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15. November 2019
Vertrieb geht heute anders: Das Ende des Verkaufens

Vertrieb geht heute anders: Das Ende des Verkaufens

Es gibt fast kein Geheimwissen mehr. Der Kunde ist vielfach selbst zum Experten geworden. Die Veränderungen geschehen immer schneller und den Unternehmen bleibt immer weniger Ruhe zum Nachdenken und Zeit für die Umsetzung. Das erfordert neues Denken und Handeln im Vertrieb – denn alles, was heute bereits anders ist, wird morgen schon wieder „anders anders“ sein, sagt Andreas Buhr, Vorstand der Buhr & Team Akademie für Führung und Vertrieb AG.

Als das Buch „Vertrieb geht heute anders“ im Jahr 2011 erstmals erschien, war das kommerzielle Internet zwar schon über 20 Jahre alt und hatte den Vertrieb bereits deutlich verändert. Doch vieles von dem, was uns heute beschäftigt – sei es das Internet of Things (IoT), der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) auf breiter Front oder die Blockchain-Technologie – gehörte da noch zur Zukunftsmusik. Aber bereits damals haben wir uns Gedanken darüber gemacht, „was“ künftig anders geht und „wie“ es wohl aussehen wird.

Im Laufe der Zeit ist dieses Buch, das mittlerweile als Standardlektüre für Studenten in den Marketingbereichen einiger Unis empfohlen wird, in die achte Auflage gegangen und hat sich dabei auch inhaltlich immer weiterentwickelt, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Doch jetzt war es an der Zeit für eine gründliche Generalüberholung. Denn die digitale Revolution stellt das „anders“ noch einmal vom Kopf auf die Füße: Digitale Vermarktungs- und Kommunikationswege, Vernetzung und Mobilität, neue Global Player und Marktaufteilungen, veränderte Kundenwünsche und -profile, moderne Customer-Relationship-Management- und Payment-Systeme, Präsentations- und Procurement-Lösungen, Datenschutz- und legislative Grundlagen, Bots und Robots, KI und Deep Learning – alles, was „heute“ schon „anders“ ist, wird morgen schon wieder „anders anders“ sein.

Statt B2C oder B2B heißt es künftig B2P und H2H

Und auch der Verkäufer wird hier nicht überflüssig. Im Gegenteil: Je umfassender die Digitalisierung unser Leben und Erleben bestimmt, je stärker digital vermittelt die Kommunikation zwischen uns und auch die meisten Kaufprozesse sind, umso wichtiger werden im Vertrieb wieder die rein menschlichen Kontakte. Nach den bekannten Kürzeln B2C und B2B kommt deshalb ein neuer Begriff ins Spiel: H2H – Human to Human. Die Bereiche wachsen immer mehr zusammen. Jeder kann mit jedem von überall und direkt Kontakt aufnehmen.

Die Unterscheidung Business to Business (Vertrieb an Unternehmen) oder Business to Consumer (Verkauf an Privatpersonen) verschwindet zusehends. Denn auch der Geschäftskunde, der Einkäufer im Unternehmen, hat mindestens in seinem digital geprägten Leben als Privatmensch alle Hinweise, Tools und Optionen erlernt, um genau denselben „digitalen Komfort“, den er als smarter Kunde gewohnt ist, auch in seiner geschäftlichen Einkäuferrolle zu erwarten. Darum wird es künftig immer weniger „B2B versus B2C“ heißen, sondern B2P – Business to Purchaser.

Unternehmen brauchen eine schlüssige Strategie, wie sie online und über die passenden Social-Media-Plattformen den digitalen Kunden „B2P“ erreichen und sich H2H als vertrauenswürdiger Verkäufer oder Vertriebler darstellen. Denn ein Geschäft allein – ob stationär oder online – verkauft nichts, hat keine Emotionen, interagiert nicht. Es sind Menschen, die auf beiden Seiten des Netzwerks, des Bildschirms oder des Verkaufsgesprächs stehen.

Die Plattformökonomie löst lineare Geschäftsmodelle ab

Ein Wesensmerkmal digitaler Geschäftsmodelle ist die Plattformökonomie. Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden. Was zu einer Plattform werden kann, wird zu einer Plattform werden. Die Beispiele dafür sind allseits bekannt: Google, Amazon, Facebook, Apple, aber auch Uber, AirBnB oder Salesforce haben sich innerhalb kürzester Zeit zu globalen Playern entwickelt. Die wichtigste Eigenschaft einer digitalen Plattform besteht darin, den Nutzen für den einzelnen Kunden umso mehr zu steigern, je mehr Menschen sich ihr anschließen. Das bedeutet, jeder einzelne Nutzer der Plattform wird in ihr gleichzeitig zum Mehrwertobjekt für die anderen Mitglieder. Und je größer so ein Netz, desto wertvoller ist es und desto schwieriger wird es für andere Anbieter, in diesen Markt einzutreten.

In seiner aktuellen Studie „Gamechanger Plattformökonomie“ stellt das Kölner Institut für Handelsforschung (IfH) fest: „Plattformen sind nicht nur moderner, sondern auch praktischer und flexibler in der Nutzung als die korrespondierenden linearen Geschäftsmodelle.“ Ihr Stellenwert werde in allen Bereichen durch eine beachtliche Preisbereitschaft der Verbraucher für die grundlegende Nutzung unterstrichen. So ergab eine Befragung des IfH, dass beispielsweise Amazon-Kunden im Durchschnitt zwischen 7 und 11 Euro „Eintrittsgeld“ pro Monat zahlen würden, um grundsätzlich Produkte bei dem Online-Händler bestellen zu können – sogar ohne dafür weitere Premiumleistungen in Anspruch nehmen zu können.

Interessanterweise hinken in der aktuellen digitalen Entwicklung derzeit Branchen hinterher, von denen man es nicht erwartet hätte, wie etwa Beratung und Services, speziell die Finanzdienstleistungen. Gerade hier tobt jedoch der Kampf der Etablierten gegen die schnellen und aggressiven FinTechs und SecureTechs erbittert. Eine Flut an digitalen Finanz- und Versicherungsplattformen und Apps schwappt über die bisherigen marktbeherrschenden Player hinweg, die sich bemühen, mit Ausgründungen und Zukäufen den Anschluss zu halten und mit ihrem Geld neue Ideen zu übernehmen und größer in den Markt zu bringen. Dabei geht es jedoch ihren Geschäftsmodellen zum Teil massiv an den Kragen.

Das Kundenerlebnis wird wichtiger als die Produkt­auswahl und der Preis

Und hier spielt das Thema Customer Experience eine entscheidende Rolle. Denn die Zufriedenheit der Käufer hängt heute ebenso von der Qualität des Kundenerlebnisses ab wie von der Qualität des erworbenen Produkts oder der Dienstleistung. Laut einer aktuellen Studie des CRM-Anbieters Salesforce zum vernetzten Kunden gaben 84% der Umfrageteilnehmer an, dass die Customer Experience den gleichen Stellenwert hat wie die Produktauswahl – und 66% sind auch bereit, für ein erstklassiges Erlebnis mehr zu bezahlen. Dessen drei Grundlagen sind laut der Salesforce-Studie Personalisierung, Echtzeitkommunikation und Vernetzung.

Aus loyalen Kunden begeisterte Fans machen, das ist das Ziel

Das Kundenerlebnis stellt die Gesamtheit aller Eindrücke dar, die ein Interessent entlang seiner „Customer Journey“ mit einem Unternehmen oder Angebot sammelt – vom ersten Kontakt über das Verkaufsgespräch bis zum Abschluss und dem After-Sales-Service. Die Customer Experience so positiv wie möglich zu gestalten, zielt weniger auf den direkten Kaufabschluss ab, sondern vor allem auf die Herstellung von Kundenzufriedenheit, die positive Bekanntheit einer Marke und eine kundenseitige Weitergabe (Rezensionen, Testimonials, Empfehlungen) von hervorragenden Erfahrungen mit Unternehmen, Produkten oder Dienstleistungen sowie dem Service. Damit zielt das Customer-Experience-Management auf den Aufbau einer emotionalen Bindung des Kunden zum Unternehmen oder Produkt.

Digitalisierung bedeutet für den Vertrieb, dass ein kompletter Wechsel im Mindset notwendig wird. Vertrieb geht heute anders! Aus dem klassischen Verkaufen wird ein „Kaufen lassen!“

Über den Autor

Andreas Buhr, Vorstand der Buhr & Team Akademie für Führung und Vertrieb AG, ist Unternehmer, ausgezeichneter Redner und Autor des Buches „Vertrieb geht heute anders“, das inzwischen in der achten Auflage erschienen ist.

Bild: © Antonioguillem – stock.adobe.com

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 11/2019, Seite 106 f. und in unserem ePaper.