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12. Oktober 2022
Wann ist PKV-Beitragserhöhung gemäß Musterbedingungen rechtens?
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Wann ist PKV-Beitragserhöhung gemäß Musterbedingungen rechtens?

Viele private Krankenversicherer erhöhen ihre Beiträge regelmäßig. Laut Gesetz setzt eine Anpassung aber eine dauerhafte Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage voraus. Allerdings erlaubt eine Vorschrift Spielräume. Doch ist diese Regelung rechtens?

Ein Artikel von Birte Raguse, Fachanwältin für Versicherungsrecht bei KOMNING Rechtsanwälte

Das Thema „Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung“ ist seit Jahren omnipräsent. Uneinigkeit bestand bislang unter anderem darüber, ob § 8b Abs. 2 der Musterbedingungen 2009 für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK 2009) zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 S. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) abweicht. Nach dieser Klausel kann von einer Beitragsanpassung abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistung als vorübergehend anzusehen ist. Diese und die ebenfalls streitige Frage, ob eine Unwirksamkeit auch eine solche des § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 zur Folge hätte, hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 22.06.2022 zum Az. IV ZR 253/20 entschieden.

Voraussetzung jeder wirksamen Beitragsanpassung in der PKV ist die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung. Erst hierdurch wird die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Gang gesetzt. Bereits in seiner Entscheidung vom 16.12.2020 hatte der BGH dazu ausgeführt, was unter den nach § 203 Abs. 5 VVG mitzuteilenden maßgeblichen Gründen zu verstehen ist. Erforderlich ist die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie, mithin die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung veranlasst hat.

Viele Versicherer haben in ihren Tarifbedingungen von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht, hinsichtlich der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ den gesetzlichen Schwellenwert von 10% in den allgemeinen Versicherungsbedingungen abzusenken, mit der Folge, dass eine Prämienanpassung bereits bei einer Überschreitung eines Schwellenwertes von 5% erfolgen kann. Grundlage ist eine entsprechende Regelung nach § 8b MB/KK .

BGH: Die Regelung ist unwirksam

Der IV. Zivilsenat des BGH führt in seiner Entscheidung nun aus, dass § 8b Abs. 2 MB/KK unwirksam ist, da der Versicherer bei einer nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung von der Prämienanpassung absehen „kann“. Sie sei jedoch nicht ausgeschlossen. Dies stünde im Widerspruch zu der gesetzlichen Vorschrift, wonach eine Prämienanpassung zwingend voraussetzt, dass die Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage eben nicht nur als vorübergehend anzusehen ist.

Der BGH legt dar, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Regelung so verstehen würde, dass auch bei nur vorübergehender Veränderung eine Prämienanpassung möglich sei. Das sei aber nicht der Fall, da der Versicherer eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen treffen müsse und eine Prämienanpassung ausgeschlossen sei, wenn sachliche Gründe wie das Fehlen einer dauerhaften Veränderung dagegenstünden. Nach Auffassung des BGH stellt dies einen unzulässigen Nachteil für Versicherungsnehmer dar. Da die Klausel somit unwirksam ist, tritt an deren Stelle die gesetzliche Vorschrift, wonach bei einer nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage eine Neufestsetzung ausgeschlossen ist. Über die Unwirksamkeit des § 8b Abs. 2 MB/KK bestand zuvor überwiegend Einigkeit.

Welche Rechtsfolgen hat diese Unwirksamkeit?

Die für viele anhängige Verfahren entscheidende Frage war bislang jedoch, ob die Unwirksamkeit des § 8b Abs. 2 MB/KK auch die Unwirksamkeit des § 8b Abs.1 MB/KK zur Folge hätte und auch Regelungen in den Tarifbedingungen, die auf § 8b Abs. 1 S. 2 MB/KK Bezug nehmen, nicht mehr anwendbar seien. Diese Frage hat der BGH nunmehr dahingehend entschieden, dass § 8b Abs. 1 MB/KK nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von den gesetzlichen Vorschriften über die Prämienanpassung abweicht. Vielmehr mache der Versicherer mit der Regelung des § 8b Abs. 1 MB/KK in Verbindung mit den Tarifbedingungen lediglich von der von Gesetzes wegen eröffneten Möglichkeit Gebrauch, den Schwellenwert für die Prüfung einer Beitragsanpassung von 10% auf 5% abzusenken. Etwas anderes ergebe sich bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs auch nicht für den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer.

Der BGH erläutert unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung weiter, warum die Regelung in § 8b Abs. 1 MB/KK auch durch die Streichung des Abs. 2 nicht beeinträchtigt wird: Inhaltlich voneinander trennbare, jeweils aus sich heraus verständliche Regelungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen können auch dann Gegenstand einer besonderen Wirksamkeitsprüfung sein, wenn sie in einem äußeren sprachlichen Zusammenhang mit einer anderen – unwirksamen – Regelung stehen. Entscheidend ist, ob nach dem sogenannten „Blue-Pencil-Test“ bei einer inhaltlichen Trennung einer Klausel diese in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil zerlegt werden könne. Kann also der unwirksame Teil der Klausel gestrichen werden, ohne dass der Sinn des anderen Teils darunter leidet, ist eine inhaltliche Trennbarkeit einer Klausel gegeben, und zwar auch dann, wenn beide Bestimmungen den gleichen Regelungsgehalt betreffen.

Diese Voraussetzungen liegen nach der Entscheidung des BGH hier vor, da die Regelung über die Voraussetzungen einer Prämienanpassung inklusive des Erfordernisses einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlagen auch dann Bestand habe, wenn die Regelung zu den Folgen einer nur vorübergehenden Veränderung in Abs. 2 unwirksam sei. Der verbleibende Sinn der Regelung sei weiterhin aus sich heraus verständlich und würde nicht beeinträchtigt.

Schlussfolgerung des BGH-Urteils

Im Hinblick auf die ebenfalls streitige Frage des Verjährungsbeginns stellt der IV. Zivilsenat klar, dass mit der unwirksamen Prämienerhöhung und der darauf erfolgten monatlichen Teilzahlung gerade kein einheitlicher Bereicherungsanspruch in Höhe aller in Zukunft darauf geleisteter Prämien entstünde. Vielmehr entstünden Rückzahlungsansprüche aufgrund unwirksamer Beitragserhöhungen erst mit der jeweiligen Zahlung der Erhöhungsbeiträge. Damit entsteht bei jeder Zahlung ein sofort fälliger und damit regelmäßig zeitlich wiederkehrender Bereicherungsanspruch. Mit dieser Leitsatz-Entscheidung hat der BGH in einer die Prämienanpassungen betreffenden wichtigen Streitfrage nun Klarheit geschaffen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 10/2022, S. 128 f., und in unserem ePaper.

Bild: © NAMPIX – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Birte Raguse