringen verdächtige Aktivitäten über mehrere Unternehmen und Branchen hinweg ans Licht. Der Reifegrad von Versicherungskonsortien ist aktuell je nach Region und Land noch recht unterschiedlich. In Kanada hat sich zum Beispiel die Non-Profit-Organisation “Canadian National Insurance Crime Services” (CANATICS), einen guten Namen bei der Analyse unternehmensübergreifender Aktivitäten und der Bereitstellung wertvoller Überwachungsinformationen gemacht. Die BAE Systems Applied Intelligence arbeitet derzeit mit drei solcher Konsortien zusammen und bringen Daten aus verschiedenen Finanzdienstleistungssektoren zusammen, um ein umfassendes Bild von Finanzbetrug und Geldwäsche zu erstellen.

Trend Nummer 5: Mit der Zahl der Produkte steigt das Potenzial für Versicherungsbetrug

Da immer mehr Versicherungsprodukte eingeführt werden, steigen auch die Chancen für Versicherungsbetrüger. Dabei rücken nicht nur neue Versicherungsprodukte ins Visier der Betrüger, auch bei den bekannten Versicherungsarten wird weiterhin Betrug begangen. So wird nach wie vor versucht, bei Lebensversicherungen durch falsche Angaben bei der Antragstellung hohe Versicherungsprämien zu vermieden. Beim Antrag auf Krankenversicherungen werden bestehende Erkrankungen verschwiegen. Neue Versicherungsprodukte bieten neue Möglichkeiten und werden mit neuen Methoden attackiert. Die größeren und etablierten Versicherer, die in diese neuen Sparten einsteigen, haben häufig die Ressourcen, um neue Betrugsmethoden abzuwehren. Kleinere Versicherer könne dies oft nicht – und genau sie sind häufig das Ziel von Betrügern.

Den Betrügern immer einen Schritt voraus sein

Der Versicherungsbetrug ist ständigem Wandel unterworfen. Versicherer brauchen in dieser Situation Partner, die in der Lage ist, neue Trends und die Methoden der Betrüger zu antizipieren. Dies erfordert sowohl das Fachwissen von Experten als auch die Intelligenz von Maschinen. Beides zusammen hilft Versicherern, den Betrügern immer einen Schritt voraus zu sein.

Über den Autor

Dennis Toomey ist seit Januar 2019 Global Director Counter Fraud Analytics bei dem Technologieunternehmen BAE Systems Applied Intelligence. Zuvor war er in führenden Positionen unter anderem bei Accenture, IBM, SAS und LexisNexis tätig und hat einen MBA von der Franklin Pierce University.