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6. Juni 2022
Versicherungswirtschaft: Beruf für unterschiedlichste Menschen
Junge gruppe team mit menschen verschiedenen alters business in casual sportlicher kleidung isoliert vor weißem hintergrund

Versicherungswirtschaft: Beruf für unterschiedlichste Menschen

Beim BWV dreht sich alles um Bildungsangebote für die deutsche Versicherungsbranche. Mit Gütekriterien für Prüfungen schafft der Verband bundesweite Vergleichbarkeit und Objektivität. Über ein neues Berufsbild und darüber, wie es um den Nachwuchs in der Branche steht, spricht Dr. Katharina Höhn im Interview.

Interview mit Dr. Katharina Höhn, Hauptgeschäftsführerin des Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) e.V.
Ab August gibt es ein neues Berufsbild im Bereich Versicherungen und Finanzanlagen. Warum wurde dies nötig?

Die bisherige Ausbildungsordnung ist fast zehn Jahre alt. Im letzten Jahrzehnt hat sich in der Branche viel verändert: Geschäftsprozesse wurden digital, die Bearbeitung von Kundenanfragen stark automatisiert und die verbleibenden Tätigkeiten für die Mitarbeitenden komplexer. Die Produktentwicklung hat die Kundinnen und Kunden an den Anfang gestellt und versucht, mit Arbeitsmethoden wie Design Thinking deren Lebenswelten zu erfassen. InsurTechs wurden in die Prozesse einbezogen, und schließlich hat die Pandemie das „Neue Normal“ in der Arbeitswelt eingeläutet, bei der die Mitarbeitenden mehr Selbstverantwortung und die Leitenden ein neues Führungsverständnis übernehmen.

Mit dem neuen Berufsbild Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzanlagen bekommen junge Leute das Rüstzeug für all diese Herausforderungen. Wie man der Grafik entnehmen kann, erhalten sie weiterhin breites versicherungsfachliches Know-how. Dann können sie sich mit Wahlqualifikationen spezialisieren.

Welche Ausbildung ersetzt es?

Sie ersetzt die Ausbildung Kaufmann für Versicherungen und Finanzen, zuletzt teilnovelliert 2014.

In welchen Unternehmen wird die Ausbildung zum Tragen kommen? Auch in Maklerhäusern?

Das Berufsbild wird in allen Betrieben unserer Branche ausgebildet, um Nachwuchs mit Versicherungs-Know-how zu gewinnen: in Hauptverwaltungen, Geschäftsstellen, Agenturen und Maklerhäusern. Auch Sparkassen, Bankfilialen oder Versicherungsabteilungen der Industrie bilden in dem Beruf aus. Mit den sechsmonatigen Wahlqualifikationen können Maklerinnen und Makler ihren Schwerpunkt auf ihr eigenes Geschäfts­modell setzen. Das kann zum Beispiel das Gewerbekundengeschäft im Baustein „Risiken für Nicht-Privatkunden“ oder das spezifische Maklermodell im Baustein „Betriebswirtschaftliches Arbeiten im Vertrieb“ sein.

Können Sie sagen, welche Qualifikationen am häufigsten gewählt werden?

Versicherungswirtschaft: Beruf für unterschiedlichste Menschen

Bei den fünf Wahlqualifikationen eignen sich manche mehr für Innendiensttätigkeiten, egal ob in Versicherungsunternehmen oder Maklerunternehmen, andere mehr für vertriebliche Tätigkeiten.

Da ein großer Teil der Auszubildenden bei Versicherern beschäftigt ist, gehen wir davon aus, dass die hier benötigten Wahlqualifikationen am häufigsten gewählt werden.

Nicht nur, aber insbesondere Maklerbetriebe haben mit Nachwuchssorgen zu kämpfen. Wie beurteilen Sie die Situation?

Die Nachwuchssorgen in der Versicherungswirtschaft gibt es, sind aber im Vergleich zu anderen Branchen wie Handwerk, Handel oder Gastronomie bei Weitem noch nicht so gravierend. Unsere Ausbildungserhebung – bei der sich allerdings mehrheitlich Versicherer beteiligen – zeigt, dass 11% der angebotenen Ausbildungsplätze 2020 nicht besetzt werden konnten. Die Befragten geben an, dass mangelnde Eignung der häufigste Grund für dieNicht-Besetzung und die Situation regional äußerst unterschiedlich ist.

Wir wünschen uns sehr, dass Maklerunternehmen ihren Nachwuchs verstärkt über die klassische Berufsausbildung gewinnen und die Absolventinnen und Absolventen anschließend über eine hochwertige Fortbildung, zum Beispiel zum Fachwirt für Versicherungen und Finanzen, ein sehr hohes Qualifikationsniveau erreichen. Das neue Berufsbild mit seinen Spezialisierungsmöglichkeiten eignet sich hervorragend für eine Ausbildung bei Maklern und im Vertrieb. Die Versicherungswirtschaft hat verstanden, sich um die knappen Talente auch in ihren Social-Media-Kanälen zu bemühen. Wir werben übrigens mit der Kampagne WERDE#INSURANCER (werde-insurancer.de) um Talente.

Wer wird denn eigentlich gesucht? Welche Voraussetzungen sollten junge Menschen mitbringen, die sich für eine Karriere in der Finanz- und Versicherungsbranche entscheiden?

Das Gute an der Versicherungswirtschaft ist: Bei uns können die unterschiedlichsten Menschen ihre berufliche Heimat finden. Wichtig sind persönliche Eigenschaften: Eigeninitiative, Eigenverantwortung, schnelle Auffassungsgabe, Offenheit und Experimentierfreudigkeit. Wer ein Teamplayer ist, Interesse an Finanzen und keine Scheu vor Zahlen hat und sich dazu noch gut ausdrücken kann, ist ideal geeignet. Aufgrund des sehr anspruchsvollen Tätigkeitsfelds steigen überwiegend Absolventinnen und Absolventen mit Hochschulreife in eine Ausbildung bei uns ein.

Ist der Verdienst ein Grund für den Start?

Die hohe Ausbildungsvergütung und die weiteren Arbeits­bedingungen sind sicher ein Plus für die Branche: Mit 1.120 Euro ab Ausbildungsstart nach dem AGV-Tarifvertrag, gültig ab 1. September 2022, liegt die Vergütung beispielsweise über der von Banken. Die Ausbildungsvergütung im Versicherungsvermittlergewerbe – BVK-Tarifvertrag – hat ein niedrigeres Grundniveau von 693 Euro, hier können noch leistungsorientierte Bestandteile dazukommen. Krisensichere Arbeitsplätze, eine – auch in der Pandemie – hochwertige Ausbildung, gute Übernahmequoten und die hohe Bedeutung von Aufstiegsfortbildungen machen die Branche für Berufsstarterinnen und -starter attraktiv.

Können auch vermehrt junge Frauen für Berufe in der Versicherungswirtschaft gewonnen werden?

Wir sehen – Stand 2020 – 43,3% weibliche Auszubildende in unserer Branche. Der Anteil von Frauen und Männern in der Versicherungswirtschaft insgesamt liegt in den letzten zehn Jahren stabil bei etwa 50:50 – 47,6% Frauen. Im Vertrieb sieht das anders aus: Mit 23,6% im Jahr 2020 sind im Außendienst deutlich weniger Frauen beschäftigt. Es wäre absolut wünschenswert, viel mehr junge Frauen für eine vertriebliche Tätigkeit zu gewinnen. (Quelle: agv-vers.de/projekte/women-in-leadership-culture/kennzahlen/frauenanteile-in-den-unternehmen.html)

Bei Versicherern und in Maklerhäusern werden auch andere Kompetenzen benötigt. Zum Beispiel Büromanagement oder auch Mathematiker und IT-Spezialisten. Wie sieht es denn hier mit Fachkräften aus?

IT-Spezialistinnen und -Spezialisten sind auch in der Versicherungswirtschaft dringend gesucht. Die IT ist für das Geschäft der Versicherer essenziell – nicht erst seit der Corona-Krise, in der noch mobiles Arbeiten mit Web-Konferenzen und Co. als IT-Herausforderungen hinzukamen. Zukünftig kann das neue Ausbildungs­berufsbild Kaufleute für Versicherungen und Finanzanlagen genutzt werden, um – von der versicherungsfachlichen Seite kommend – IT-affine Auszubildende für eine Tätigkeit an der Schnittstelle zur IT selbst auszubilden. Hierfür gibt es die neue Wahlqualifikationseinheit „Digitalisierungsprozesse initiieren und begleiten“. Auch der Bedarf an Mathematikerinnen und Mathematikern ist hoch. In der Versicherungswirtschaft macht diese Gruppe 13% unter den Akademikerinnen und Akademikern aus. Die Stellen im Bereich des Büromanagements haben sich in den letzten zehn Jahren rückläufig entwickelt, von 3,6% (2010) auf 1,9% (2020). Um den Bedarf an Akademiker­innen und Akademikern zu decken, kooperiert ein Großteil der Versicherungsunternehmen direkt mit Hochschulen, stiftet zum Beispiel Lehrstühle, entsendet Lehrbeauftragte oder positioniert sich in Veranstaltungen. Was das Büromanagement angeht, bildet die Branche auch in diesem Berufsfeld aus, nicht nur im Beruf Kaufleute für Versicherungen und Finanzanlagen. Hier hat die Branche sicher gute Chancen, mit attraktiven Arbeits­bedingungen geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für sich zu gewinnen.

Für im Vertrieb Tätige gibt es Regeln für die Weiterbildung. Wie sieht es denn insgesamt mit der Weiterbildung in der Branche aus?

Das Weiterbildungsengagement unserer Branche ist im Vergleich zu anderen Branchen vorbildlich. Um die Weiterbildung von Versicherungsvermittlerinnen und -vermittlern hatte sich die Branche schon vor der IDD gekümmert, ab 2014 mit der freiwilligen Brancheninitiative „gut beraten“. Ab 2018 wurden die gesetzlichen Vorgaben – 15 Stunden Weiterbildung pro Jahr – dann in die Initiative integriert. Die 149.000 Kontoinhaberinnen und -inhaber haben im Durchschnitt 18 Stunden anrechenbarer Weiterbildung auf ihren Konten dokumentiert. 21.726 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben 30 Stunden auf ihren Konten nachgewiesen – ein Anspruch, den wir weiter verfolgen wollen.

Die Weiterbildungsbeteiligung der Innendienstmitarbeitenden ist traditionell hoch. Unsere letzte Sondererhebung mit dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gemeinsam mit dem AGV zeigte 2017 das überdurchschnittliche Engagement der Versicherungswirtschaft: Unsere letzte Weiterbildungsumfrage (2020) belegt einen erneuten Anstieg um drei Prozentpunkte auf 76% von Mitarbeitenden, die mindestens eine Maßnahme besucht haben, mit durchschnittlich 2,1 Tagen Weiterbildung im Jahr.

Für erfreulich halten wir die hohe Bedeutung der Fachwirt-Fortbildung. Letztes Jahr haben wir das 50-jährige Bestehen unseres „Meisters der Branche“ gefeiert und wollen nach der Neuordnung des Ausbildungsberufs diese staatlich geregelte und BAföG-geförderte Fortbildung ebenfalls neu ordnen. Denn wir benötigen insbesondere im Vertrieb ein sehr hohes Qualifikationsniveau. Diese Fortbildung schafft ein solides Fundament für alle Funktionen, es gibt auch den Schwerpunkt Vertriebsmanagement. Daran anknüpfend steht dann ein immenses Spektrum an spezialisierenden Weiterbildungen zur Verfügung.

Die Sachkundeprüfung und Weiterbildung für Vermittler wird häufig kritisiert: nicht tief genug, zu produktorientiert. Wie stehen Sie dazu?

Die Sachkundeprüfung ist eine Mindestqualifikation. Sie sichert ein Niveau, das nicht unterschritten werden darf. Die Branche hat diese Hürde für den Einstieg in den Vertrieb vor 30 Jahren selbst eingeführt. Dabei ist das Niveau für eine Mindestqualifikation als hoch anzusehen.

Als der Gesetzgeber die EU-Richtlinie IMD in deutsches Recht umsetzen musste, gab es aus der Politik zunächst Bedenken gegen eine so umfangreiche Prüfung – schriftlich und praktisch über zwei Tage. Schließlich besteht ein Recht auf freie Berufsausübung, das durch Zulassungsregeln eingeschränkt werden kann, wenn es um ein besonderes Interesse der Allgemeinheit geht. Die Mindestqualifikation dient einem Mindestmaß an Schutz der Kundinnen und Kunden vor Falschberatung; sie ist keine ausreichende Qualifikation für Menschen, die sich als professionelle Vermittlerinnen und Vermittler einen Berufsweg im Versicherungsvertrieb vorstellen. So ist die Sachkundeprüfung nicht angelegt.

Daher schließt sich eine Verpflichtung zur Weiterbildung an, und dazu steht eine enorme Bandbreite an Angeboten zur Verfügung.

Gibt es praktische Tipps, wie Aus- und Weiterbildung in großen und kleineren Betrieben organisiert und forciert werden kann?

Junge Menschen auszubilden, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die sich lohnt, um den eigenen Nachwuchs zu schaffen. Große Betriebe haben eigenes Ausbildungspersonal. In den größeren Unternehmen kümmern sich die Ausbilderinnen und Ausbilder mit Hingabe um die Azubis, die Bestehensquote bei den IHK-Prüfungen liegt bei starken 95%. In kleineren Betrieben ist es wichtig, dass mindestens eine Person sich fachlich und persönlich gut um die Auszubildenden kümmert. Die Teilnahme an der Berufsschule und an überbetrieblichen Bildungsangeboten, zum Beispiel bei den regionalen BWV, sollte sicher­gestellt sein.

Ähnliches kann für die Weiterbildung gesagt werden: Hauptamtliche Personalentwicklerinnen und -entwickler leisten hervorragende Arbeit in großen Unternehmen. Auch kleinere Betriebe können ihren Mitarbeitenden gute Weiterbildungsmöglichkeiten bieten, indem sie Fortbildungen fördern, zum Beispiel durch Freistellung oder Kostenbeteiligungen. Ergänzend steht eine große Zahl an Online-Bildungsangeboten zur Auswahl. Hier können sich Mitarbeitende in kleinen Sequenzen orts- und zeitunabhängig genau die Inputs holen, die sie für ihre Tätigkeit benötigen. Der Trend geht zu mehr Eigenverantwortung bei der Arbeit und auch bei der Weiterbildung. Dies können auch kleinere Betriebe sehr gut nutzen.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 05/2022, s. 104 ff., und in unserem ePaper.

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Bild: © juniart – stock.adobe.com

Grafik: Neues Berufsbild: Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzanlagen, Strukturmodell zur neuen Ausbildungsordnung, Quelle: Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) e.V.

 
Ein Interview mit
Dr. Katharina Höhn