Ein Artikel von Dr. Frank Baumann, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Sozietät Wolter Hoppenberg
Viele Versicherungsmakler betrachten die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) als die beste Option zur Absicherung der Arbeitskraft. Das ist nachvollziehbar – so bietet die BU bekanntlich einen sehr umfassenden Schutz, der sich zudem über Jahre etabliert und weiterentwickelt hat.
Zur Weiterentwicklung der Produktlandschaft im Bereich der Arbeitskraftabsicherung gehört ohne Zweifel aber auch die Grundfähigkeitsversicherung, die anders als die BU, dann leistet, wenn definierte körperliche Fähigkeiten verloren gehen.
Dennoch wird nach wie vor in der Beratung die Grundfähigkeitsversicherung häufig nicht als Alternative zur BU in Erwägung gezogen. Dies kann tatsächlich gravierende Folgen nach sich ziehen: Kunden, die aus gesundheitlichen, finanziellen oder beruflichen Gründen keine BU abschließen, bleiben ggf. gänzlich ohne jegliche Absicherung. Dabei könnte eine Grundfähigkeitsversicherung zumindest einen Teil der wirtschaftlichen Risiken auffangen, indem sie den Verlust essenzieller körperlicher Fähigkeiten absichert.
Rechtliche Einordnung und aktuelle Rechtsprechung
Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Beratungspflicht eines Versicherungsmaklers ergeben sich insbesondere aus § 61 Abs. 1 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Ein Makler, der Kunden zur Arbeitskraftabsicherung berät, ist verpflichtet, sämtliche in Betracht kommenden Produkte zu berücksichtigen, um eine bedarfsgerechte Absicherung zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass er nicht nur BU-Produkte anbieten darf, sondern auch alternative Absicherungen anbieten muss, wenn eine BU nicht infrage kommt.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem aktuellen Urteil vom 11.12.2024 (Az. IV ZR 498/21) klargestellt, dass nicht jeder Versicherungsvertrag, der mit einer Arbeits- oder Erwerbsunfähigkeit in Verbindung steht, automatisch nach § 177 Abs. 1 VVG den gesetzlichen Regelungen der Berufsunfähigkeitsversicherung unterworfen ist. Insbesondere verweist der BGH auf § 177 Abs. 2 VVG, der etwa die Unfallversicherung von der Regelung ausnimmt, obwohl auch dort eine Arbeitsunfähigkeit resultieren kann. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass der Versicherungsmakler dann nicht mehr über den Abschluss einer Grundfähigkeitsversicherung beraten muss, wenn für den Versicherungsnehmer keine BU in Betracht kommt. Vielmehr unterstreicht die Entscheidung, dass verschiedene Versicherungsprodukte unterschiedliche Leistungsauslöser haben und nicht einfach als minderwertig oder nachrangig angesehen werden dürfen.
Bereits das Oberlandesgericht (OLG) Dresden stellte in seinem Urteil vom 07.11.2023 (Az. 4 U 54/23) klar, dass ein Versicherungsmakler die Unterschiede zwischen BU und Grundfähigkeitsversicherung dezidiert erläutern muss. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Versicherungsnehmer besonderen Wert auf eine umfassende Absicherung legt. Eine Beratungspflicht zur Grundfähigkeitsversicherung entfällt nicht einfach deshalb, weil sie nicht identisch zur BU ist. Vielmehr ist der Makler verpflichtet, alle relevanten Optionen zu prüfen, bevor er eine Empfehlung ausspricht.
Umfassende Beratungspflichten
Ein Versicherungsmakler darf seine Beratung daher nicht von vornherein auf BU-Produkte beschränken. Sein Auftrag besteht darin, das von ihm identifizierte Risiko des Kunden so passgenau wie möglich zu versichern. Wenn eine BU für den Kunden keine Option ist, muss er alternative Lösungen aufzeigen, statt die Beratung faktisch abzubrechen. Anderenfalls verletzt er seine Beratungspflichten und setzt sich haftungsrechtlichen Risiken aus.
Zudem ist es für den Kunden von zentraler Bedeutung, dass ihm die Unterschiede zwischen BU und Grundfähigkeitsversicherung transparent erklärt werden. Während die BU an die Unfähigkeit zur Ausübung des zuletzt ausgeübten Berufs anknüpft, setzt die Grundfähigkeitsversicherung auf den Verlust definierter körperlicher Grundfähigkeiten. Dies bedeutet, dass der Versicherungsnehmer bei der Grundfähigkeitsversicherung nicht absichert, ob er seinen Beruf weiter ausüben kann, sondern ob bestimmte, in den Bedingungen klar definierte Fähigkeiten verloren gehen. Das muss dem Kunden klargemacht werden, damit er in die Lage versetzt wird, eine Abschlussentscheidung zu treffen.
Eine fundierte Beratung setzt daher voraus, dass der Makler die Vertragsbedingungen im Detail erläutert – insbesondere welche Leistungsauslöser bestehen und was Begriffe wie „Greifen“, „Knien“ oder „Bücken“ in den Versicherungsbedingungen konkret bedeuten – und nur solche Anbieter in Betracht zieht, die hier verständliche Formulierungen in ihren Versicherungsbedingungen verwenden. Anderenfalls riskiert der Kunde, ein Produkt abzuschließen, das nicht seinen Erwartungen und seinem Bedarf entspricht. Die hieraus entstehenden Folgen hat unter Umständen der Versicherungsmakler zu tragen.
Wer nicht berät, riskiert Haftung
Die Ablehnung der Grundfähigkeitsversicherung als vermeintlich minderwertige Absicherung ist nicht nur fachlich fragwürdig, sondern auch rechtlich riskant. Der Versicherungsmakler kann sich seiner Verantwortung nicht entziehen, indem er lediglich BU-Produkte anbietet und Alternativen ignoriert. Vielmehr beginnt an dieser Stelle die eigentliche Beratungspflicht.
Ein Makler, der reflexartig nur die BU anbietet und mögliche Alternativen ausblendet, verletzt seine Beratungspflichten. Nach der Rechtsprechung ist eindeutig, dass eine umfassende Beratung zur Arbeitskraftabsicherung alle verfügbaren Produkte einbeziehen muss. Wer diesen Prozess vorzeitig abbricht oder Alternativen nicht anspricht, riskiert nicht nur eine Haftung, sondern setzt auch seine Reputation aufs Spiel.
Die Devise muss also lauten: Eine fundierte Beratung bedeutet, alle realistischen Optionen zu prüfen – und nicht nur die scheinbar beste oder bekannteste Lösung zu präsentieren. Wer als Makler seinen Kunden die alternative Möglichkeit einer Grundfähigkeitsversicherung vorenthält, setzt ihn wissentlich einem existenziellen Risiko aus.
Lesen Sie auch: Bestandsübertragung: Strategie als wertbestimmender Faktor
Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 05/2025 und in unserem ePaper.

- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können